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(Info von Rene Talbot/ Berlin, vom 26.02.2002)
Ein Erbhygieniker im Nationalen Ethikrat?
Fabian Kröger 26.02.2002
Verfahren gegen Psychiatrie-Kritiker eingestellt
Als "Erbhygieniker" bezeichnen Psychiatrie-Erfahrene auf einer
Webseite den Humangenetiker Peter Propping, Mitglied des Nationalen
Ethikrates. Ein von Propping deshalb angestrengtes Strafverfahren wurde
jetzt vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten auf Antrag der
Staatsanwaltschaft eingestellt, die moniert hatte, es handle sich um
einen "Fall minderer Schwere", man hätte "Wichtigeres zu tun".
Auch
wenn juristisch offen bleibt, ob Propping Erbhygieniker genannt werden
darf, kann die inkriminierte Website weiter bestehen und weitere Klagen
dürften schwieriger durchzusetzen sein. Der Berliner Landesverband
Psychiatrie-Erfahrener wertete die Einstellung deshalb als Erfolg.
Prof. Peter Propping, Direktor des [1]Instituts für Humangenetik
der
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, hatte wegen eines Links auf
der
Website des [2]Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg
Strafanzeige wegen "übler Nachrede" gestellt. Stein des Anstoßes:
Unter
dem Link "Websites des Horrors" ist eine Linkliste psychiatrischer
Institutionen zu finden. Wer dort den "Verband der Neo-Nazi Eugeniker"
anklickt, gelangt zur International Society of Psychiatric Genetics,
deren Aufsichtsrat Peter Propping angehört. Außerdem ist
das Programm
des sechsten Weltkongresses für Psychiatrische Genetik unter der
Überschrift "Weltkongress Psychiatrischer Erbhygiene" verlinkt.
Seit diesem Kongress, der 1998 in Bonn stattfand und dessen
Präsidentschaft Propping übernommen hatte, befindet sich
der
Humangenetiker im Visier antipsychiatrischer Kritik. Die Berufung Peter
Proppings in den Nationalen Ethikrat verstärkte den Protest der
Psychiatrie-Erfahrenen gegen ihn nochmals. Die Protestaktion gegen
Propping anlässlich der konstituierenden Sitzung des Nationalen
Ethikrates im Juni 2001 ist beispielsweise [3]hier dokumentiert.
Psychiatrische Genetik - ein Forschungsansatz mit Tradition
Auch wenn die Kampagne der Psychiatrie-Erfahrenen stark
personalisierende Züge trägt, betonte René Talbot
als Vertreter des
Berliner Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener in seiner ausführlichen
Verteidigungsrede vor Gericht, so diene die Bezeichnung "Erbhygieniker"
nicht der Beleidigung Peter Proppings als Person. Propping sei eine
"austauschbare Charaktermaske der Wissenschaft", angegriffen werde
er
als Repräsentant der psychiatrischen Genetik. Mit Verve
forderte der
Angeklagte die "längst überfällige Aufarbeitung der
NS-Psychiatrie"
durch die Profession. Die Rassenhygiene habe sich zwar nach 1945 zur
Humangenetik gewandelt, sei "inhaltlich aber natürlich dasselbe"
geblieben. Weiterhin seien "erbgesunde Menschen" das Ziel.
Herrn Propping als "Erbhygieniker" und die International Society
of
Psychiatric Genetics als "Verband der Neo-Nazi Eugeniker" zu bezeichnen,
stelle keinesfalls eine Tatsachenbehauptung dar, sondern sei ein
"Werturteil", argumentierte Talbots Rechtsanwalt Wolfgang Ziegler.
Diese
"überspitzte Kritik" falle in den Bereich der Meinungsfreiheit.
Der Link
müsse im Gesamtzusammenhang der Website des Landesverbandes
Psychiatrie-Erfahrener gesehen werden. Dieser wolle darauf aufmerksam
machen, dass die heutige medizinische Forschung im Bereich der
psychiatrischen Genetik "in der Geschichte bereits einmal eine
Entsprechung gefunden" habe. Wenn der Landesverband befürchte,
dass
durch die Forschungen der Psychiatrischen Genetik eine "Erbhygiene"
eingeführt werde, wolle er auf die dunkle Tradition dieser Bemühungen
hinweisen, sie aber nicht gleichsetzen mit den NS-Praktiken. Ziegler
sagte, es werde nur betont, dass "der medizinische Ansatz der gleiche"
sei: Die Kategorisierung normabweichenden Verhaltens als genetisch
determinierte "psychische Erkrankung".
Der Leib wird als Körper zum Material der Forschung Neben
der Kritik an
den möglichen Ergebnissen der psychiatrisch-genetischen Forschung
stellen die Verbände der Psychiatrie-Erfahrenen aber auch die
gegenwärtige Praxis der Forschung in Frage: Werden die
Persönlichkeitsrechte derjenigen "Schizophrenen", "Depressiven"
etc.
gewahrt, an deren Körpermaterialien geforscht wird? "Vermutlich"
seien
Körpermaterialien von Psychiatrisierten "OHNE den ausdrücklichen
Wunsch
der Betroffenen" auf ihre genetische Beschaffenheit untersucht worden,
schreibt der [4]Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener.
Da solcherlei Zustimmung "nicht bekannt" sei, geht der Bundesverband
davon aus, dass die Untersuchungsergebnisse des Bonner Instituts für
Humangenetik "durch Körperverletzung sowie einen Verstoß
gegen die
informelle Selbstbestimmung zustande gekommen" seien. Liege wider
Erwarten doch eine "Zustimmung" vor, müsse dennoch "bewiesen werden,
dass diese nicht während einer Zwangseinweisung erfolgte, wo der
Betroffene mit Zwang und Gewalt zum Aufenthalt in der Klinik und zur
Einnahme von psychotrophen Drogen gezwungen wurde."
Propping entgegnete auf derlei Vorwürfe gegenüber Telepolis,
seine
Arbeitsgruppe mache "nur die Laboruntersuchungen und statistische
Berechnungen". Die Blutproben würden von kooperierenden psychiatrischen
Institutionen geliefert. Er vertraue den dortigen Ethik-Kommissionen,
dass die Entnahme-Praxis korrekt verlaufe.
Geheimclub-Ethik im Dienste der Forschung
Ob Ethik-Kommissionen das geeignete Instrumentarium sind, um die
Rechte
der PatientInnen zu wahren, wird von
PatientInnenvertretern seit langem angezweifelt. Johannes Spatz,
Sprecher der Arbeitsgruppe Ethik im Berliner Patientenforum, weist
im
[5]Gen-ethischen Informationsdienst 8/9 2000 darauf hin, dass sich
die
meisten Ethik-Kommissionen "nicht mit der Ethik, sondern mit
Forschungsdesign (beschäftigen)". Ethische Richtlinien erwiesen
sich
meist als "selbst programmierte Software, mit beliebigen Updates je
nach
geänderter Forschungsrichtung", spottet auch der Gladbecker Ex-Oberarzt
[6]Linus Geisler.
Weiter kritisiert Spatz die Zusammensetzung dieser Gremien. Sie
seien
"Geheimklubs, es darf nichts von dem nach außen dringen, was
dort
behandelt wird. Die Patienten sind nicht oder nur am Rande beteiligt,
und die Interessensvertreter der Forschung dominieren die
Ethik-Kommissionen. Das führt dazu, dass derzeit Ärzte und
Forscher
darüber entscheiden, ob ein medizinischer Versuch durchgeführt
werden
soll oder nicht, und sie kontrollieren den Versuch mehr oder weniger."
Die Psychiatrische Genetik basiert auf unbewiesenen Hypothesen
"Ich habe mit Nazis nichts zu tun", verteidigte sich Propping
gegenüber
Telepolis. Er habe Klage eingereicht, weil der Vorwurf, er sei ein
"Erbhygieniker", "völlig absurd" sei. In diesem Land könne
er sich nicht
als Nazi beschimpfen lassen. Eine Motivation für die Forschungen
seiner
Arbeitsgruppe sei es, Krankheitsursachen zu bestimmen, um daraus
Medikamente entwickeln und die Vorsorge verbessern zu können,
sagte
Propping. Das Interesse der Psychiatrischen Genetik, zu der Peter
Propping zu zählen ist, gilt insbesondere Erkrankungen des zentralen
Nervensystems, z.B. Epilepsie, Schizophrenie und vor allem der manischen
Depression. Ihre Vermutung: Es sind Gene, die den Austausch von
Nervenboten wie Dopamin und Serotonin hemmen oder zu stark fördern.
Dass menschliches Verhalten oder kognitive Leistungen des Gehirns
einer
genetischen Analyse zugänglich seien, ist innerhalb der
Biowissenschaften allerdings höchst umstritten. Dennoch sagte
Propping
gegenüber Telepolis, er kenne "keinen besseren Ansatz als den
genetischen", da dieser besonders viel erklären könne. Allerdings
blieben auch Peter Proppings Hypothesen bisher unbewiesen. "Wir haben
eine ganze Reihe von Varianten gefunden, aber noch keine, die bei
Schizophrenen häufiger ist als bei Gesunden", [7]räumt er
selbst ein.
Auch als er im Mai 1997 eine enge Korrelation zwischen einer bestimmten
Region auf Chromosom 18 und der
manisch-depressiven Erkrankung [8]nachweisen zu können glaubte,
konnte
kein "verantwortliches Gen" isoliert werden. Im Januar diesen Jahres
machte seine Arbeitsgruppe damit Schlagzeilen, ein auf Chromosom 8
liegendes Gen sei an depressiven Erkrankungen beteiligt. Auch diesmal
handelte es sich aber nur um eine [9]Vermutung.
Selektion von "Schizophreniegenträgern"?
Keine vergleichbare medizinische Richtung wird so entschieden
von den
Betroffenen abgelehnt wie die psychiatrische Genetik. Für
die
KritikerInnen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Schizo-Gen
gefunden wird: "Wie lange dauert es noch, bis sogenannte
'Schizophreniegenträger' abgetrieben und Embryonen verändert
werden!?"
fragte die Mitgliederversammlung des 800 Mitglieder starken
Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener anlässlich der Einsetzung
Peter
Proppings in den Ethikrat. Auf diese Vision angesprochen, sagte Propping
gegenüber Telepolis, eine Selektion werde "nie gehen", da es sich
bei
psychischen Erkrankungen nicht um monogen verursachte handele, vielmehr
sei "ein Muster von Genen in Wechselwirkung mit Umweltfaktoren" aktiv.
Dies begrenze die Vorhersagekraft von Gen-Tests.
Hier kehrt sich einerseits das übliche Argumentationsmuster
von
KritikerInnen und Wissenschaft um: Im Aufrufen des Horrorszenarios
glauben die KritikerInnen schon fast mehr an die Gene, als die
zweifelnden ForscherInnen. Dies könnte sich als Falle erweisen:
Wenn der
Forschung unterstellt wird, sie könne alles, ist es für die
Apologeten
der Forschung wiederum ein Leichtes, sich als differenziert und der
eigenen Grenzen bewusst darzustellen.
Andererseits kann die Befürchtung der Psychiatrie-Erfahrenen
- anders
angelegt - auch wieder stark gemacht werden: Gerade wenn sich die
Forscher selbst dessen bewusst sind, dass psychische Erkrankungen von
derart komplexen Ursachen sind, dass sie sich einer eindimensionalen
Erklärung widersetzen, und wenn ein "Schizophrenie-Gen" nie gefunden
werden wird, so ist es doch möglich, dass ein Test auf den Markt
kommt,
der - beruhend auf humangenetischen Untersuchungen von DNA-Variationen
-
die Eintrittswahrscheinlichkeit abzuschätzen verspricht. Im Kontext
der
pränatalen Diagnostik angewandt, hätte dies die befürchteten
eugenischen Effekte. Zusammenfassend könnte also gesagt werden:
Gerade
dass kein einzelnes Gen verantwortlich zu machen ist, macht wiederum
die
genetische Forschung an komplexen Erkrankungen so brisant.
Von der Rassenhygiene zur Humangenetik
Die Bezeichnung "Erbhygieniker" ist insofern paradox, da die
Zwangsmaßnahmen der NS-Erbgesundheit wie Sterilisation, Eheverbot
und
Mord heute nicht mehr verfolgt werden, eugenische Fragestellungen aber
nicht aus der modernen Humangenetik verschwunden sind und eugenische
Utopien sogar neu entworfen werden. Selbst wenn die Geschichtskonzeption
der Psychiatrie-Erfahrenen zunächst sehr holzschnittartig erscheint,
werden ihre Thesen von der historischen und sozialwissenschaftlichen
Forschung größtenteils bestätigt. Von dieser Seite
wird aber zunächst
auf die Unterschiede von Rassenhygiene und Humangenetik eingegangen,
um
erst in einem zweiten Schritt festzuhalten, welche Kontinuitäten
bestehen.
Nach 1945 galt es, die Humangenetik vom Geruch der
nationalsozialistischen Medizin und Eugenik zu befreien, schreibt etwa
Regine Kollek, Professorin für Technikfolgenabschätzung der
Biotechnologie an der Universität Hamburg und ebenfalls Mitglied
im
Nationalen Ethikrat. Der Bruch der neuen Humangenetik mit der alten
Eugenik habe erstens darin bestanden, dass die neue Humangenetik "sich
auf die Analyse solcher monogen bedingter Merkmale beschränkte,
bei
denen der Einfluss der Umwelt als gering galt." Dieses
Abgrenzungsprinzip werde heute wieder "durchlässig", schreibt
Kollek
weiter, da sich die Aufmerksamkeit der Humangenetiker "zunehmend wieder
auf die Erforschung komplexer Krankheiten" wie etwa der Schizophrenie
richte. Damit stünden wie zu Zeiten der alten Eugenik wieder
Verhaltensmerkmale auf der Forschungsagenda. Eine Anmerkung, die heute
übrigens in der deutschen Öffentlichkeit fast überhaupt
nicht diskutiert
wird.
Zweitens etabliert sich eine eugenische Praxis laut Kollek heute
über
eine im Rahmen individueller Gesundheitsvorsorge durchgeführte
Genomanalyse - im Gegensatz zur Erbhygiene, die sich auf ein Kollektiv,
das Volk oder die Rasse richtete. Gegenstand der Humangenetik ist nicht
mehr die "Erbgesundheit" der Bevölkerung, sondern die genetische
Beschaffenheit von Individuen. Sie will das Fortpflanzungsverhalten
außerdem nicht mehr durch staatliche Zwangsmaßnahmen in
den Griff
bekommen, sondern sieht sich als Bereitstellerin eines neutralen
Angebots, das die PatientInnen zur eigenverantwortlichen Selbststeuerung
nutzen können. Festzuhalten ist, dass die Humangenetik damit einem
grundlegend anderen Paradigma als die NS-Rassenhygiene folgt.
Auch wenn die moderne Biopolitik den Bevölkerungskörper
über die
individuellen Körper reguliert, so besteht die Parallele mit der
"Erbhygiene" in der eugenischen Zielsetzung, also der Verbesserung
der
genetischen Qualität durch administrative oder technologische
Maßnahmen.
Bei der pränatalen Diagnostik lässt sich etwa sehen,
dass die Ziele der
Rassenhygieniker heute durch die moderne Humangenetik umgesetzt werden.
Lisbeth N. Trallori hat darauf hingewiesen, dass Alfred Ploetz,
Begründer der deutschen Eugenik, auf den der Terminus "Rassenhygiene"
zurückgeht, bereits vorgedacht hat, was Gentechnik und Humangenetik
heute einlösen. Ploetz sei von der Optimierbarkeit des Menschen
überzeugt gewesen. Da die "natürliche" Selektion durch den
Zivilisationsfortschritt allerdings unwirksam geworden sei, müsse
eine
gesellschaftlich gesteuerte Selektion an ihre Stelle treten. In seinen
"Grundlinien einer Rassenhygiene" (1895) empfiehlt Ploetz laut
Trallori, Ehe und Fortpflanzung nur "hochwertigen" Paaren zu gestatten,
eine
medizinische Überwachung der Schwangerschaft und die Begutachtung
jedes
neugeborenen Babies - dem, wenn es "ein schwächliches oder
mißgestaltetes Kind" ist, "ein sanfter Tod bereitet (wird), sagen
wir
durch eine kleine Dosis Morphium".
Trallori schreibt, Ploetz sei vollkommen bewusst gewesen, dass
diese
"Ausjäte" - wie er den Tötungsakt nannte - Teil einer "rücksichtslosen
Rassenhygiene" und tunlichst zu vermeiden sei. Deshalb habe er
vorgeschlagen, diese "Ausjäte" auf das Niveau der Keimzellen zu
verschieben und an die wissenschaftliche Forschung appelliert,
sie
solle "Möglichkeiten der künstlichen Auslese der Keimzellen
(...)
entwickeln." Ploetz habe sogar ausdrücklich von der "Abwälzung
der
Ausmerzung von der Personenstufe auf die Zelllstufe" gesprochen. Zum
Schluss zitiert Trallori sein Fazit: "(...) wenn keine Schwachen mehr
erzeugt werden, brauchen sie auch nicht mehr ausgemerzt werden." Exakt
diese Überlegung ist es, die durch die pränatale Diagnostik
und die
Präimplanationsdiagnostik zunehmend umgesetzt wird und um die
es im
Grunde genommen bei dem Gerichtsverfahren
"Psychiatrie-Erfahrene gegen Humangenetik-Professor" ging: Die
eugenische Selektion wurde "von der Personenstufe auf die Zellstufe"
umgestellt.
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