Forum Bioethik
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Seattle
Seattle ist inzwischen zu einem Symbol geworden - zu einem Symbol
für Widerstand. Im gewissen Sinn mag es sogar für die bioethik-kritische
Bewegung interessant sein.
Bekanntlich fand Anfang Dez.1999 in Seattle (USA) eine Konferenz der
Welthandelskonferenz (WTO) statt. Es gab große Demonstrationen von
Gegnern,
man spricht von ca. 50 000 Demonstranten, die eine neue Art „pazifistischer
Kriegsführung“ (Die ZEIT, 21.09.2000/ S.18) mit Einsatz der neuen
Medien praktizierten. Schließlich erreichten sie, daß die ganze
Konferenz platzte, und die ganzen Umstände und Zusammenhänge
ließen aufhorchen.
Das Besondere war, daß diese Konferenz eine wichtige Stellung
in der Globalisierungsfrage hatte. Und zwar zeichnete sich seit Anfang
der 90iger Jahre eine neue Form der Globalisierung ab. Allein das Wort
„Globalisierung“ schien ein neues Zauberwort zu sein.
Die Folge war eine zunehmende Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten
vor allem in der sogen. 3.Welt mit teilweise verheerenden Folgen. Die Hauptinstrumente
der Globalisierung waren insbesondere drei Institutionen:
IWF,WTO und Weltbank. Sie erließen Regelungen und machten Auflagen
für Länder der 3.Welt, um die globalen Interessen der Industrieländer
durchsetzen zu können(z.B. Öffnung nationaler Märkte usw.).
Durch die mächtigen „Globalisierungsinstanzen“ (wie IWF, WTO, Weltbank)
gerieten vor allem auch die NGOs in den Ländern in eine derart machtlose
Situation, die zu Enttäuschung, Frustration und Depression führte.
Die Jahre 1994/95 waren absolute Tiefpunkt. Es erschien wie eine Art „Turbo-
Kapitalismus“, der
von den reichen Industriestaaten ausging und dem man nichts mehr entgegensetzen
konnte. Wie schlimm die Situation war, beschreibt Nicanor Perlas in seinem
Buch „Die Globalisierung gestalten“ vor allem am Beispiel der Philippinen.
Man fühlte sich dieser Situation ausgeliefert und vor allem bei NGOs
breitete sich das Gefühl von Resignation aus.
Dann kam eine Wende. Es gab erste Versuche, den „Diktaten“ der Industriestaaten
bzw. ihrer „Globalisierungsinstrumente“ etwas entgegenzusetzen, und tatsächlich
kam es zu einem enormen Erfolg im Jahre 1998, als das MAI- Abkommen nicht
zustande kam.
In Seattle sollte der Versuch gemacht werden, Das MAI- Abkommen in anderer
Weise zu verabschieden. Dazu kam es aber nicht. Durch einen ungeheuren
Protest von vielen, sehr unterschiedlichen NGOs, einem geschickten Einsatz
von Medien und einer neuen Art der Taktik platzte die Konferenz.
„Sie blockieren Wege und Hotels. Sie sind nicht wegzukriegen
An den folgenden Tagen zogen 50 000 Demonstranten durch Seattle. Aber
nicht so, wie man das von Ostermärschen her kennt, in einem langen,
braven Demozug, an dem die Teilnehmer der WTO-Konferenz hätten vorbeischauen
können, so wie man in Wimbledon an grölenden Fans vorbeischaut,
die nichts von Tennis verstehen. In Seattle mußten sie hinschauen.
Was sie sahen, war die hohe Kunst pazifistischer Kriegsführung.
Die Demonstranten verständigten sich über E-mail und Mobiltelefone
mit Konferenzschaltung. Sie waren mal in kleinen Gruppen unterwegs, mal
in großen, zerstreuten sich jäh, formierten sich neu, sangen
tanzten, liefen auf Stelzen, verkleideten sich als Schmetterlinge oder
Schildkröten, hatten Sanitäter dabei und Anwälte, Unterhändler,
Pressesprecher und Fahrradkuriere. Sie blockierten Hotels, Straßen,
Kreuzungen und das Theater, in dem die Konferenz eröffnet werden sollte.
Sie waren nicht wegzukriegen, was die Polizei auch tat. Und sie kamen aus
der ganzen Welt. Amerikanische Studenten waren unter ihnen, französische
Arbeiter und indische Bauern. Irgendwann mischten sich ein paar hundert
schwarz gekleidete Autonome unter sie und warfen Steine und Flaschen. Das
gab schlechte Bilder. Koreanische Priester in weißen Roben spielten
Flöte und liefen dabei vor Polizisten in schwarzen Rüstungen
herum. Das gab gute Bilder.
Am Ende platzte die WTO-Konferenz, und viele Beobachter hatten das
Gefühl, Zeugen von etwas Neuem zu sein: 50 000 Menschen, in ihrem
Tun nicht weniger erfindungsreich und effektiv als die Manager von Großkonzernen,
protestierten im Mutterland der freien Marktwirtschaft gegen die freie
Marktwirtschaft. In Anlehnung an den Davos- Man, den Würdenträger
der Weltwirtschaft, der sich alljährlich im schweizerischen Davos
mit seinesgleichen trifft, kam der amerikanische Ökonom Paul Krugman
auf einen neuen Begriff: Seattle- Man. Seattle- Mensch.
...
Die Geschichte ist zu Ende. Mit dieser These erregte der amerikanische
Politologe Francis Fukuyama vor elf Jahren viel Aufsehen. Dafür gab
es gute Argumente. Der Ostblock war zusammengebrochen, die revolutionären
Bewegungen in Lateinamerika waren gescheitert und die wenigen Länder,
die noch am Kapitalismus festhielten, isoliert. Der Kapitalismus hatte
gesiegt, nun, so Fukuyama, beginne eine Ära ohne Veränderungen.
Aufruhr, Umwälzung, Revolutionen werde es künftig nicht mehr
geben, stattdessen werde der Geist des freien Marktes zum politikfreien
Dauerzustand, der Drang nach immer höheren Profiten zum weltweit anerkannten
Leitmotiv. Fukuyama hat sich geirrt. Ein neuer Geist ist entstanden, schwach
noch, aber um sich greifend. Es ist der Geist des Unbehagens, der schon
immer die Veränderung gebar. (Die ZEIT, 21.09.2000)
Wo liegt nun der Bezug zur Bioethik?
Es ist ein Phänomen, wie seit Anfang der 90iger Jahre die Industriestaaten
durch ihre „Globalisierungsinstrumente“ einen Druck auf nationale Regierungen
der 3.Welt und insbesondere auf die dortigen NGOs ausüben konnten.
Und wie nach einer Phase der Machtlosigkeit 1994/95 plötzlich ein
unerwartetes Erstarken der NGOs einsetzte, so daß nun den rein wirtschaftlichen
Interessen der Industrieländer auch andere Werte entgegengesetzt werden
konnten und damit auch tatsächlich Erfolge erzielt wurden.
Die NGOs wurden nun Ende der 90iger Jahre zu einer Art neuen 3.Kraft
im Globalisierungsprozeß. Diese Kraft konnte nun nicht mehr unterschätzt
werden.
In Bezug auf Deutschland gibt es einige merkwürdige Parallelen
zum Bereich der Bioethik, die - so verschieden sie auch in Hinblick auf
diese Phänomene in der 3.Welt sein mögen - doch ins Auge
fallen. Drei Beispiele hierzu:
a. Zur Geschichte der „Bioethik-Konvention“
Anfang der 90iger Jahre wurde die Bioethik- Konvention quasi hinter
„verschlossenen Türen“ entwickelt. Eine öffentliche Diskussion
- wie man das vielleicht bei diesem sehr brisanten Thema hätte erwarten
können, gab es zunächst nicht. Erst durch Intervention von verschiedenen
Journalisten gelangte der Entwurf der Bioethik- Konvention an die Öffentlichkeit,
und durch Zusammenspiel von Einzelpersonen, NGOs und Medien entstand eine
breite Diskussion, die bewirkte, daß der Ursprungstext der Konvention
in mehreren Punkten wesentlich verändert wurde und die Bundesregierung
die Konvention auf Grund der starken Widerstände nicht unterzeichnete.
b. „Enquete- Kommission zur Bioethik gekippt“
Am 11.Sept.1999 stand plötzlich auf der ersten Seite in der Frankfurter
Rundschau ein großer Artikel mit der Schlagzeile „Enquete-Kommission
zur Bioethik gekippt“. Die ganze bioethik-kritische Bewegung fühlte
sich überrumpelt. Hier war wie in einem Staatsstreich über Nacht
eine Entscheidung rückgängig gemacht worden, die das Ergebnis
langer Diskussionen gewesen und u.a. auch ausdrücklich in dem Koalitionsvertrag
von SPD und Grünen genannt worden war. Hier war von der Einsetzung
von fünf Enquete- Kommissionen, darunter auch zur Bioethik, gesprochen
worden.
Nun hatten sich aber die Fraktionsvorsitzenden der Parteien (und nicht
nur der SPD und Grünen) kurzerhand darauf verständigt, diese
Enquete- Kommission nicht einzusetzen, da sie nicht nötig sei und
vor allem ein Handlungsdruck wegen neuer anstehender Gesetze gegeben sei.
Eine Enquete- Kommission würde dies um mindestens zwei Jahre verschieben.
Außerdem bedeutete eine Enquete- Kommission, daß das Thema
öffentlich diskutiert werden würde, was wahrscheinlich die Folge
hätte, daß viele Einwände kämen und manche Gesetze
zu der Thematik nicht verabschiedet werden könnten.
Jedenfalls: noch im Laufe des 11.Sept. setzte ein solcher Widerstand
ein ein, der schließlich dazu führte, daß die Enquete-
Kommission doch eingesetzt wurde. Im April/ Mai 2000 nahm sie dann ihre
Arbeit auf.
c. Das Europäische Patentamt (EPA) im München und
die Frage der Patentierung von menschlichen Genen.
Durch eine einzelne Person, nämlich Christoh Then von Greenpeace,
kam etwas in Gang, das schließlich die Arbeit des Europäischen
Patentamtes veränderte, indem er an einem konkreten Beispiel
diese in ein kritisches Licht rückte. Es ging um die Frage, inwieweit
Patente auf menschliche Gene möglich sind. Kann es überhaupt
eine solche Patentierbarkeit geben?
Durch die Intervention der erwähnten Person kam plötzlich
viel in Gang, so daß sich Politiker, Wissenschaftler und andere Personen
und Gruppen mit dieser Frage auseinanderzusetzen begannen.
Durch individuelles Engagement, der Unterstützung durch NGOs und
Medien fand eine Diskussion statt, die bewirkte, daß die Arbeit des
EPA transparenter und klarer wurde.
Fazit: So ist tatsächlich im Bioethik-Bereich zu beobachten, wie
sich die Rolle der NGOs verändert und daß sie zu einer wichtigen
Kraft werden, die auch Entscheidungsprozesse wesentlich mit beeinflußt.
Möge hier die Rolle der NGOs weiterhin wichtig bleiben, als bedeutender
Faktor in einem Gebiet, das gesellschaftlich von hoher Bedeutung
ist. Hoffentlich werden die Ereignisse von Seattle bewirken, daß
das Gefühl bei den NGOs bleibt, daß sie eine wichtige Rolle
spielen und inzwischen auch wirklich Gehör finden.
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