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US-Außenpolitik: Ein gefährliches neues Dogma?

Von Carsten Volkery
SPIEGEL ONLINE - 05. April 2002
 

Die USA torpedieren laut einer neuen Studie zunehmend
internationale Verträge und agieren stattdessen nach dem Recht
des Stärkeren. Die Autoren warnen vor den Folgen für die globale
Sicherheit.

New York - Dass die Amerikaner gerne Weltpolizist spielen, ist
bekannt. Dass sie sich dabei wenig um die internationale
Öffentlichkeit scheren, ist auch kein Geheimnis. Doch die
Systematik, mit der sie dies unter Präsident George W. Bush
betreiben, sei neu und Furcht erregend, sagen die Autoren des
amerikanischen Lawyers Committee on Nuclear Policy in einer
neuen Studie.

An die Stelle des Gesetzes setze die Bush-Regierung zunehmend
das Recht des Stärkeren, lautet die Hauptthese der Studie, die am
Donnerstag in Washington veröffentlicht wurde. Damit unterminiere
sie die globale Sicherheit, die sie offiziell zu verteidigen vorgibt. Mit ihrer unilateralen Machtpolitik und der Verachtung für internationale Verträge schaffe sie die Grundlagen für eine Welt voller "Diktatur und Chaos".

In dem 188-seitigen Papier wird das Verhalten der US-Regierung in
acht wichtigen internationalen Verträgen untersucht. In allen acht
Fällen hätten die USA die Vereinbarung "verletzt, kompromittiert
oder unterwandert", sagte Nicole Deller, Ko-Autorin der Studie mit
dem Titel "Rule of Power or Rule of Law?". Dazu zählen der Vertrag
zur Nichtverbreitung von Atomwaffen, der Atomteststopp, der
Landminen-Bann, der Abrüstungs-Vertrag zu
Interkontinentalraketen (ABM), die Biowaffen-Konvention, das
Klimaprotokoll und das Abkommen zur Einrichtung des
Internationalen Gerichtshofs.

Einige der Verletzungen hat Präsident Bill Clinton zu verantworten,
die meisten jedoch Präsident Bush. Das sei kein Zufall, sagt John
Burroughs, Direktor des Lawyers Committee on Nuclear Policy.
Der unabhängige "Think Tank" hat die Studie zusammen mit dem
Institute for Energy and Environmental Research erarbeitet.

Seit 30 Jahren gebe es im Senat eine starke Minderheit, die gegen
internationale Verpflichtungen kämpfe, erklärt Burroughs. Doch erst
die "Gingrich-Revolution", benannt nach dem damaligen
Republikanerführer Newt Gingrich, habe 1994 dem neuen
Konservatismus im Kongress zum Durchbruch verholfen. Mit dem
Bush-Team sei diese Ideologie jetzt zum ersten Mal offizielle
Regierungsmeinung.

Die Philosophie lässt sich einfach zusammenfassen und ist von
verschiedenen Bush-Beratern geäußert worden: Internationale
Verträge sind nicht bindend, sondern jederzeit Amerikas
politischen Interessen unterzuordnen. "Clinton hat über
internationale Verträge noch von Fall zu Fall entschieden, die Bush-
Leute hingegen lehnen das Konzept an sich als Einschränkung
amerikanischer Souveränität ab", sagt Burroughs.

Ein Beispiel für die neue Mentalität ist die Wiederentdeckung der
Atomwaffen. Entgegen internationaler Verträge spielen sie unter
Bush wieder eine entscheidende Rolle in der nationalen
Verteidigungspolitik. Auch den Atomteststopp unterwandert die
Regierung mit der Planung eines Testzentrums für thermonukleare
Explosionen. Bei diesem Projekt ist eine deutsche Firma beteiligt.
Der Bericht zählt daher auch Deutschland zu den
Vertragsbrüchigen.

Als weiteren Beweis für die radikale Bush-Wende führt die Studie
den angekündigten Rückzug aus dem ABM-Vertrag von 1972 an.
Auch die Ablehnung des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz führe
zu einer unsichereren Welt.

Besonders frustrierend sei diese Entwicklung, so Burroughs, weil
niemand sie vorhergesehen habe. "Selbst Experten wie ich hatten
vor der Wahl keine Ahnung, dass diese Außenpolitik das
Markenzeichen der Regierung werden würde." Nach dem
Terroranschlag vom 11. September hatte er gehofft, dass die USA
nun einen multilateralen Weg gehen würden. Doch das Gegenteil
sei eingetreten. Jetzt wird auch ein Alleingang gegen den Irak nicht mehr ausgeschlossen.

Gefährlich sei diese Politik vor allem, weil sie ein schlechtes
Beispiel setze, heißt es in dem Report. "Wenn ein mächtiges Land
wie die Vereinigten Staaten seine rechtlichen Verpflichtungen nur
im Sinne des Eigeninteresses auffasst, werden auch andere
Staaten dies zum Anlass nehmen, ihre Verpflichtungen nicht mehr
ernst zu nehmen", schreiben die Autoren. Der Trend zum
anarchischen Recht des Stärkeren sei umso bedauerlicher, als die
USA die Erfinder des internationalen Rechtssystems seien.

URL:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,190271,00.html

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