Weshalb gerade Fritz Bauer?

Vor dieser Frage stand anfangs eine andere Frage, und zwar: Wer war Fritz Bauer überhaupt? Ich hatte den Eindruck, als wenn ihn fast niemand kennen würde. Daher am Anfang auch ein  Text mit diesem Titel. Da ihn – auch trotz des Filmes von Ilona Ziok – viele Personen Fritz Bauer noch nicht kennen, hier nur einige Angaben zur Person in Kürze, bevor ich zur 2. Frage komme:

Fritz Bauer wurde 1903 in Stuttgart geboren, war nach dem Krieg Generalstaatsanwalt zunächst in Braunschweig und ab 1956 in Frankfurt, wo er dann 1968 plötzlich starb. Dann geriet er in Vergessenheit. Zwar wurde 1995 das Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main gegründet, aber erst durch die Biographie von Irmtrud Wojak (2009) und den Fritz Bauer Film „Tod auf Raten“ von Ilona Ziok (2010) wurde Fritz Bauer langsam wiederentdeckt. Es lohnt sich, immerhin hatte er ja entscheidend dafür gesorgt, dass Adolf Eichmann in Argentinien  1960 gefasst und dass 1963-65 der Auschwitz-Prozess durchgeführt wurde.

Aber nun zur eigentlichen Frage: Weshalb die Beschäftigung gerade mit Fritz Bauer? Was ist das Besondere an ihm?

Die Aufarbeitung der NS-Verbrechen und insbesondere auch des Holocausts ist eine wichtige Angelegenheit. Daran war er beteiligt, aber sein Wirken und sein Impuls geht weit darüber hinaus.  Und es ist insbesondere die Art, wie er gehandelt hat, was Menschen faszinieren kann, gerade auch junge Menschen, die von ihm hören. Dass er sich für Aufarbeitung von Verbrechen eingesetzt hat, und zwar gegen alle Widerstände, mit denen er zu tun hatte. Es ist sein enormes Gerechtigkeitsempfinden, sich für Schwache, Unterlegene und Opfer einzusetzen.

So etwas ist selten in der deutschen Geschichte. In der englischen Geschichte ist das anders. Da gab es schon 1215 den Aufstand der Barone und die Magna Charta, und in der Literatur findet sich eine Person wie Robin Hood, der sich als Geächteter gegen die Reichen stellt und versucht, für Gerechtigkeit, für die Armen und Schwachen in der Gesellschaft zu kämpfen.

Zwar macht auch Fritz Bauer schon darauf aufmerksam, dass es etwas zeitgleich zur Magna in Deutschland den „Sachsenspiegel“ von Eike von Repgow (1215) gab, in dem das Widerstandsrecht gegen einen ungerechten Herrscher begründet wurde, aber in der konkreten deutschen Geschichte und Literatur finden sich dafür kaum Beispiele (Schiller mit seinem „Wilhelm Tell“ ist eine der wenigen Ausnahmen). Und in der Literatur, insbesondere in Büchern für Kinder und Jugendliche, gab es in Deutschland nichts Vergleichbares zu Robin Hood. Hier gab es Geschichten wie „Die Schildbürger“, „Die sieben Schwaben“, „Till Eulenspiegel“ oder „Münchhausen“, aber z.B. keine Geschichten, in denen schon Kinder sich mit Fragen der Gerechtigkeit und der Freiheit – in kindgerechter Form - auseinandersetzen konnten. Nur in den Grimmschen Märchen findet man oft den Sieg des „Guten“ und ein Umgehen mit moralischen Fragen, wenn auch diese manchmal wegen ihrer Heftigkeit heute kritisiert werden. Aber es geht eben um die Frage der Ausbildung eines moralischen Empfindens. Bei Fritz Bauer war es die Mutter, die ihm einen wichtigen moralischen Satz vermittelte, der sein ganzes Leben immer wieder durchzog. Auf die Frage „Was ist Gott“ hatte die Mutter gesagt, sie könne darauf keine Antwort geben, aber sie gab ihm den Satz mit: „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem andern Menschen zu“.  

Menschen, die in der deutschen Geschichte für Freiheit und Gerechtigkeit eintraten, sind selten. Eine Person wie Martin Luther ist hier eher ambivalent und tragisch. Er markiert mit seinem Handeln einen wichtigen welthistorischen Einschnitt, indem er sich auf das Gewissen berief, wobei es ihm gelingt, die europäische Christenheit von der Bevormundung des Papstes zu befreien. Er spricht auch von der Freiheit eines Christenmenschen. Dann aber wendet er sich angesichts der Gewalt im Bauernkrieg (1524/25) gegen die Aufständischen und später kommen noch seine Ausfälle gegen Juden und Behinderte dazu. Sein Impuls ist bedeutsam, aber insgesamt hat es keinen allgemeinen menschlichen Charakter. (Sehr im Unterschied zu Franz von Assisi, der ungefähr 300 Jahre vorher einen sehr menschheitlichen Ansatz gehabt hat). Hätte Luther die Gewissensfreiheit auf alle bezogen, so hätte große Weisheit in seinem Impuls gelegen, so war es „nur“ ein bedeutender welthistorischer Einschnitt.

Später dann finden sich bei Lessing und Schiller die Fragen wieder, die mit Toleranz, Widerstandsrecht und Menschenwürde zusammenhängen. Bei Goethe findet sich diese Frage weniger, seine Stärken liegen eher in anderen Bereichen, in der Literatur, Dichtung, in der Farben- und Metamorphosenlehre.

Bei Fritz Bauer spielen nun diese Fragen wieder eine zentrale Rolle. Er setzt sich für Menschenrechte und Menschenwürde ein und bringt dies in seiner autobiographischen Schrift von 1955 „Im Kampf um des Menschen Rechte“ zum Ausdruck. Und das Besondere an ihm ist eben die Art, wie er es umsetzt, gegen alle Widerstände und mit einer Hartnäckigkeit, Ausdauer und Geduld, die einfach beeindruckend ist. Es ist ein Appell – insbesondere auch an junge Menschen – nicht aufzugeben, wenn es um Gerechtigkeit und Menschenwürde geht.

Die Beschäftigung mit NS-Verbrechen und dem Holocaust ist etwas Geschichtliches. Hier wird etwas behandelt oder auch erforscht, was zu den großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte gehört. Es ist wichtig, dieses zu tun und auch daraus zu lernen.

Die Beschäftigung mit Fritz Bauer weist in die Zukunft: als eine Person, die sich für die Aufarbeitung von Verbrechen einsetzt, gegen Straflosigkeit eintritt, als eine Person, die durch sein Engagement Mut macht und Vorbild sein kann. Das ist das Besondere an ihm, gegen Widerstände, Verharmlosung und Vergessen.

Insofern ist es auch interessant, noch einmal den Blick nach England zu werfen, als etwa zeitgleich zu dem Wirken von Fritz Bauer in England „amnesty international“ 1961 entstand. Peter Benenson, einer der Begründer, war auch Jurist. Er hatte während des 2.Weltkrieges für die Unterstützung jüdischer Kinder in Nazi-Deutschland gesorgt und später, 1961, den Aufruf in der Londoner Tageszeitung „The Observer“ gestartet und sich für die Freilassung gewaltloser politischer Häftlinge eingesetzt. Daraus war ein Netzwerk von Menschen entstanden, die sich für Menschenrechte weltweit einsetzten.

Fritz Bauer kannte amnesty international und nahm angesichts eines Symposiums von ai zur „Spiegelaffäre“ schriftlich Stellung zur Frage der Pressefreiheit. Aber in Deutschland waren die Probleme insgesamt ganz anderer Art. Durch die Verbrechen der NS-Zeit bestand hier vorrangig die Notwendigkeit, diese aufzuarbeiten. Und hier wählte Fritz Bauer einen universellen Ansatz, indem er sich auf die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezog (wie sie im Kontrollratsgesetz Nr.10 vorlagen). Das brachte ihm zusätzlich Kritik und Widerstände innerhalb der Justiz ein.

Gerade die Art, wie er sein Handeln umsetzte, ist in Deutschland eher ungewöhnlich. Vielleicht mag es noch andere Personen in der deutschen Geschichte geben, die sich auch durch solchen Mut und solche Tatkraft auszeichneten. Fritz Bauer ist jedoch hier in besonderer Weise zu nennen. Sein Beispiel gibt Mut – auch für die Zukunft, wenn auch durch seinen plötzlichen Tod im Jahr 1968 vieles unvollendet blieb.

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