Anmerkungen zu dem Buch "Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht" von Ronen Steinke

Einige kritische Anmerkungen zu dem neuen Buch über Fritz Bauer, das am 1.Oktober 2013 erschienen ist

Manches irritiert an dem Buch. Es ist eher ein "journalistisches" Werk über Bauer, weniger ein "wissenschaftliches" Buch. Schon die sehr eigenwillige Zitierweise ist ungewöhnlich (die zahlreichen Zitate werden nicht einzeln markiert, sondern im Anhang beschrieben), andererseits liest sich das Buch dadurch sehr flüssig. Auch gibt es am Ende nur eine kurze Auswahlbibliographie, die der Fülle der benutzten Werke nur ansatzweise gerecht wird. (1)

Geht es um den Auschwitz-Prozess? Der Titel lässt es vermuten, aber in weiten Teilen des Buches werden auch andere Episoden aus Bauers Leben behandelt. Erst ab Seite 152 wendet sich Steinke der Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses zu (von 279 Textseiten). Vorher werden zahlreiche biographische Stationen aus Bauers Leben beschrieben, wobei auch interessantes neues Material verwendet wird. Trotzdem mag es verwundern, wenn nun Steinke mit diesem Werk als der Biograph Bauers vom Fritz Bauer Institut bei der Buchvorstellung in Frankfurt angekündigt wurde. Das ist etwas irreführend und hat wohl mehr damit zu tun, dass die eigentliche Bauer-Biographin Irmtrud Wojak vom Institut eher gemieden wird. Trotzdem ist das Buch von Steinke durchaus interessant.

Nach der verdienstvollen Arbeit von Matthias Meusch über Bauer aus dem Jahre 2001 (2), die leider nicht sehr bekannt gewordenen ist, hat Irmtrud Wojak eine wichtige Pionierarbeit geleistet und eine sehr einfühlsame und treffende Biographie geschrieben, die 2009 erschienen ist. (3) Sie hat damit eine Grundlage für weitere Forschung gelegt, auf der auch Steinke aufbaut, ohne es weiter ausdrücklich zu erwähnen. Nur an einer Stelle im 1. Kapitel verweist der Autor kurz auf diese beiden "hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten", die aber in einem breiteren Publikum keine Resonanz gefunden hätten. (4) Vor allem weiße Flecken seien geblieben. (5) Damit hat Steinke sicher recht, denn diese Bücher haben eine erste wichtige Forschungsarbeit geleistet, auf die seitdem aufgebaut werden kann.

Nun bringt Steinke in seinem Buch eine Fülle an neuem Material ein, das bisher nicht bekannt war und eine gute und wichtige Ergänzung zur Biographie von Irmtrud Wojak ist. Allerdings hat das Buch von Steinke oft einen sehr "journalistischen" Stil. Manches erscheint plakativ (Bauer als der "weißhaarige KZ-Überlebende und Emigrant"/ S.220, "Bauer knurrt"/ S. 201), manches etwas "geglättet" (z.B. bei der Angabe der "Unterwerfungserklärung" von acht Sozialdemokraten im Ulmer Tageblatt vom 13.Nov. 1933. Hier wird Bauer einfach als Mitunterzeichner von Steinke erwähnt (6), obwohl es nicht eindeutig ist. Tatsächlich taucht dort nur ein "Fritz Hauer" auf, nicht ein "Fritz Bauer". (7) In einer wissenschaftlichen Arbeit hätte Steinke sorgfältiger darauf hinweisen müssen, obwohl man vermuten kann, dass in der Zeitung ein Druckfehler vorliegt und es tatsächlich Fritz Bauer war.)

Großen Raum nehmen in dem Buch von Steinke auch Spekulationen über Bauers Homosexualität ein, die nicht direkt bewiesen sind. Liegt hier eine offene oder verdeckte Homosexualität vor? Fritz Bauer hat sich in dieser Weise nicht "geoutet", es hätte ihm wohl auch geschadet. Vielleicht ist es mehr dem modernen Zeitgeist geschuldet, dass Steinke diese Frage so ausführlich behandelt, ein ganzes Kapitel beschäftigt sich mit dieser Fragestellung. (8) Allerdings fehlt hier der Hinweis auf die Gestapo, die auf "angebliche homosexuelle Freundschaften" hinwies (9), um Bauer möglicherweise zu denunzieren. Es ist ein schwieriges und sehr persönliches Thema, dem Steinke vielleicht nur teilweise gerecht wird.

Die Frage der Religiosität bei Bauer wird von Steinke nicht ganz treffend erfasst. Als sich Bauer 1957 zu den neuen Beschlüssen des protestantischen Kirchentages äußert oder 1963 in einem Rundfunk-Interview zur Enzyklika des gerade verstorbenen Papstes, beschreibt es Steinke folgendermaßen: "Vor allem aber klingt es so wenig jüdisch, als rede nicht der Enkel des Tübinger Synagogenvorstehers, sondern eher der Enkel eines Tübinger Pastors. Echte Religiosität steckt nicht dahinter." (Hervorhebung U.D.) (10)

Auch wenn sich Bauer später nach der Rückkehr nach Deutschland offiziell als "glaubenlos", heißt das nicht, dass Bauer nicht religiös war. Im Gegenteil: Seit der Kindheit bewegen ihn tiefe Fragestellungen, die durchaus auf eine Religiosität hinweisen. Nur hat das weder mit konfessionellen Fragen, noch mit Metaphysik zu tun. Seit er seiner Mutter als 6-jähriger Junge die Frage gestellt hat "Mutti, was ist eigentlich Gott?", ist die Antwort der Mutter zur eigentlichen Richtschnur seines Lebens geworden. (11) Die Antwort der Mutter lautete: "Das kann ich dir nicht sagen, vielleicht kann ich es dir nie sagen, aber es gibt einen Satz, und den merke dir, der gibt dir Antwort fürs ganze Leben. Und ich habe den Satz eigentlich auch nie vergessen, er lautete: 'Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg auch keinem andern zu.' " (12)

Das Ringen um Antworten auf tiefe Fragen ist eines der besonderen Züge von Bauers Persönlichkeit. Das wird von Steinke viel zu wenig wahrgenommen. Das wirkt sich auch auf seine Kommentare bezüglich des Judentums von Bauer aus. Die Bereiche der Menschenrechte und der Menschenwürde, die mit diesen tiefen Fragen verbunden sind, tauchen in dem ganzen Buch von Steinke fast gar nicht auf. So bleibt Steinke gerade in diesen Bereichen sehr oberflächlich. Es wird weder der einzige biographische Aufsatz von Bauer erwähnt, der ausgerechnet den Titel trägt "Im Kampf um des Menschen Rechte". (13) Auch der Satz aus dem Grundgesetz, den Bauer in Braunschweig und in Frankfurt an das Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft anbringen ließ ("Die Würde des Menschen ist unantastbar"), wird von Steinke nicht benannt. Das aber ist der tiefere Impuls von Bauer, der ganz wesentlich das Handeln und Empfinden von Bauer bewegt. Etwas überraschend ist dann, dass der Jurist Steinke auch nicht die "Justitia" erwähnt, die das neue Verständnis von Bauer von Recht und Strafe ausdrückt. Das war Bauer selbst so wichtig, dass er einen Künstler beauftragte, das als neues Kunstwerk zu schaffen. (14)

Gerade auf diese tiefen Fragen, die Bauer sein ganzes Leben bewegt haben, geht Irmtrud Wojak in ihrer Biographie sehr einfühlsam ein und lässt das Bild eines Menschen entstehen, der um Erkenntnis ringt und dies in seinen Strafprozessen umsetzen möchte. Schrittweise, Stufe um Stufe, entfaltet sich so das Wesen eines Menschen, der dann im Alltag so vielen Anfeindungen und Drohungen erlebt. Ronen Steinke liefert nun eine Fülle von zusätzlichem Material, aber er bleibt in mancherlei Hinsicht doch damit an der Oberfläche. Eine eigentliche Biographie ist es kaum. Es werden allerdings aber einzelne Teile der Biographie, die bisher vernachlässigt wurden (z.B. die Studentenzeit, zum Auschwitz-Prozess usw.) um wichtige Teile ergänzt. Wer jedoch ein vollständiges Bild der Biographie Bauers haben möchte, sieht sich auf Wojaks Werk verwiesen, das zugleich auch einen wissenschaftlichen Anspruch hat.

Trotzdem ist zu hoffen, dass Steinkes Buch eine weite Verbreitung. Gerade auch die Kapitel, die direkt den Auschwitz-Prozess behandeln, sind sehr lesenswert. Hier liegt die eigentliche Stärke des Buches. Und diese Kapitel sind eine gute und wichtige Ergänzung und Vertiefung zu der großen Bauer- Biographie von Irmtrud Wojak, die inzwischen schon als Standardwerk gilt. Dass das Fritz Bauer Institut dies übersieht und Ronen Steinke als "den" Bauer-Biographen bezeichnet, ist vielleicht doch eher eine Fehleinschätzung. Es sollte aber nicht das Verdienst von Steinke schmälern, einen interessanten und wichtigen Beitrag zur Bauer-Forschung geleistet zu haben. Es zeigt letztlich, dass Fritz Bauer auch heute noch ganz aktuell ist und weitere Forschung durchaus seine Berechtigung hat. Im Grunde ist sie sogar weiterhin nötig.

Ein weiteres wichtiges Werk von Bauer hat Steinke gar nicht erwähnt. Es ist das Buch "Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns" (15), in dem Bauer Ursachenforschung betreibt, sehr zum Unmut seiner Gegner. Da es zeitlich gerade in die frühe Phase fällt, als die Ermittlungen zum Auschwitz-Prozess liefen, hätte es durchaus behandelt werden können.

Im letzten Kapitel geht Steinke noch auf den Tod von Bauer ein ("Der Tote in der Badewanne 1968") (16). Aber auch hier sind die Umstände nicht so einfach, wie es Steinke es ausdrückt. Die Frage des Todes gab längere Zeit zu den verschiedensten Vermutungen und Gerüchten Anlass, was nicht zuletzt mit dem Verhalten der Staatsanwaltschaft zusammenhing. Inzwischen ist die Frage sehr eindeutig geklärt, Selbstmord oder Fremdverschulden sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, der Tod ist sehr deutlich auf Herzstillstand auf Grund von Erschöpfung zurückzuführen. Insbesondere durch die wichtige Arbeit von Dieter Schenk sind die Zusammenhänge sehr genau und differenziert dargestellt worden. (16)

Lange Zeit war es jedoch nicht eindeutig. Das hing sicherlich mit der großen Zahl der Feinde zusammen, den Morddrohungen, der großen Belastung durch die Prozesse usw., was zu Vermutungen und Gerüchten führte Das hat Ilona Ziok in ihrem Film über Bauer aufgegriffen. (17) Steinke äußert sich dazu etwas herablassend: "Am Ende hält eine Fritz Bauer verehrende Filmemacherin es 2010 sogar für gut, das dunkle Selbstmord-Geflüster, erweitert um einige Andeutungen in Richtung Mordkomplott, zur Prämisse ihres Dokumentarfilmes über Bauer zu machen. Nichts davon findet sich in der Untersuchung. die Bauers Stellvertreter Ulrich Krüger noch am Tag des Leichenfunds beim Frankfurter Rechtsmediziner Professor Joachim Gerchow in Auftrag gegeben hat, einen Anhalt." (18) So einfach, wie es Steinke hier ausdrückt, war es nicht, wie man bei Schenk nachlesen kann. (19) Schenk selber hatte noch 2003 für den Fritz Bauer Film recherchiert und damals festgestellt, dass es noch eine Reihe offener Fragen gibt, die auch mit dem Tod zusammenhängen.(20) Insgesamt ist jetzt die Frage der Todesumstände mit hoher Wahrscheinlichkeit geklärt (Herzstillstand durch Erschöpfung).

Diese Teile des Filmes nur auf Bauer-Verehrung der gestandenen Filmemacherin Ilona Ziok zurückzuführen, erscheint nicht sachlich und wirkt polemisierend. Eine sachliche Kritik wäre hier eher angebracht, gerade da ihr Film - nicht zuletzt durch das Filmfestival der Aktion Mensch - Fritz Bauer einem breiten Publikum in über 100 Kinos in Deutschland näher gebracht hat. Eine solche Außenwirkung würde man dem Buch von Steinke - trotz zahlreicher Schwächen - wünschen.

U.Dittmann (Okt.2013)

 

 

 

 

 

Anmerkungen:
1. Letztlich ist man auch hier auf die beiden großen Werke über Fritz Bauer von Matthias
    Meusch und Irmtrud Wojak angewiesen, die jeweils eine sehr ausführliche Bibliographie
    zu Bauer anbieten:  Matthias Meusch Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und
   die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956-1968). Wiesbaden. 2001; sowie
    Irmtrud Wojak: Fritz Bauer. 1903-1968. München. 2009.
2. Meusch, siehe Anm. 1
3  Irmtrud Wojak: Fritz Bauer. 1903-1968. München. 2009
4. Ronen Steinke: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. München. 2013.  S.24
5. ebd. S. 24
6. ebd  S.97
7. Hinweis von Silvester Lechner, KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg Ulm an den Verfasser
8   siehe Steinke: "Verteidigung des Privaten: Sein Dilemma", in Steinke a.a.O. S. 221- 242
9.  Wojak a.a.O. S.129
10. Steinke, a.a.O. S.198
11. "Als sie noch jung waren." Dr. Fritz Bauer, TV- Dokumentation 1967, zitiert nach
       Wojak, a.a.O. S.63
12. ebd. S.63
13. Fritz Bauer: Im Kampf um des Menschen Rechte, in: J.Perels/ I.Wojak (Hg): Fritz Bauer-
      Die Humanität der Rechtsordnung, Ausgewählte Schriften, Frankfurt. 1998. S.37- 49
14. Die "Justitia" wurde 1955 nach den Angaben von Fritz Bauer von dem Künstler Bodo
      Kampmann geschaffen und an dem Gebäude der Braunschweiger Staatsanwaltschaft
      angebracht. Bauer hat dazu einen erläuternden Text geschrieben. Siehe auch unter
      www.braunschweig-spiegel.de ("Bodo Kampmanns Justitia")
15. Fritz Bauer: Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Frankfurt.
      1965  Der Vortrag dazu wurde 1960 auf Einladung des Landesjugendrings  Rheinland
       Pfalz in Mainz gehalten.
16. Dieter Schenk: Die Todesumstände von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, in: Einsicht 08
      Bulletin des Fritz Bauer Institutes, Frankfurt, 2012, S. 38- 43
17. "Fritz Bauer - Tod auf Raten", Film von Ilona Ziok (2010), www.fritz-bauer-film.de
18  Steinke a.a.O. S. 270
19. Schenk: Die Todesumstände ....; siehe auch die Hinweise dazu auf der Webseite von
      Dieter Schenk  www.dieter-schenk.info. .
20.  "Die eingangs aufgeworfenen Thesen, dass die Todesumstände Bauers ungeklärt sind
       und dass insbesondere weitere verdächtige Umstände zu prüfen sind, die mit den    
       verschwundenen Akten zusammen hängen, können derzeit nur mit vorläufigen Thesen
       bewertet werden, da die Recherchen nicht vollends abgeschlossen sind. Dass Bauer vom
       Verfassungsschutz oder einem Geheimdienst abgehört wurde, wird sich wohl gar nicht
       aufklären lassen." Zitat aus: Themenschwerpunkte Fritz Bauer Film (Auszüge), S.15; in
       Dieter Schenk (2003) / www.dieter-schenk.info

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