Forum Bioethik
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e. Gewalt gegen pflegebedürftige alte Menschen
Das Kapitel „Gewalt an Behinderten/ neue Eugenik“ und „Euthanasie-
Debatte“ wäre nicht vollständig, wenn de r Blick nicht auch auf
alte pflege- bedürftige Menschen und die Situation in Pflege- Einrichtungen
fehlen würde.
Nun hat sich ein gutes und großes Netz von Institutionen, Wohnheimen,
Krankenhäusern usw. gebildet, in dem viele alte Menschen versorgt
werden. Aber es gibt Probleme. Viele alte Menschen fühlen sich allein
gelassen, Pflegekräfte sind oft überfordert. So ist es kein Wunder,
wenn Menschen Angst haben, alt zu werden und in Pflegeeinrichtungen zu
kommen - auch die Wärme und Geborgenheit der bekannten und vertrauten
Umgebung und nahe stehender Menschen ist nicht mehr da.
Auf dem Hintergrund ist es wenig überraschend, wenn alte Menschen
auf die Sterbehilfe zurückgreifen möchten, da sie sich überflüssig
fühlen und sich nicht auf die Hilfe anderer einlassen möchten.
Die Gesellschaft mit ihren Werten „jung, dynamisch und stark“ zeigt hier
ihre Schattenseiten und hat mit dem Aufbrechen der alten sozialen Netze
teilweise auch zu einem Vakuum geführt. Gerade für alte Menschen
ist es daher auch wichtig, daß es über eine „Grundversorgung“
durch Pflege- Einrichtungen und Pflege- Dienste auch ein weiteres Maß
an Zuwendung und Getragensein gibt.
Außer diesen Grundfragen gibt es aber auch wirkliche problematische
Phänomene im Pflegebereich. Ob man hier von einer Zunahme sprechen
kann, ist offen - da man erst heute stärker Dinge in die Öffentlichkeit
bringt, über die man früher eher geschwiegen hätte. Wichtig
ist festzustellen, daß es Fälle von „Gewalt“ in dem Bereich
gibt, die inwischen auch dokumentiert werden.
Eine Anzahl dieser Fälle haben der Arzt Rolf D.Hirsch (Bonn) und
der
Sozialpädagoge Claus Fussek in einer Dokumentation zusammengetragen:
Gewalt gegen pflegebedürftige alte Menschen in Institutionen.
Gegen das Schweigen. Berichte von Betroffenen. Bonn.1999.
Beide Autoren haben jeweils in Bonn und München Vereine gegründet,
die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und Anlaufstelle für
Problemfälle geworden sind. Beide Einrichtungen haben Vorbildcharakter
und erscheinen als eine Art Modell, daß es auch in anderen Städten
geben sollte.
Sicherlich ist es nur die Spitze vom Eisberg - aber es gibt auch viele
gutgeführte Einrichtungen. Immerhin: es gibt immer mehr Problemfälle
in diesen Bereichen bzw. es wird einfach eher darüber gesprochen.
Und das sollte bei alledem nicht verlernt oder auch wieder neu gelernt
werden, nämlich darüber zu sprechen.
Außer dem Alleingelassen- werden und der Vereinsamung als allgemeine
Phänomene gibt es zunehmend Fälle von Gewaltanwendung und Mißhandlungen,
die von Hirsch und Fussek aufgegriffen und dokumentiert werden. Hier ein
Beispiel der beiden Autoren, das in der Süddeutschen Zeitung vom 3.09.99
abgedruckt wurde:
„Die Einsamkeit in dem Heim war bedrückend. Es war wie in einer
geisterhaften Zwischenwelt. Ich erinnere mich noch an den Anblick eines
Rollstuhlfahrers, der mit heruntergelassener Hose in seinem Rollstuhl saß.
Er war pitschnass, sein Gebiss lag auf der Armstütze des Rollstuhls.
Niemand kümmerte sich um ihn. Es ist in dem Heim ein langer demütigender
Weg bis zum Sterben gewesen. Es waren zwei Pflegekräfte für 25
Schwerstbehinderte zuständig. Ich bringe mich um, bevor ich in ein
solches Heim gehe.“ - Aus einem Brief einer chronisch kranken Frau, deren
92-jährige Mutter in einem Heim lebte (Süddeutsche Zeitung).
Ein besonderes Problem sind sicherlich auch die Strukturen in Krankenhäusern
und Pflegeeinrichtungen, die oft hierarchisch aufgebaut sind. Kritik ist
kaum möglich, oft gibt es erheblichen Druck, wenn kritische Bemerkungen
fallen. Es ist „unfein“, unloyal - wichtig ist nur der Ruf. Mitarbeiter
oder Angehörige haben oft schon bei kleinsten Äußerungen
mit Sanktionen zu rechnen, so daß hier noch einmal ein besonderes
Problem auftritt. Hier ist nicht nur Zivilcourage gefragt, sondern auch
Durchhaltevermögen und Absicherung.
Personen, die Kritik äußern, werden als „Störenfriede“
angesehen
und müssen sehen, daß sie nicht selbst in die Ecke gedrängt
werden.
Hier gibt einfach noch zu wenige Stellen, die sich mit diesen Problemen
beschäftigen und auch den nötigen Rückhalt geben. Hier müßten
Strukturen entwickelt werden, wie man sie sonst nur aus der Arbeit von
Menschenrechtsorganisationen kennt, d.h.
x solide Prüfung der Fälle durch verschiedene Personen
x Gewährung der Vertraulichkeit
x Rechtsschutz usw.
Möge die Gesellschaft auch aufmerksamer werden und auch sehen,
was im eigenen Land geschieht, und die Aufmerksamkeit nicht nur auf die
„jungen, starken, erfolgreichen Menschen“ richten.
Anbei zwei Anschriften von Gruppen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen:
1. Handeln statt Mißhandeln
Bonner Initiative gegen Gewalt im Alter
Breite Straße 107a
53111 Bonn
2. Vereinigung Integrationsförderung (VIF)
Klenzestrasse 57c
80469 München
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