Schriftenreihe des "Freundeskreises Fritz Bauer"
Texte über den ehemaligen Generalstaatsanwalt in Braunschweig und Frankfurt am Main
Fritz Bauer (1903- 1968)

Heft 8:

Richard Wagner
als Vorbote eines neuen Antisemitismus

Texte zu Richard Wagner und seinen antisemitischen Schriften

 

1.  Fritz Bauer und Richard Wagner - ein Versuch
2.  Die Oper "Tristan und Isolde" - eingebettet in die antisemitischen    
     Schriften von Richard Wagner gegen Juden von 1850 und 1869
      Zur Oper "Tristan und Isolde" im Staatstheater Braunschweig 2011/12
3.  Richard Wagner und der Antisemitismus
      Wagners Schrift: "Das Judentum in der Musik" von 1850
      Ein Klassiker der bösartigen antisemitischen Texte - ein Vorbote des Holocaust?

 


1. Fritz Bauer und Richard Wagner - ein Versuch
oder wie Hitler als "Onkel Wolfi" den Wagner-Enkeln abends Räubergeschichten erzählt

Auf den ersten Blick gibt es kaum direkte Bezüge zwischen diesen beiden Personen. Fritz Bauer liebte eher das Theater, weniger die Oper. In den bisher bekannten Texten und Büchern von ihm, die von ihm erschienen sind, gibt es keine weiteren Hinweise auf Richard Wagner,  dessen Opern oder auch zu dessen Bezügen zum Nationalsozialismus.

In indirekter Weise hatte Fritz Bauer allerdings viel mit Wagner zu tun. Dieser hatte in seiner Hetzschrift "Das Judentum in der Musik" von 1850 Kriterien entwickelt, die Juden aus dem deutschen Geistes- und Kulturleben ausschlossen. Damit begann eine neue Phase der antisemitischen Hetze - Wagner war damit einer der Wegbereiter und wichtigen Weichensteller für das, was später zum Holocaust führte. Insofern war Fritz Bauer eines seiner Opfer, er, der sich als Deutscher fühlte und in die Rolle des Juden gedrängt und später entsprechend ausgegrenzt wurde: Berufsverbot nach 1933, Emigration nach Dänemark und Schweden, Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft usw.

Man kann sich fragen, ob hier nicht etwas zu weit gegangen und eine eher ungerechtfertigte Behauptung aufgestellt wird. Man sehen, dass es nicht der Fall ist und es viele Gründe gibt, die dies belegen. Es soll nichts verharmlost oder beschönigt werden. Die Musik von Wagner ist sicherlich großartig und bedeutend - allerdings wird sie immer einen merkwürdigen und faden Beigeschmack haben, so ganz anders als die Musik von Mozart oder Beethoven. Warum das so ist, soll im weiteren ausgeführt werden.

Aber Fritz Bauer ist nicht nur durch die markanten und protorassistischen Ausdrücke und Bemerkungen in Wagners theoretischen Schriften, Tagebucheintragungen und mündlichen Äußerungen und deren späteren Auswirkungen betroffen. Als Generalstaatsanwalt hatte er es schließlich mit den Tätern und Opfern des Holocausts zu tun. Insofern hatte Bauer auch in dieser Hinsicht mit Wagner, Bayreuth und dessen Umfeld als eines der entscheidenden geistigen und ideologischen Zentren des Nationalsozialismus, des Rassismus und des Antisemitismus zu tun

Jakob Katz schreibt in seinem Buch "Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus" von 1985 sehr vornehm, dass Bayreuth zu Richard Wagners Zeiten wie ein Magnet auf alle Personen gewirkt habe, die irgendwie mit Antisemitismus zu tun hatten.(1) Man könnte es auch weniger vornehm ausdrücken und sagen, dass von Wagner und Bayreuth sich Personen angezogen fühlten, die in irgendeiner Weise geistige Brandstifter und in späteren Zeiten  auch aktive Täter waren. Das schier Unfassbare des Holocausts zu erklären, ist nicht einfach und sicher sehr vielschichtig. Eine ganz wichtige Spur aber führt nach Bayreuth. Auch dies ist wiederum vielschichtig und zum Teil sogar eigenartig, weil es bis in familiäre und persönliche Zusammenhänge hineinführt, die manchmal fast zufällig erscheinen, gemeint sind die familiären Verbindungen z.B. zu Cosima Wagner, Houston Steward Chamberlain und Winifred Wagner mit ihren sehr eigenen Biographien und ihren engen Bezügen zu Antisemitismus und Rassismus. Die Auswirkungen reichen noch weit bis in die Gegenwart hinein. Die Auseinandersetzungen von Gottfried Wagner, einem Urenkel von Richard Wagner, mit seinem Vater Wolfgang Wagner und dem Wagner-Clan sind sicherlich nur ein Ausdruck dafür. Ausführlich ist es beschrieben in dem Buch von Gottfried Wagner "Wer nicht mit dem Wolf heult" von 1997. (2)

Mit Wolf ist hier Hitler gemeint. Dieser wurde ja von den Wagner-Enkeln liebevoll "Onkel Wolfi" genannt, wie es Friedelind Wagner in ihrem Buch "Nacht über Bayreuth"(1945) beschreibt. Sie hatte sich als einziges der vier Kinder von Winifred Wagner von dem Wagner-Clan und dem Nationalsozialismus schließlich distanzieren können und war 1940 aus Bayreuth im Alter von 22 Jahren in die Schweiz geflüchtet und dann in die USA emigriert, wo sie als "schwarzes Schaf" der Familie im Jahr 1945 ihr Buch herausgab. (3) Hitler war in den 20iger Jahren gern gesehener Gast im Haus Wahnfried, eng mit Winifred Wagner befreundet (die nach dem Tod ihres Mannes Siegried Wagner im Jahr 1930 ernsthaft überlegte, ob sie Hitler heiraten könne). Oft kam Hitler abends auf dem Weg von München oder Berlin in Bayreuth vorbei, besuchte die Familie und erzählte den Kindern abends gern noch vor dem Einschlafen seine Räubergeschichten. Später lud er die Kinder (Wieland, Wolfgang, Friedelind und Verena) gern nach Berlin in seine Reichskanzlei ein. (4)

Richard Wagner, schließlich auch Bayreuth und den Wagner-Clan sowie sein Umfeld im Lichte bzw. im Spiegel Fritz Bauers zu sehen, bedeutet eine kritische Analyse und Beurteilung dessen, was sich dort vor Ort und bei den Menschen abgespielt hat. Wobei auch auf die einzelnen Abstufungen hinzuweisen ist, die es jeweils gegeben hat und in welcher direkten oder indirekten Beziehung sie zum Holocaust stehen.

Harald Welzer beschreibt in seinem Buch "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden" (5) die verschiedenen Stufen des Prozesses der Vernichtung. Er weist darauf hin, dass in der Anfangsphase oft noch kein Empfinden oder eine Vorstellung von dem vorhanden ist, was dann in den späteren Stufen erfolgt. Es ist aber wichtig, alle einzelnen Stufen zu betrachten und die jeweilige Dynamik zu verfolgen.

Bei Richard Wagner kommt man hier zu den Anfängen. Sicherlich hat es den Antisemitismus schon vor Wagner gegeben und der Antijudaismus mit entsprechenden Folgeerscheinungen ist seit Beginn des Christentums eines seiner Kennzeichen. Aber mit Wagner beginnt etwas Neues...

Mit der Schrift "Das Judentum in der Musik" geht er über das hinaus, was man aus anderen antisemitischen Texten aus der 1.Hälfte des 19.Jahrhunderts kennt. Er verwendet rassistische Begriffsmuster, obwohl es den Begriff der Rasse in der später verwendeten Form noch nicht gibt. So schreibt er
-  von der "unbewussten Empfindung, die sich im Volk als eine innerliche Abneigung gegen jüdisches Wesen kundgibt"
- "das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen des Juden für uns hat"
- vom "instinktiven Widerwillen gegen das jüdische Wesen"
- "die für uns widerliche Besonderheit  der jüdischen Natur" usw. (6)

Die Begrifflichkeiten zeigen, dass Wagner den Begriff der Rasse noch nicht kennt (er lernt ihn erst später durch Gobineau kennen, den er sehr schätzt und der einige Wochen zu Besuch im Haus Wahnfried ist), dass er aber Kriterien entwickelt, die später in der Rassentheorie eine Rolle spielen. Dazu gehört auch, dass das Jude-Sein nicht mehr durch die Taufe aufgehoben werden kann. Und Wagner verwendet zum ersten Mal "der Jude" im Singular, was später dann für den Rassenantisemitismus kennzeichnet ist.

In der Musik spricht Wagner "dem Juden" jegliche Fähigkeit und Produktivität ab. Er  sei unfähig, im Bereich der Musik schöpferisch zu werden, und Wagner wendet sich vor allem gegen Giacomo Meyerbeer, den er lange Zeit verehrt  hat. Dieser ist sehr erfolgreich und steht zu seiner jüdischen Herkunft. Neid und Missgunst spielen bei Wagner sicher eine große Rolle, da er, der sich selbst für den Größten der Komponisten hält, noch kaum anerkannt und nur wenig erfolgreich war. Er, der die Welt durch sein Musikdrama erlösen will...

Für Wagner war Beethoven das große Vorbild und der Maßstab für bedeutende Musik. Es ist dann schon fast eigenartig, dass Wagner ausgerechnet dessen "Neunte Sinfonie" anlässlich der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses aufführen wird (7) Wenn dort  im Schlusschor das Bekenntnis zur Idee der Menschheit erklingt "Alle Menschen werden Brüder..." , so liegt bei Wagner jetzt genau das Gegenteil vor: bei ihm geht es um Ausgrenzung und Abwertung von Menschen, sozusagen ein genaues Gegenbild zu Beethoven.

Die Schrift "Das Judentum in der Musik" war der erste Versuch von Wagner,  Menschen, die ihm nicht gefallen, auszugrenzen - zunächst noch vorsichtig, da er es unter dem Pseudonym K.Freigedank veröffentlichen ließ. Einige Jahre später gab er das Werk, mit einem  ausführlichen Nachwort versehen, jedoch erneut heraus - jetzt unter seinem richtigen Namen, und zwar im Jahre 1869. Es war ausgerechnet das Jahr, in dem die Emanzipation nun auch noch per Gesetz erfolgte.

In der Broschüre von 1850 hatte er noch am Schluss geschrieben: "...nehmt rückhaltlos an diesem selbstvernichtenden blutigen Kampfe teil, so sind wir einig und untrennbar. Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasvers - der Untergang." (8)Manche Interpreten Wagners sahen hier schon in den Worten "Selbstvernichtung" und "Untergang" einen Hinweis auf die spätere Tötung von Juden im Holocaust. Das mag etwas weit gegriffen sein. Allerdings muss man berücksichtigen, wie weit Begriffe missverstanden werden können bzw. was sie auslösen können.

Bei der Neuveröffentlichung des Textes im Jahr 1869 erfolgt dann noch eine entscheidende Verschärfung. Dort heisst es bei Wagner: "Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist." (9) Heute weiß man, welche Kräfte es waren: es waren u.a. die Personen, die in Bayreuth und im Haus Wahnfried später gern gesehen waren wie Hitler, Himmler, Goebbels, Göring, Heß und viele andere. Und nach 1945 waren einige der überlebenden Angehörigen wie Emmy Göring und Frau Hess wieder gern gesehene Besucher von Winifred Wagner, die auch später noch von ihrem "Wolfi" schwärmte, nicht zuletzt in dem suspekten Film von Syberberg "Winifred Wagner".

Bei Richard Wagner sind die Vorstufen erkennbar. Hier entwickeln sich die ersten Formen des neuen Antisemitismus, des späteren rassischen Antisemitismus. In seiner Stellung zu Juden konnte so Wagner später für die Nationalsozialisten leicht als Vorbild dienen. Zwei Stränge der Entwicklung führen dann letztlich dort hin: zum einen über die Fortsetzung der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von seiner Frau Cosima Wagner und dem "Bayreuther Kreis" und andererseits über Houston Stewart Chamberlain (dem Schwiegersohn von Richard Wagner) und dessen Schrift "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (1897), in der die Rassentheorie entscheidend entwickelt wurde und die sehr einflussreich war.

Es wäre interessant zu sehen, wie Fritz Bauer dies eingeschätzt hätte. Die Bayreuther Festspiele haben das 3.Reich überlebt. Die Musik von Wagner bringt aber immer wieder eine Auseinandersetzung mit dieser dunklen Zeit. Sie gipfelt schließlich in dem Schlusssatz des "Parsifals", der lautet "Erlösung dem Erlöser" Was mag Wagner damit gemeint haben? Soll es die Reinigung der Jesus-Gestalt von jedem jüdischen Bezug deuten, wie manche Forscher es sehen (10) oder gibt es noch andere Deutungen? Greift hier der Antisemitismus von Wagner bis in sein Musikwerk hinein? Es bleiben viele Fragen.

Es hat NS-Prozesse gegen Juristen, Ärzte und andere Gruppen gegeben. Wie ist es mit den Musikern, Dirigenten, Komponisten der NS-Zeit? Auch hier könnte noch manches aufgearbeitet werden.

U. Dittmann

 

Anmerkungen:
1. Jakob Katz: Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus. Königstein/Ts. 1985.
2. Gottfried Wagner: Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels (1997). Köln. 2010.
3. Friedelind Wagner: Nacht über Bayreuth. Die Geschichte der Enkelin von Richard Wagners (1945). München. 2002.
4. Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München. 2003.
5. Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt. 2011.
6. Richard Wagner in: Jens Malte Fischer: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik". Frankfurt .2000. In diesem Buch ist auch der Text von Wagner in der Fassung von 1850 (und in der veränderten Fassung von 1869) vollständig abgedruckt.
7. Martin Geck: Richard Wagner. Hamburg. 2011. S. 108
8. Richard Wagner: Das Judentum in der Musik (1850), in: Jens Malte Fischer: a.a.O. S.173
9. Richard Wagner: Das Judentum in der Musik (1869), in: Jens Malte Fischer: a.a.O. S.196
10. siehe: Jakob Katz: Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus. Königstein/Ts. 1985, S.198, sowie Hartmut Zielinsky: Richard Wagner. Ein deutsches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876-1976. Berlin. 1983.

 

Zur Aufführung von "Tristan und Isolde" von Richard Wagner
im Staatstheater Braunschweig 2011/2012

2. Die Oper "Tristan und Isolde" - eingebettet in die antisemitischen Schriften von Richard Wagner gegen Juden von 1850 und 1869

Zunächst vorneweg: ich liebe die Musik von Richard Wagner - so auch seine großartige Oper "Tristan und Isolde". Was mir ein Rätsel ist: wie ein Mensch, der solche Musik komponieren kann, so hasserfüllt, intrigant und niederträchtig sein kann. Wie ganz anders ist da Mozart, dessen Musik ich ebenso liebe.

In einer Biographie über Wagner heisst es: "Wirklich ist es leicht, an Richard Wagner Selbstvergottung, Besserwisserei und Abhängigkeit von Luxus zu kritisieren oder die Stabreime seiner Dichtungen zu bespötteln. Und gar der Antisemitismus: ein offenes Scheunentor! Lässt sich das aufrechnen gegen den anderen Wagner: den Philosophen, Mythenschöpfer, Dichter und Komponisten?" (1)

Insofern hat man es mit zwei Seiten von Wagner zu tun, die man kaum voneinander trennen kann. Einerseits die geniale Musik, andererseits eine Fülle negativer persönlicher Eigenschaften. Das Markante ist, dass es jeweils eine große Auswirkung auf andere gehabt hat, auf seine direkte Umgebung, auf seine Zeitgenossen und auf die spätere Zeit – bis heute.

So leicht, wie es sich der Biograph Martin Geck in seinem aufgeführten Zitat macht, kann es kaum stehen bleiben. Die Größe von Wagner als Komponist und Musiker kann den Antisemitismus von ihm mit seinen weitreichenden Auswirkungen nicht vergessen machen. Da kommt man schnell auf eine schiefe Bahn. Die verheerende Wirkung von Wagner als Antisemit sollte schon präsent sein – sonst kann man viele der späteren Entwicklungen auch in der deutschen Geschichte sowie im Wagner-Clan nicht verstehen.

Welchen Bezug hat dies zur Oper „Tristan und Isolde“? Zunächst ist es ja eine romantische Oper mit Motiven aus dem keltischen Kulturkreis, es spielt in Irland und Cornwall. Antisemitische Züge sind hier nicht zu erkennen, es ist eine reine, aber tragische Liebesgeschichte. Aber sie fällt in die Zeit, in der Wagner seine antisemitischen Ansichten wesentlich entwickelt und zum Ausdruck gebracht hat. Das sollte man nicht vergessen.

Die Schrift „Das Judentum in der Musik“ von 1850
Die Uraufführung von „Tristan und Isolde“ war am 10.Juni 1865 in München. Einige Jahre vorher hatte er eine merkwürdige Schrift geschrieben und diese unter dem Pseudonym K.Freigedank veröffentlicht.

Mit dieser Schrift von 1850 erfolgt ein tiefer Einschnitt in der Geschichte des Antisemitismus. Der bisherige „christliche“ Antisemitismus wird abgelöst von einem neuen biologistischen, rassischen Antisemitismus. Wagner liefert hier in seiner Schrift wesentliche Grundlagen dafür. Er verwendet und beschreibt Phänomene in einer sehr subjektiven Weise, für die es bis dahin noch nicht die entsprechenden Begrifflichkeiten gab. Auch der Begriff „Antisemitismus“ wurde erst später – 1879 von Wilhelm Marr – geprägt. In seinen Angriffen gegen Juden benutzt er zum ersten Mal das Wort „Jude“ im Singular. Das ist ein Sprachgebrauch, der später im rassischen Antisemitismus und insbesondere im Nationalsozialismus gebräuchlich war.

Einige Jahre nach Erscheinen der Schrift beginnt Wagner mit der Arbeit zu „Tristan und Isolde“. In dieser Zeit verfestigen sich die protorassistischen Haltungen von Richard Wagner, die dann schließlich zu einer Neuherausgabe der Schrift im Jahre 1869 führen – jetzt unter seinem richtigen Namen und mit einem ausführlichen Nachwort, in dem die ursprünglichen Ausführungen noch erheblich verstärkt werden. Kurz vorher – im Jahre 1868 – war noch die Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ erfolgt.

So sind beide Opern, „Tristan und Isolde“ (1865) und die „Meistersinger“ (1868), eingebettet in die berüchtigte Schrift über das Judentum von 1850 und der Neuherausgabe von 1869, wobei in der erweiterten Neuauflage von 1869 regelrechte Wahnvorstellungen von einer Verschwörung des Judentums gegen seine Opern zu finden sind.

Inzwischen gehört diese Schrift zu den bösartigen klassischen Texten des Antisemitismus.
Vollständig abgedruckt sind beide Fassungen in dem lesenswerten Buch von Jens Malte Fischer „Richard Wagners ‚Judentum in der Musik’“, in dem sie auch kritisch kommentiert und erläutert werden. Auch werden nähere Hintergründe beschrieben, insbesondere wie sich der Antisemitismus bei Wagner entwickelt hat. (2)

Kurz vor der ersten Herausgabe der Schrift im März 1850 war Wagner noch im Februar des Jahres in Paris gewesen und fühlte sich wiederholt gedemütigt, weil seine bisherigen Opern wie der „Fliegende Holländer“, „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ noch nicht den erhofften Erfolg hatten. Wieder sieht er dort eine Oper von Giacomo Meyerbeer (den „Prophet“). Meyerbeer war damals der erfolgreichste Opernkomponist seiner Zeit, und er war Jude. Wagner versteigt sich in einen Hass gegen Meyerbeer, den er Jahre vorher noch sehr geschätzt und auch hofiert hatte. Seine Schrift über das Judentum ist in erster Linie ein Angriff auf Meyerbeer und eine etwas unqualifizierte Abrechnung mit ihm. Allerdings hat die Schrift zunächst noch keine große Wirkung, da sie in einer Musikzeitschrift erscheint und so nur in einem kleinen Kreis von Musikfachleuten bekannt wird.

Protorassistische Ausdrücke in der Schrift über das Judentum
Wagner schreibt dort von der „Verjüdung der modernen Kunst“, er weist auf das äußerlich Fremdartige des Juden hin, auf „das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen des Juden für uns hat“, die Musik der Synagoge mache einen „widerwärtigen Eindruck mit ihrem Gegurgel, Gejödel und Geklapper“, insgesamt sei der Jude völlig unproduktiv und „unfähig, im Bereich der Musik schöpferisch zu werden“. (3)

Außer gegen Giacomo Meyerbeer wendet sich Richard Wagner auch gegen Felix Mendelssohn Bartholdy, den er früher ebenfalls sehr geschätzt hatte. "Dass Wagner Mendelssohn, indem er ihn in das von seinen Eltern abgelegte Judentum zurückwies, in einen deutlichen Gegensatz zum Deutschen brachte, ist eine besondere Infamie gegenüber einem Mann, der sich intensiv als Christ und Deutscher fühlte." (4)  Wenn er weiter von dem "instinktmäßigen Widerwillen gegen das jüdische Wesen" und "die für uns widerliche Besonderheit der jüdischen Natur" schreibt, so verwendet Richard Wagner - der den Begriff der Rasse im späteren Sinn noch nicht kennt -  Begrifflichkeiten, die geschichts- und religionsunabhängig sind und dass der Befund des "Jude-Seins" sich selbst durch die Taufe nicht mehr aufheben lässt. Damit ist der Weg für den späteren biologistischen Antisemitismus vorgezeichnet.

In der Schrift von 1850 machte er sich dann weitere Gedanken über Juden. "Aber bedenke, dass nur eines Eure Erlösung von dem auf Euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasvers: der Untergang." (5) Hundert Jahre später war es dann so weit. Was dann geschehen würde, konnte Wagner nicht vorhersehen. Aber wenn man in dieser Weise hetzt, muss man sich nicht wundern, wenn es bei anderen weiter wirkt. Insofern ist Wagner hier ein geistiger Brandstifter und in gewisser Weise für die weiteren Folgen mitverantwortlich. Ihn hiervon freizusprechen, ist ein Unding, auch wenn man seine Musik mag.

Bei der Neuveröffentlichung der Schrift von 1869 wird es in dem dortigen Nachwort noch bedenklicher und bedrohlicher, wenn es heißt: "Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist." (6) Inzwischen kennen wir die Kräfte und auch die entsprechenden Namen dazu, sie sind später im Haus Wahnfried gern gesehene und geschätzte Gäste gewesen wie Hitler, Goebbels, Göring, Heß usw. Immerhin gesteht Wagner in einer späteren Schrift über "Kunst und Religion" (1882) den Deutschen die Durchführung  "dieser großen Lösung" zu.

Wie gesagt, was später kam, konnte Wagner nicht wissen. Aber er war ein Weichensteller, und schon zu seinen Lebzeiten wurden Antisemiten aller Art von ihm und Bayreuth wie von einem Magneten angezogen. (7) Auch die weiteren Stufen über Personen wie Cosima Wagner, Houston Steward Chamberlain und Winifred Wagner liegen folgerichtig auf dem Weg. Bayreuth wurde damit eines der wichtigsten geistigen und ideologischen Zentren des Nationalsozialismus und Antisemitismus im 20.Jahrhundert.

Eine Tagebucheintragung von Cosima Wagner vom 11.Oktober 1879 zeigt, dass beiden - Richard und auch Cosima Wagner - die Bedeutung ihrer Judenhetze bewusst war. Im September 1879 hatte es von dem protestantischen Hofprediger Alfred Stoecker in Berlin eine Brandrede gegen Juden gegeben, durch die die neue Phase der antisemitischen Stimmung begann, und die in den 80iger und 90iger Jahren des 19.Jahrhunderts ihren vorläufigen Höhepunkt fand. In Cosimas Eintrag heißt es: "...eine sehr gute Rede des Pfarrers Stoecker über das Judentum (gelesen). R. ist für völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, daß wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat." (8) Die Einschätzung von Cosima Wagner scheint hier ganz richtig zu sein.

Während der Antisemitismus von Wagner sich in den Schriften von ihm ab 1850 entwickelt und auch in seinen Spätschriften zu finden ist, findet man in den Opern zunächst keinen direkten Ausdruck davon. Wagner war sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass sich das negativ auf die Wirkung der Opern und auf seinen Erfolg ausgewirkt und das Publikum begrenzt hätte - genau das wollte Wagner ja nicht. (9) Trotzdem fällt es schwer, die Musik von ihm ohne die antisemitischen Angriffe und deren Auswirkungen zu hören. Sie fallen wie ein Schatten auf die Musik - selbst bei hervorragenden Aufführungen und großen Dirigenten.

Es ist vielleicht noch ein anderer Punkt, der bei der Oper "Tristan und Isolde" zu denken geben könnte. Es ist die Handlung selbst, die große Liebe zwischen Tristan und Isolde. Wenn man diese Liebe mit der aus einem anderen großen Liebesdrama vergleicht, nämlich mit "Romeo und Julia", scheint es gravierende und folgenreiche Unterschiede zu geben. Die Liebe von Romeo und Julia beruht auf wirklicher persönlicher Zuneigung, es ist eine tiefe und durch die Umstände tragische Liebe. Die Liebe von Tristan und Isolde ist anders, sie hat etwas Zufälliges, nicht Gewachsenes - sie ist ja entstanden bei Wagner durch die Vertauschung des Zaubertranks. Eigentlich hasst  Isolde Tristan, weil er ihren Geliebten im Kampf erschlagen hat. Sie will ihm den Todestrank geben, aber ihre Zofe Brangäne bringt das nicht übers Herz und gibt beiden statt des Todstranks den Liebestrank. Dadurch entsteht eine Liebe, die im Grunde wenig Ich-Haftes hat. Es ist eine Liebe, entstanden wie durch eine Droge.
Das weist auf ein anderes Phänomen hin, das hier nur kurz erwähnt werden soll - auf das Problem der Ent-Ichung". Es scheint bei Wagner eine größere Rolle gespielt zu haben - auch in seiner konkreten Umgebung. Er selbst forderte Verehrung ein; wer ihn nicht schätzte, wurde verdammt. Er forderte völlige Selbstaufgabe und Unterwerfung, sicherlich keine große
Zumutung für Menschen, die ihn als "Meister" ansahen und entsprechend ansprachen. Dadurch war ein unseliger Personenkult entstanden, der nicht berücksichtigte, dass es auch viele andere "Meister", Musiker wie Komponisten, gegeben hat. Wagner ist schon ein bedeutender Musiker, aber eben nur einer unter vielen anderen. Das wurde (und wird  auch heute) in Bayreuth noch leicht vergessen.

Nichtsdestotrotz ist die Musik von "Tristan und Isolde" großartig. Und die Aufführung in Braunschweig war rundum gelungen. Wer die Möglichkeit hatte, sie zu sehen, wird es bestätigen.

U.D.

Anmerkungen:
1. Martin Geck: Richard Wagner. Reinbeck. 2011. S.7
2. Jens Malte Fischer: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Frankfurt. 2000
3. a.a.O. S. 145
4. a.a.O. S. 56
5. a.a.O  S. 83
6. a.a.O. S.196
7. siehe Jacob Katz: Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus. Königstein.1985
8. Fischer: a.a.O. S.14
9. a.a.O. S. 15

 

3. Wagners Schrift: "Das Judentum in der Musik" von 1850
Ein Klassiker der bösartigen antisemitischen Texte - ein Vorbote des Holocaust?

Die Schrift "Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner aus dem Jahr 1850 gehört zu den bösartigen klassischen Texten des Antisemitismus. Wagner hatte sie zunächst unter dem Pseudonym  G.Freigedank in der "Neuen Zeitschrift für Musik" veröffentlichen lassen. (1) Diese Zeitschrift war 1834 von Robert Schumann gegründet worden und orientierte sich an romantischer Musikauffassung. Schumann hatte sich dann 1844 aus der Zeitschrift zurückgezogen; sein Nachfolger wurde Franz Brendel, der die Zeitschrift dann in den Jahren 1845-1868 herausgab. Dieser veröffentlichte den Text von Wagner, ohne sich jedoch von Inhalten zu distanzieren -  wegen "der geistigen Freiheit", wie er meinte. Die Schrift erreichte zunächst nur ein kleines interessiertes Fachpublikum, rief einige scharfe Reaktionen hervor, blieb aber noch ohne größere Wirkung. Viele der Leser ahnten, dass Wagner der Verfasser sei, allerdings gab der Herausgeber Brendel den Namen nicht preis.

Dann ließ Richard Wagner die Schrift im Jahr 1869 noch einmal erscheinen, jetzt unter seinem richtigen Namen und versah sie mit einem ausführlichen Nachwort, in dem eine weitere Verschärfung des Textes erfolgte. Und nun erreichte sie eine Breitenwirkung, dass man in dieser Schrift eine Art Vorläufer der um 1879 ausbrechenden antisemitischen Welle sehen kann. (2) In der Forschung wurde oft nur der Text von 1850 behandelt; dies ergibt aber nur ein unvollständiges Bild, da erst die erweiterte Zweitpublikation von 1869 eine Wirkung "mit durchschlagender Wucht" erzielte. (3)

Es ist oft die Frage behandelt worden, inwieweit in dieser Schrift ein direkter Vorläufer der die Judenvernichtung im Holocaust im 20. Jahrhundert zu sehen ist. Die Frage ist nur schwer zu beantworten - man wird sie wohl offen lassen müssen. Trotzdem sollte die Schrift analysiert werden, in ihren Inhalten sowie in ihren Auswirkungen. Beides ist in der Öffentlichkeit nicht so bekannt und wird auch gern von seiner Musik abgetrennt.

Gerade aber das ist ein Problem. Man kann den Menschen Wagner mit seinen Ideen nicht von seiner Musik trennen. Sonst sind viele Phänomene bei Wagner - auch in seiner späteren Zeit nicht zu verstehen, z.B. wenn ausgerechnet der Jude Hermann Levi, eine der besten Dirigenten seiner Zeit, das "heilige Bühnenweihspiel 'Parsifal' aufführen sollte. Wagner aber hatte große Probleme damit und stimmte schließlich nur unter Vorbehalten zu. Oder wenn man an die "Patronatsscheine" denkt, mit denen später die Richard-Wagner- Vereine Geld einsammeln, wollten, um weitere Aufführungen der Bayreuther Festspiele zu finanzieren. Diese durften nicht an Juden ausgegeben werden.

Der Antisemitismus bei Wagner ist gravierend. Aber auch der weitere Verlauf nach seinem Tod 1883 ist wichtig, da in seiner ganzen Familie der Antisemitismus eine bedeutende Rolle spielte, so bei seiner Ehefrau Cosima Wagner (1837-1930),  seinem Schwiegersohn Houston Steward Chamberlain (1855-1927) und seinem Sohn Siegfried Wagner (1869-1930). Dessen Frau Winifred Wagner war eine glühende Hitler-Verehrerin. (4) Von Richard Wagner führen so direkte Wege zu Hitler und dem Nationalsozialismus. (5) Bayreuth, mit seinem "Bayreuther Kreis" und den Festspielen, wird so zu einem der wichtigen Zentren für Nationalsozialismus, Rassentheorie und Antisemitismus. Schon zu Richard Wagners Zeiten fühlten sich Antisemiten aller Art von Wagner und Bayreuth angezogen. Diese Entwicklung setzte sich seinem Tod fort - bis hin zu Hitler, der gern gesehener Gast im Haus Wahnfried war.

Aber auch nach 1945 gibt es problematische Entwicklungen. Diese sind aber wiederum ein eigenes Kapitel und wirken sich nicht zuletzt tief in dem problematischen Verhältnis des Wagnerenkels Wolfgang Wagner und seinem Sohn Gottfried Wagner aus. (6)

Antisemitismus, offene und versteckte Judenfeindschaft spielen so in der Wagner-Familie traditionell eine zentrale Rolle. Bei Richard Wagner sind die Anfänge zu erkennen. Und es ist fast klassisch an ihm zu sehen, wie aus einer Mischung aus Neid und Missgunst sich bei ihm eine antisemitische Haltung entwickelt, die anfangs noch gar nicht vorhanden war. (7)

Die Schrift "Das Judentum in der Musik" von 1850 ist ein erster Ausdruck davon und erfährt in seinen späteren Schriften eine weitere Steigerung. Durch die Bedeutung von Richard Wagner als Musiker und Komponist erhalten aber auch seine Schriften ein großes Gewicht - so wird er - mehr oder weniger - ein "Vorbote" (8) des neuen Antisemitismus.

U.D.

 

Anmerkungen.
1. Die Schrift von Richard Wagner: "Das Judentum in der Musik" ist in den Fassungen von 1850 und 1869 abgedruckt in: Jens Malte Fischer: Richard Wagners 'Judentum in der Musik' "
Frankfurt. 2000.
2. siehe Jens Malte Fischer: a.a.O. S.16
3. ebd. S.16
4.siehe: Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München. 2003
sowie Klaus Umbach: Das herrscherliche Wurzelweib (in Spiegel-online)  www.spiegel.de/spiegel/print/d-22644322.html
5. Joachim Köhler: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. München.1997.
6. Gottfried Wagner: Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels. Köln 2010.
7. siehe auch: Jens Malte Fischer: a.a.O.
8. Jacob Katz: Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus. Königstein/ Ts. 1985.

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