Forum Bioethik
Schuldenkrise in Argentinien
Wer zahlt die Zeche?
Dokumentation eines Fachgespräches am 20.02.2002 in Berlin
mit: ökumenisches Institut SÜDWIND, der Lutherische Weltbund
und der Evangelische Entwicklungsdienst

Hier: die Rede des argentinischen Botschafters


3.3 Die  Schuldensituation  und  die  Legitimität  der  Forderungen
Miguel  Angel  Espeche Gil  (Argentinischer  Botschafter) 

Ich  möchte  mich bedanken, hier zu diesem Forum  eingeladen  zu  sein. Ich möchte  lhnen  als erstes sagen,  dass ich  heute in  diesem  Forum  als Privatperson  mit  lhnen  spreche und  hier meine  persönliche  Meinung zum  Ausdruck bringe.

Das  Thema der Auslandsverschuldung, das zunächst ein wirtschaftliches ist, hat  soziale Auswirkungen  in  anderen  Bereichen.  Seit  längerem   wurde  ein  Bereich  nicht genügend  berücksichtigt, und  das ist der  juristische  Rahmen.    

Der   Titel  des heutigen  Seminars  ist  die  Auslandsverschuldung   Argentiniens. Wir  dürfen  dabei  aber  nicht  aus den  Augen verlieren,  dass  es  sich  keineswegs  um ein auf  Argentinien  beschränktes  Problem  handelt.  Es  ist ein  Problem, das  ganz  Lateinamerika  angeht,  praktisch  ganz  Afrika  und  einen  Großteil  Asiens  und  Osteuropas. Afrika  und  einen  Großteil  Asiens   und Osteuropas.  Man  kann  somit sagen, dass  die  Auslandsverschuldung   ein   globales  Problem  darstellt.  Wir  können auch  sagen,  dass  es  sich  um  ein  wichtiges  Kapitel  jenes  viel  größeren globalen Problems handelt.   

Es ist  schwer,  das  eigentliche  Problem  der  Haushaltsverschuldung  zu begreifen,  wenn  wir  uns  nur den  Tatbestand  aus  heutiger  Sicht  vor   Augen  halten. Wir müssen  deshalb  zur  Lehrmeisterin des  Lebens,  zur  Geschichte   zurückgehen,  um  die  Wurzeln   des  Problems  und  ihrer   Entwicklung  zu  sehen.  Wir  müssen  nicht  unbedingt sehr  weit  zurückgehen.  Wir müssen  uns nur  zurückbewegen  in die  siebziger  Jahre  des  vergangenen  Jahrhunderts. Und alle werden sich erinnern an die Ölkrise, wie sie die industrialisierte  Welt  berührte,  welche  gravierenden   Finanzauswirkungen  sie  gehabt  hat. 

Das  Barrel  Öl kostete damals, zu  Beginn der  siebziger  Jahre,  unter  einem  Dollar und  stieg in  der  Krise  plötzlich  bis  auf  15 Dollar.  Die  Konsepuenz  war, dass die Öl exportierenden  Staaten  plötzlich über  riesige  Geldmengen  verfügten.  Dieses  Geld  floss in  die  Banken, und die  Banken  begannen eine  aggressive  Kreditpolitik.  Die  Delegationen  und  Vertreter  der  Banken  besuchten die  Länder in  aller  Welt,  insbesondere auch in  Lateinamerika,  boten dieses  "leichte  Geld"  an.

Damals  sind die  Kreditzinsen  nicht  über  6% gestiegen. Es  schien so,  ob es in der Natur der Sache liegen  würde, dass die  Kosten  für  Geld  nicht  über  diese  rund  6% steigen. Und diese  Delegationen  der  Banken  wurden  begleitet von  einem  starken  politischen  Druck. Es gab diesen  Druck  insbesondere  von  Seiten  der  USA, die  dieses  Geld  vor  allem als  Kredite an  Entwicklungsländer  vergeben wollten. So kam es, dass wir, die lateinamerikanischen  Länder, rund 300 Milliarden  Dollar  als  Kredit erhalten haben.

Wer  hat  diese  Summe  erhalten? Die  Regierungen,  nicht nur  die  Nationalregierungen, sondern  auch  die  Provinzregierungen, nicht die  Nationalregierungen,  Betriebe  und  Unternehmen  und  auch Privatmenschen  aus  den  30  Ländern.  Durch Tausende  von  Verträgen  gebunden, die  eigentlich  alle aus der gleichen  Feder  stammten. Auf  der  einen  Seite war der obligatorische Sitz für juristische  Auseinandersetzungen  New  York,  auf  der andern  Seite   enthielten  die  Verträge  sehr  elastische  Klauseln, die, als  man  sie  damals  unterschrieb,   unschuldig  aussahen.   Doch was  waren  das  für  Klauseln? Sie   bezogen   sich  auf  die  Zinsen,    die  Zinsen,  die  für  die  Kredite  zu    zahlen    waren.   Sie  sagten  mehr    oder   weniger, dass  die Zinsen   von   Gläubigern   festgelegt   wurden.  Die    Basis  waren   die   Fluktuationen  des   Finanzmarktes  unter   Bezugnahme  auf   ähniliche    Werte,   wie    z.B. die   Libor- Rate ("London   lnterbank  Offered  Rate",  der  Zinssatz, den   Banken  am   Londoner  Geldmarkt  für   kurzfristige  Ausleihungen  an  andere  Banken  verlangen).   

Man  muss  sich  noch  mal  in   die  Zeit  zurückversetzen,  in  der  dieses  passiert  ist.  sowohl  auf  Seiten der Gläubiger als  auch  auf  den   Seiten  der  Kreditnehmer  konnte sich   niemand, absolut  niemand im  Jahr 1977 vorstellen, dass so  etwas  mit  der  Zinsentwicklung  passieren  würde,  was  dann  kurz  danach passierte.  Aufgrund  der  wirtschaftlichen  Notwendigkeiten, die sich  den USA  selber  plötzlich zeigten,  erhöhte die Federal  Reserve  Bank, die  Zentralbank der  Vereinigten  Staaten, ab  1980 die  Zinsen.

Ich  frage  mich,  ob  die  unveränderlichen  Gesetze der neoliberalen  Ökonomie  wirklich  zur  vollen  Wirkung  gelangen,  wenn ein staatlicher  Organismus  eines   Landes  beginnt, aus welchen  Gründen  auch  immer die  Zinsen  zu  erhöhen.  Bis  dahin  gab  es  historisch gesehen  maximal 6%  Zinsen  pro Jahr.  Dies  stiegen  auf   sieben,  ein  paar  Tage  später  auf   acht,  wenig    später  10, 12, 14, 16, 20, bis   auf  22   jährlich. Innerhalb   von  weniger als  einem  Jahr  steigt  der  Zinssatz  von 6% auf  über 22%.   Und    damit   wird das  Problem  der  Auslandsverschuldung  deutlich.  Diese enorme   Menge  der  300   Milliarden  US -Dollar,  die  Lateinamerika     bekommen   hatte,  wurde   normal   bedient,   mit   allen   Zinsen,  so  wie  früher  auch  immer  schon.  Argentinien  hatte   früher  immer  seine  Schulden   bezahlt.  Jetzt   plötzlich   sieht   der   Schuldner,  dass sein   ganzes   Vermögen   aufgezehrt  wird,   um   diese  enorme   Zinslast   zu  bedienen. 

Auf   alle   Verträge, mit denen  die  Schulden  aufgenommen waren,   wurde   diese  Was-  hingtoner  Zinbelastung   angewendet.  Und nun   wenden  wir   uns  ein  wenig   den  Zahlen  zu: In   wenigen   Jahren  generierten  diese  300  Milliarden  Schulden   über  die   Zinsen  eine  Summe    von  Summe von  460  Milliarden   Dollar, die  gezahlt  worden  sind   Als  1990 dann der  Brady-Plan  zur   Umschuldung der  Kredite  in   Kraft  trat,  hatte  Lateinamerika  schon  zweimal die  Ursprungsverschuldung  bezahlt.  Wir   können  nicht   beiseite   schieben,  dass dieses die   eigentliche,  ursprüngliche Wurzel des Problems  ist.   Wenn  wir dieses  Wurzel nicht in Betracht  ziehen,  können   wir   nicht  verstehen,  was   heute    passiert.  Der  Brady-Plan - oder die  Brady-Pläne  - waren das  Ergebnis  der  Unmöglichkeit  für  die  Länder, weiter  unter  den   vorherrschenden  Konditionen  zu   zahlen.
 
1990 sanken  die  Zinsen wieder, der Schaden war bereits passiert. Man muss sich vorstellen, dass mit der zeitweiligen  Zinsbelastung   von  über 20% die  Schuldsumme  in  kurzer Zeit   explosionsartig  zugenommen   hatte. 

Wir   könnten  diese  Geschichte  weiter  ausführen,  aber ich  halte  es   für  wichtiger, jetzt  konstruktive  Beiträge  vorzuschlagen. Wir haben schon  zwei  Vorschläge in  Richtung einer  Lösung gehört. Dr  Morazan  hat  berichtet  von  den  Überlegungen  und  Vorschlägen  zu einem Erlass bzw. Teilerlass der Schulden. Wir haben des Weiteren gehört, eine Lösung durch  ein  Schiedsgerichtssystem  herbeizuführen.
 
ln  Bezug auf die erste Alternative  meine ich, dass das Wort Erlass in dem historischen Kontext  analysiert  werden  muss, den ich  gerade  hergestellt  habe.  lst  es  wirklich  ein  Erlass oder   Anerkennung der Tatsache,  dass  eigentlich  die  Schuld  schon  längst bezahlt   worden  ist?

Ab  dem  Brady-Plan  nimmt das  Problem  unterschiedliche  Charakteristika  an.  Nominal  sieht  der Brady- Plan  eine  Absenkung, also  einen  Teilerlass der  Schulden  vor. Aber Sie werden sich erinnern, dass der Ausgangspunkt hierfür die riesige und absurde Summe  ist, die durch die  extem hohen   Zinsen  aufgelaufen war  Die  Banken, die bereits  die   Summe kassiert  hatten,  waren   längst  saniert  und   haben  eine  sehr Returnrate  gehabt  und  einen  hohen  Gewinn  gemacht.

Es gelingt  ihnen  auch dadurch, dass  sie  in  gewisser  Weise die  Schuld  wieder abwälzen  können,  da  es  die   Regierungen, sind, die  jetzt  wieder  neue  Umschuldungstitel  initiieren.

Aber  wir   müssen zu  diesen   Titeln  eine  Zahl im  Auge behalten. Argentinien,  Peru,  Brasilien,  Mexiko,  Venezuela, nachdem diese  Länder  eigentlich  alle  bezshlt  hatten, wie  hoch  wurden  die  Schuldtiitel  in  New  York  bewertet? Die argentinischen  Titel z.B:  konnte  man  statt des Nominalwertes  von   einem US- Dollar für 18 Cent auf dem   Markt  erwerben,  doch  sie  wurden  im   Rahmen  der  Umschuldung  für  einen  vollen  Dollar  verkauft,  Hier  kann man  nicht  mehr   von    unschuldigen  Händlern   reden. 
Es  schien  so,  als  ob  sich  durch den   Brady-Plan  die   Angelegenheit  langsam  normalisierte.  Ein  Grund  war  das  Absenken  und Stabilisieren  der   Zinsraten  der  Schuldnerländer,  wobei  ich  hierbei  insbesondere die  Regierungen  meine - da  durch die Konversion  inzwischen  die   Regierungen    zu   Schuldnern  geworden  waren. Es  normalisierte  sich,  da  durch  den    Brady-Plan  die   Regierungen  auf   2-3 Jahre  einschätzen  konnten,  wieviel die  Bezahlungen  betragen  würden. Aus diesem Grund hatte z.B. Cavallo, der damalige Finanzminister, in Argentinien  in  jener  Anfangszeit  solche  Erfolge.  Es  gab   eine  gewisse   Rationalisierung, wenn auch  artifiziell, so  doch  spürbar,  so  dass die  ersten  Jahre  berechenbar waren.

Aber im Februar 1994  hat  die Federal  Reserve  Bank  aus  eigener  Wirtschaftspolitik  heraus erneut  den   Zinssatz  um  0, 25% erhöht. Dieses  Viertelprozent,  wieviel  bedeutete es!  Für  Lateinamerika   bedeutete  es  800  Millionen  Dollar mehr  an  Schulden.  Ich  möchte Ihr  Augenmerk  auf  die   Rationalität  dieses   gesamten   Prozesses  lenken. 
Ich  beende  den  historischen  Teil  und  komme  auf die  eigentliche  Zielsetzung  dieser  Sitzung  zurück, auf die Suche  nach  Ansätzen und  Lösungen. Ich denke  nicht, dass diese  Lösungen  sich gegenseitig ausschließen, sondern dass man sich durchaus vorstellen könnte, dass   über  ein  Schiedsgerichtsverfahern  ein  Lösungsansatz  laufen  könnte. Aber  ich  bin  der  Überzeugung, dass das  Problem  der  Verschuldung  von  Beginn an  ein  Problem des öffentlichen  internationalen   Rechtes ist,  das die  Essenz des  Miteinanderlebens und  Miteinanderumgehens den   Staat  berührt und   auch in die  Verantwortlichkeit  dieser  Länder und   Staaten  fällt.  

Seit 1989  sind  wir der  Ansicht, dass jene  Anhebung  der  Zinsraten  von  6% auf 22%   jährlich, die  von dem staatlichen   Organ  eines  einzigen  Landes  entschieden   worden  war  und  die   man  von  Gläubigerseite   aus  anwendete  auf  alle   Verträge,  dass also  sowohl die Zinssteigerung  als  auch  die  unbegrenzte   Anwendung  dieses neuen   Zinssatzes  internationale   Normen   und   internationales   Recht  verletzt.
 
Das  internationale    Völkerrecht, das das  Zusammenleben  der  Staaten   der   Weltgemeinschaft  regelt, bezieht   seine   Regeln  und   Normen  vor  allem  aus  drei  Quellen, die internationalen  Verträge,  das  internationale   Gewohnheitsrecht   und  die  allgemeinen    Rechtsprinzipien. 

Die    allgemeinen    Rechtsprinzipien, wie  ein  berühmter  italienischer   Rechtsphilosoph  einst  gesagt   hat,   sind   für das   Recht   wie  der  Alkohol des  Weines: das  was  ihm  Kraft  gibt   und den   Geist  ausmacht. Doch  was  sind  diese   allgemeinen   Rechtsprinzipien?  Wir haben sie in sämtlichen Gesetzgebungen, sie werden von allen Gerichten angewandt.Wenn  wir  sagen,  dass  niemand  Kläger  und  Richter  in   einem   sein  kann,  oder  wenn  wir   sagen,  dass  niemand   wegen  derselben  Anschuldigung  zweimal  verurteilt  werden  kann,  oder  wenn wir  sagen, dass jemand  den   Schaden   wieder  gutmachen  muss,  wenn  durch  sein  Verschulden  ein Schaden  entstanden ist,  dann  wenden   wir  allgemeine  klassische Grundlagen des Rechtes  an.

 Es  gibt mindestens  ein   Dutzend dieser  allgemeinen   Prinzipien,   welche in diesem Prozess der Entstehung der Auslandsverschuldung verletzt  oder  zumindest  berührt   worden  sind.
( ...)

Eine  Nichtregierungsorganisation  namens  CEISAL (Consejo  Europeo de  Investigaciones  Sociales  para  la   America  Latina), eine  Vereinigung  europäischer  Sozialwissenschaftler, veranstaltet  seit  über  zehn  Jahern  interdisziplinäre  Treffen und  Seminare, um  diesen juristschen  Aspekt der  Verschuldung  zu   analysieren. Dabei  ist  ein  konkreter  Vorschlag  entstanden,  welcher darauf  zielt,  dass  die  allgemeine  Versammlung  der  Vereinten  Nationen  sich  bemüht,  eine  Konsultivmeinung  vom  intemationalen  Gerichtshof  in  Den  Haag zu  bekommen, um zu  hören, ob  der  internationale  Gerichtshof  in   Den Haag sich  aus  juristischer Sicht zu  dem   Problem der   Auslandsverschuldung  äußert.  Möglicherweise  spricht er  sich  auch  darüber aus,  ob  und  wie viel von der  Schuld  bereits gezahlt  wurde und ob überhaupt  noch  etwas  und  wenn  dann  wie  viel  noch  zu   zahlen   sei.  

Dieser   Vorschlag  ist  nicht  nur  ein  theoretischer, sondern er  ist  auch öffentlich gemacht  worden  als  ein  konkreter  Vorschlag des  Lateinamerikanischen  Parlamentes  und ebenfalls des Europäischen Parlamentes. Beide Parlamente, das Europäische und das  Lateinamerikanische, haben 1995 in  Brüssel einen  Aufruf  an  alle  Regierungen   verabschiedet, um das Problem der Auslandsverschuldung vor den Internationalen Gerichtshof  in   Den   Haag   zu  bringen.  Dies  geschah  in  Form  einer  Bitte um  eine  beratende  Meinungsäußerung. Die Meinungen des Gerichtshofes sind keine Urteile, sondern es handelt  sich  um  Empfehlungen, die  nicht  verpflichtend   für  Regierungen  und  Länder sind. Aber sie sind wohl bindend für die Organisationen der Vereinten Nationen. Wenn es   also   zu   einer  solchen   Meinung  des Gerichtshofes  käme,  wären  die Weltbank  und der  IWF  gezwungen, die in  diesem  Urteil  vorgezeichneten   Linien  zu  respektieren.  

Daraus   ergibt    sich   die   große  Bedeutung,  die ein  solcher  Urteilsspruch   für die   betroffenen   Länder  haben  könnte.   

Ich  bedanke  mich  bei   Ihnen. 

Info: SÜDWIND e.V.     www.suedwind-institut.de
         Eed e.V.                 www.eed.de

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