Forum Bioethik

Peter Singer und Deutschland
 

Viele Probleme der Bioethik werden deutlich am Beispiel des australischen Philosophen Peter Singers. Er bezieht zwar eine Extremposition - gerade daran aber läßt sich auch viel erkennen. Dazu kommt, daß Singer nicht unbedingt eine Außenseiterrolle einnimmt - da er auch weiterhin weltweit eine größere Rolle spielt 
( er ist u.a. an der Organisation der bioethischen Weltkongresse maßgeblich beteiligt gewesen - der vorletzte fand im Sept.2000 in London, anschließend im Nov.2002 in Brasilien, statt). Schon dadurch ist es lohnenswert, sich mit ihm zu beschäftigen.

Durch Peter Singer wurde die Bioethik und die damit verbundene Problematik erst so richtig bewußt. Nachdem er in den 70iger Jahren die Welt- Tierrechts- Bewegung wesentlich mit begründet hat und auch ein erfolgreiches Buch dazu geschrieben hatte („Animal liberation“), verfaßte er sein nächstes Werk zu ethischen Fragen, die „Praktische Ethik“, das 1984 in Deutschland erschien. Darin tritt er u.a für die Tötung geistigbehinderter Säuglinge ein, da sie z.B. keine „Personen“ seien, bzw. seinen Kriterien für eine Person nicht entsprechen. Sie hätten auch nur ein Leben voller Leid und sollten besser getötet werden:
„Sofern der Tod eines geschädigten Säuglings zur Geburt eines anderen Kindes mit besseren Aussichten auf ein glückliches Leben führt, dann ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird.“ (Peter Singer: Praktische Ethik, Stuttgart 1984, S.183)

Das Buch war in Deutschland zunächst nur in einigen Kreisen bekannt. Schließlich wurde Singer im Jahr 1989 von der Bundesvereinigung der Lebenshilfe zu einem Symposium eingeladen, auf dem er seine Positionen darlegen sollte. Im Vorfeld gab es aber solche Proteste von anderen Behindertengruppen, daß Singer wieder ausgeladen werden mußte - und das  Symposium wurde abgesagt.
Auch bei weiteren Versuchen, Singer bei Veranstaltungen oder Tagungen in Deutschland sprechen zu lassen, wiederholten sich die massiven Proteste, so daß es für ihn schließlich unmöglich war, in Deutschland öffentlich aufzutreten. Das war in den Jahren 1989-91. Daraufhin schrieb er den kleinen Aufsatz „On being silenced in Germany“ (1991), der unter dem Titel “Wie man in Deutschland mundtot gemacht wird“ erschien (in: Praktische Ethik, 2.rev.Aufl., Stuttgart, 1994, S.425-451).

Dann wurde es ruhiger um Singer. Viele dachten, er sei nur ein extremer Außenseiter, den man weiter nicht beachten bräuchte. Dann aber kam ein Umschwung, und etwa seit den Jahren 1996/97 werden seine Thesen wieder häufiger diskutiert, was u.a. auch einhergeht mit einem Stimmungsumschwung in der Gesellschaft.
Wäre es noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen, ernsthaft über die Tötung Behinderter, Euthanasie und aktive Sterbehilfe zu sprechen, so wird es nun wieder möglich. Die Folgen sind noch unübersehbar, da hier auf einer geistigen Ebene traditionelle Werte wie Menschenwürde, Lebensrecht für alle Menschen usw. in Frage gestellt werden. Besonders deutlich wird das in dem Buch „Leben und Tod“ von Singer, das 1998 in Deutschland erschien. Am Ende des Buches führt er aus, daß er die Gebote neu schreiben möchte, daß eigentlich eine kopernikanische Wende ansteht.
Heißt das erste alte Gebot noch: „Behandle alles menschliche Leben als gleich wertvoll“, so möchte er es ändern, daß es nun lautet: „Erkenne, daß der Wert menschlichen Lebens verschieden ist.“ Oder das zweite alte Gebot „Beende nie absichtlich ein unschuldiges menschliches Leben“ in das neue zweite Gebot: „Übernimm die Verantwortung für die Folgen deiner Entscheidungen“ (Singer: Leben und Tod, 1998, S.191ff).

Daß man in Deutschland besonders empfindlich auf die Gedanken von Singer reagierte, ist angesichts der besonderen Geschichte im 3.Reich verständlich. Die Tötungen der Euthanasie- Aktionen (der sog. T-Aktion) ab 1939 wären nicht denkbar ohne die philosophische Vorbereitung gewesen, die spätestens ab 1920 mit dem Buch von Binding und Hoche über „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ eingesetzt hatte.

Nun möchte sich Singer nicht in diese Tradition stellen lassen, da er selbst jüdischer Herkunft ist und seine Großeltern in einem Konzentrationslager der Nationalsozialisten getötet wurden. Andererseits wirken ganze Passagen seines Buches wie Zitate aus dem besagten Buch von Binding und Hoche. Singer wird Mühe haben, sich davon abzugrenzen.

Aber auch auf internationaler Ebene erfährt Singer Kritik - selbst aus bioethischen Kreisen. Allerdings ist die Reaktion im allgemeinen nicht so heftig wie in Deutschland. Als er z.B. 1998 eine Gastprofessur in den USA annahm, gab es zahlreiche Widerstände, auch von politischer Seite.

International spielt Singer weiterhin eine große Rolle, da er u.a. Mitbegründer der Internationalen Bioethischen Assoziation ist, die alle zwei Jahre große internationale Kongresse veranstaltet. Dort werden bioethische Fragen behandelt, wobei inzwischen auch Kritiker und Gegner von Singers extremen Positionen teilnehmen. Der letzte dieser Kongresse fand im Sept.2000 in London statt, der nächste wird voraussichtlich im Jahr 2002 in Brasilien sein.

Gibt es eine neue Singer-Debatte?
- Anmerkungen zu einem Artikel von Dr.Klaus Mohr
- Was wird aus uns? K.Mohr, Reformhaus-Rundschau 1/2002

Anbei Hinweise auf einzelne Texte oder Zeitungsausschnitte, in denen Peter Singer erwähnt wird:
- Singer kriegt kein Honorar aus der Staatskasse ( Quelle: Info-Mail von Hüppe,MdB)
- Walter Mixa (Bischof von Eichstätt): Wenn du tötest... (FAZ, 3.3.2001)
- Gespräch mit Peter Singer: "Nicht alles Leben ist heilig" (Spiegel online 25.11.2001)

Ein Flugblatt, das angesichts eines Seminares über das Buch von Peter Singer "Praktische Ethik" erschien. Vieles an der Problematik wird hier sehr deutlich:
- Denker, die die Welt nicht braucht (ASTA Braunschweig, Okt.1997)

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