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Zur Genetisierung der Gesellschaft
Beispiele: Island, Estland, Tonga, Lettland, Großbritannien
(Informationen aus GID Gen-ethischer
Informationsdienst Nr.150
Febr/März 2002, Schwerpunkt:Im Netz der Genomforschung.
Uta Wagenmann: Zeigt her eure Gene...)
Das isländische Modell
270 000 Menschen leben auf der Insel Island im Nordatlantik. Aufgrund
ihrer Jahrhinderte andauernden geographischen Isolation wird angenommen,
dass ihr Erbgut relativ homogen ist - die meisten EinwohnerInnen stammen
in direkter Linie von der relativ kleinen Gruppe der ersten SiedlerInnen
ab. Deshalb gehen GenetikerInnen auch davon aus, dass bestimmte Veränderungen
der dann mit Krankheiten zusammenhängen müssen, weil sie nicht
durch Mischung entstanden sein können. Mithilfe der jahrhundertealten,
akribisch geführten Stammbäume (genealogische Daten) soll es
möglich sein, Kranheitsbilder, die bei mehreren Menschen einer Ahnenreihe
auftreten, mit den Genmutationen in der Familie abzugleichen.
Eigens für deCODE Genetics verabschiedete das isländische
Parlament 1998 ein Gesetz, das die zentrale Erfassung sämtlicher Gesundheitsdaten
der Bevölkerung, darunter auch der genetischen, und deren Verknüpfung
mit den genealogische Daten durch eine private Firma regelt. Die als Voraussetzung
für die Speicherung der Daten zugrunde gelegte Kategorie der ‘mutmaßlichen
Zustimmung’ (presumed consent) rief damals weltweit Protest hervor.
Die Kritik hatte zur Folge, dass in letzter Minute noch ein Passus ins
Gesetz eingebaut wurde, der es IsländerInnen ermöglicht, die
Erfassung in der zentralen Datenbank zu verweigern. Dazu müssen sie
allerdings selbst aktiv werden. Offiziell werden bisher nur medizinische
und genealogische Daten erfaßt. Zu groß waren die Differenzen
zwischen Firma und Ärzteverband über Datenschutz und Zustimmungsregelungen.
Mit über 13 Prozent war auch der Anteil der Verweigerer an der Gesamtbevölkerung
nicht tolerabel. Der zwischen Ärzteverband und deCode vereinbarte
Kompromiss sieht nun vor, dass das Unternehmen mit der routinenmäßigen
Sammlung genetischer Daten abwartet, bis der Weltärztebund seine Richtlinien
zum Betrieb von Gen- und Gesundheitsdatenbanken fertiggestellt und
verabschiedet hat. Gearbeitet wird bisher mit den Genproben und - daten,
über die die Firma bei der Lizenzerteilung für den Betrieb der
Datenbank 1999 bereits verfügte.
Die estnische Variante
Als Vorteil gegenüber dem gegenüber isländischen
Gendatenbank- Projekt wird von den Organisatoren der estnischen zentralen
Datenbank die genetische „Durchmischung“ gepriesen, die der Europas entspreche.
Damit seien die Daten für Epidemiologie und Medikamentenentwicklung
deutlich interessanter. Außerdem sei das Projekt längst nicht
so umstritten wie das isländische und man könne deshalb mit einer
starken Beteiligung rechnen: Die Organisatoren gehen davon aus, innerhalb
der nächsten 5 Jahre die Gesundheitsdaten von zwei Dritteln der etwa
1,5 Millionen Esten zu erfassen: Die Ergebnisse eines Pilotprojektes stützen
diese optimistische Perspektive. Bei Befragungen in Verbindung mit persönlichen
Informationsgesprächen in drei Regionen Estlands signalisierten 36
Prozent der Esten eine prinzipielle Bereitschaft, wollten zuvor aber mehr
wissen, und 43 Prozent erklärten sich sofort zum Mitmachen bereit.(1)
Bisher befindet sich die estnische Datenbank noch in der Vorbereitungsphase.
Zu Beginn 2002 ist der aus finanziellen Gründen mehrmals verschobene
Modellversuch mit 10 000 Teilnehmer gestartet, im Herbst 2002 soll dann
mit der flächendeckenden Datenerhebung begonnen werden.
(1) Nach Adelheid Müller-Lissner: „Genom von Millionen“. Der Tagesspiegel,
21.1.02
Tonga
Die Regierung des ozeanischen Inselstaates Tonga sicherte im November
2000 per Vertrag der australischen Firma Autogen das exklusive Recht zu,
am Genom der etwa 108 000 Tongaer nach genetischen Ursachen für Krankheiten
zu forschen. Auch diese Insel wart jahrhundertelang geographisch isoliert.
Am Gewinn aus eventuell entwickelten Produkten soll die Regierung Tongas
beteiligt werden.
Lettland
In Lettland wird zur Zeit an einem Gesetz für die Errichtung einer
zentralen Gesundheits- und Genomdatenbank gearbeitet; Vorbild ist das estnische
Gesetz.
Großbritannien
In Großbritannien wird ein beim staatlichen Medizinischen Forschungsrat
(Medical Research Center, MRC) eingereichtes Datenbank- Projekt momentan
von unabhängigen Ethikkommissionen geprüft. Für die
Biobank U.K. sollen
500 000 Freiwillige im Alter zwischen 40 und 65 gefunden werden. Die
aus ihren Blutproben und Angaben in einem Fragebogen gewonnenen genetischen,
klinischen und sozialen Daten erfaßt werden, um Krankheitsursachen
zu erforschen. „Wir hoffen, dass es in den nächsten Monaten zu einer
Entscheidung kommen wird“, so eine Pressesprecherin des MRC.
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