Forum Bioethik

C. Gerichtsurteile gegen Behinderte


Ein besonders merkwürdiges Phänomen sind die Gerichtsurteile gegen Behinderte bzw. Urteile, die für Behinderte diskriminierend erscheinen. Es gibt dabei einige sehr markante Urteile, die für Menschen, die mit Behinderten zu tun haben, kaum nachvollziehbar und eher ein deutliches Zeichen für den gesellschaftlichen Umschwung sind.

Eine besondere Stellung hat hierbei sicherlich das „Flensburger Urteil“, das im August 1992 vom Amtsgericht Flensburg verkündet wurde. Zum einen, weil die öffentliche Auseinandersetzung und Empörung in eine Zeit fiel, als auch zunehmende Gewalttaten gegen Behinderte in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Und andererseits, weil die Kritik daran auch sehr stark war.

Ob man diese Urteile nun auch in die Rubrik „Gewalt gegen Behinderte“ einordnen kann, sei dahingestellt. Illiger sieht hierin eine Form der „strukturellen Gewalt“, die für Behinderte doch erhebliche Auswirkungen hat.

Im „Flensburger Urteil“ ging es um eine Familie mit zwei Kindern, die eine Reise in die Türkei gebucht hatte. In ihrem Hotel war eine Gruppe von zehn z.T. im Rollstuhl sitzenden Schwerstbehinderten. Die Behinderten nahmen an den Mahlzeiten normal im Speisesaal teil. Für die Kläger war der Anblick ekelerregend und sie forderten später 10% des Reisepreises zurück.
Die Klage sei berechtigt, und in der Urteilsbegründung dazu hieß es: „Der unausweichliche Anblick der Behinderten auf engem Raum bei jeder Mahlzeit verursachte Ekel und erinnert ständig in einem ungewöhnlich eindringlichem Maße an die Möglichkeiten menschlichen Leidens. Solche Erlebnisse gehören nicht zu einem typischerweise erwarteten Urlaubsverlauf.“
Der damalige Justizminister in Schleswig- Holstein Klingner wollte sich angesichts des Urteils zwar bei den Familien der Betroffenen entschuldigen, aber selbst der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen Glombig zeigte ein „gewisses Verständnis“ für das Urteil.

Welch enormen Auswirkungen dies auf das Lebensgefühl von Behinderten hat, ist kaum einzuschätzen. Sicherlich ist es auch nur eine - aber sehr wichtige - Stufe, behinderten Menschen ihre Würde abzusprechen.

Vielleicht hat man sich inzwischen schon daran gewöhnt, den Anblick und das Sein von Behinderten als Beeinträchtigung zu erleben. Könnten auch nicht umgekehrt die Kläger verklagt werden, da sie durch ihre Klage behinderten Menschen ihre Würde absprechen? Dazu ein Kommentar des Münchener Psychotherapeuten Schmidbauer: „Zivilcourage läßt sich freilich mit moralischen Appellen herbeizaubern, aber sie läßt sich fördern - u.a. dadurch, daß mündigen Bürgern die juristische Legitimation entzogen wird, es gebe einen Rechtsanspruch auf eine behindertenfreie (Urlaubs-)Welt.“
 

Zwei weitere Gerichtsurteile gegen Behinderte:
- Kölner Urteil: „Lästigkeitsfaktor“
  Ein Klavierlehrer beschwerte ich darüber, daß im benachbarten Garten     Behinderte sich oft laut unterhielten. Das Gericht gab ihm recht, da die Behinderten nur in „Lauten“ kommunizieren würden.

- Oldenburger Urteil: „Kind als Schaden“
  Ein Kind sollte wegen einer Diagnose, nach der es behindert war, abgetrieben werden. Die Abtreibung gelang nicht, und das Kind wurde geboren. Dabei stellte sich heraus, daß die Diagnose falsch gewesen war (das Kind war im Mutterleib nicht behindert) und erst durch die mißglückte Abtreibung entstand eine Behinderung. Die Eltern verklagten den Arzt und erhielten Recht.

Es gibt weitere Urteile - dies sind jedoch die spektakulären. Sie zeugen von einer negativen Haltung gegenüber Behinderten und sind kaum mit dem Satz aus dem Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ zu vereinbaren.
 

Neuere Urteile und Infos

Hüppe: BGH-Urteil diskriminiert Behinderte und nötigt Ärzte zur Selektion 
    (Berlin, 19.06.2002) Pressemitteilung Hüppe 
 
 

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