Zum 2-jährigen Bestehen des Fritz Bauer Freundeskreises

Am 26. Sept.2011 wurde der Freundeskreis in Braunschweig gegründet

Das Gründungstreffen des Freundeskreises hatte am 26.09.2011 im DGB-Haus in Braunschweig stattgefunden. Ein halbes Jahr vorher war im April des Jahres die Idee dazu entstanden. Uwe Meier von der Braunschweiger Webzeitung hatte mich auf einen neuen Blog von Henning Noske, dem Wissenschaftsjournalisten der Braunschweiger Zeitung, aufmerksam gemacht, der den Titel trug "Warum der große Fritz Bauer in unserer Stadt immer noch keinen Platz hat". In dem Blogbeitrag wurde auch auf meine Initiative zu einer Straßenbenennung für Fritz Bauer hingewiesen, die ich in einem Artikel in der Webzeitung www.braunschweig-spiegel.de vorgestellt hatte.

Durch den Beitrag von Henning Noske schien mir, dass immer mehr Personen aus verschiedenen Bereichen unabhängig voneinander ein neues Interesse an Fritz Bauer hatten, so dass der Wunsch entstand, dies zu bündeln, damit die Aktivitäten nicht aneinander vorbeiliefen und verpuffen. Noch am selben Tag hatte ich die Idee eines Freundeskreises, die in den nächsten Tagen mit verschiedenen Personen besprochen und jeweils unterstützt wurde.

Ein erstes Treffen fand dann am 11.Mai in der kleinen St.Elisabeth- Buchhandlung in Braunschweig statt, im Juli gab es ein Interview dazu mit der Braunschweiger Zeitung, die dann - sehr passend - am 20.Juli in einem großen Artikel über die Initiative berichtete. Zahlreiche Personen meldeten sich darauf hin, so dass es schließlich am 26.September zu einem Gründungstreffen kam. Seitdem trifft sich der Freundeskreis regelmäßig alle zwei Monate im DGB-Haus.

I. Die Zeit von 2009-2011

I. 1. Angefangen hatte es mit der Bauer-Biographie von Irmtrud Wojak (2009)
Angefangen hatte alles mit der Fritz-Bauer-Biographie von Irmtrud Wojak, die im Frühjahr 2009 neu erschienen war. Ich hatte mir die Biographie im Juni per Zufall gekauft, da ich in einem Text über NS-Verbrechen auf den Namen Fritz Bauer gestoßen war und mir die Person sehr wichtig erschien. Vorher hatte ich noch nie etwas von Fritz Bauer gehört.

Ich las die Biographie mit großem Interesse - sie fesselte mich regelrecht. Mich wunderte, dass dieser ehemalige Generalstaatsanwalt bis dahin so unbekannt geblieben war. Als langjähriges amnesty-Mitglied hatte ich mich seit 20 Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in aller Welt beschäftigt, aber Fritz Bauer war mir nie begegnet, war mir kein Begriff gewesen.

Im Juli wurde ich gefragt, ob ich hinsichtlich einer problematischen Abschiebung einer jungen Roma-Frau mit ihren beiden Kindern aus Wolfenbüttel (sie waren in einer Nacht- und Nebel-Aktion mitten in der Nacht abgeholt worden und zur Abschiebung direkt zum Frankfurter Flughafen gebracht worden, was bundesweit Aufsehen erregt hatte) eine Stellungnahme von amnesty in der Braunschweiger Webzeitung schreiben könnte. Das wollte ich gern tun - aber ich hätte dazu gern auch noch einen Aufsatz über Fritz Bauer geschrieben.

Und dann kam die Frage, die mir in der nächsten Zeit immer wieder begegnete: Ja, wer ist denn Fritz Bauer? Niemand - außer ganz wenigen Personen - kannte Fritz Bauer. Selbst Personen, die geschichtlich interessiert waren und sich auch mit der NS-Zeit beschäftigt hatten, kannten nicht Fritz Bauer. Also schrieb ich einen ersten Aufsatz mit dem Titel: Wer war Fritz Bauer? Dieser Text erschien im August 2009 in der Braunschweiger Webzeitung www.braunschweig-spiegel.de, dort schlug ich auch die Benennung einer Straße nach Fritz Bauer in Braunschweig vor.

I.2. Der Fritz Bauer Film "Tod auf Raten" von Ilona Ziok (2010)
Anfang des nächsten Jahres, im Februar 2010, wurde der Film "Fritz Bauer - Tod auf Raten" von Ilona Ziok auf der Berlinale mit großem Erfolg vorgestellt. Als ersten Aufführungsort nach Berlin wählte Ilona Ziok Braunschweig, da Fritz Bauer hier 1952 den Remer-Prozess durchgeführt hatte, den sie für Bauer wegweisend hielt. Im Mai 2010 wurde ihr Film im Cinemaxx Braunschweig gezeigt - ebenfalls sehr erfolgreich. Im Vorfeld gab es schon so viele Vorbestellungen, dass der Film in den größten Kinosaal mit 400 Plätzen umgelegt wurde, der dann bis auf den letzten Platz besetzt war - Inzwischen war man schon auf Bauer in Braunschweig aufmerksam geworden. - Nach dem Film entstand ein persönlicher Kontakt zu der Filmemacherin, der bis heute fortdauert und zu einem interessanten Austausch geführt hat.

I.3. Kontakt zu Helmut Kramer (Fritz Bauer Preisträger des Jahres 2010)
Inzwischen gab es auch einen Kontakt zu Helmut Kramer, einem engagierten ehemaligen Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, der ein großer Fritz-Bauer-Kenner war und der einen wichtigen Beitrag über Fritz Bauer und dessen Ermittlungen zur NS-Euthanasie geschrieben hatte. (1)

Angesichts des neuen Interesses an Fritz Bauer lud dieser die Bauer-Biographin Irmtrud Wojak im Oktober 2010 zu einem Vortrag über Bauer im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Braunschweig ein.

Außer zu Helmut Kramer war auch ein Kontakt zu Prof. Joachim Perels entstanden, der bei einer Veranstaltung der Gedenkstätte der JVA Wolfenbüttel den Fritz Bauer Film im Juni 2010 präsentiert und kommentiert hatte. Perels war ebenfalls einer der großen Kenner von Fritz Bauer und hatte u.a. zusammen mit Irmtrud Wojak die Sammlung von Texten und Vorträgen von Bauer in dem Buch "Die Humanität der Rechtsordnung" (1998) herausgegeben. (2)  Perels  wurde im Jahr 2012 Preisträger des Fritz Bauer Preises, ein Preis, der nach dem plötzlichen Tod von Bauer seit 1969 von der Humanistischen Union vergeben wird.

So war schon nach kurzer Zeit ein Kontakt vielleicht zu den wichtigsten Personen entstanden, die direkt zu Fritz Bauer gearbeitet hatten.

II. Vorerfahrungen

II.1. Im Hintergrund - die Erfahrungen aus der Arbeit mit amnesty international und der Bioethik
Das besondere Interesse an Fritz Bauer hing mit den Erfahrungen aus der Arbeit mit amnesty international zusammen. Seit 1990 bin ich Mitglied von amnesty und seit dieser Zeit Bezirkssprecher des ai-Bezirkes Braunschweig. Gleich zu Beginn des Jahres 1990 hatte ich den Briefwechsel zu einer älteren Frau in Chile übernommen, deren Mann 1973 nach dem Putsch von Pinochet "verschwunden" war. So beschäftigte ich mich schwerpunktmäßig mit Chile, und durch einen spanischen Bekannten wurden die Briefe jeweils aus dem Spanischen und ins Spanische übersetzt. Später beschäftigte mich die Frage der juristischen Aufarbeitung der dortigen Diktatur. Das betraf dann auch Argentinien. Hier fuhr ich 2004 zu einer Veranstaltung in den Reichstag nach Berlin, als erstmals die juristische Aufarbeitung an Ermordeten in der argentinischen Diktatur (1976-83) an deutschen Staatsangehörigen behandelt wurde. An dieser Veranstaltung war auch amnesty international beteiligt.

1990 war in Braunschweig wieder eine sehr aktive amnesty-Gruppe entstanden. Noch im selben Jahr wurde die bundesweite Koordination zu Menschenrechtsverletzungen in Cuba und ein Jahr später zur gesamten englischsprachigen Karibik (CARRAN - Caribbean Regional Action Network) übernommen. Die Arbeit erfolgte teilweise in drei Sprachen (deutsch, englisch, spanisch), manchmal kam noch französisch hinzu. Zum Glück gab es in der Gruppe Personen, die diese mehrsprachige Arbeit leisten konnten.

Ein weiterer persönlicher Schwerpunkt war  Guatemala, da dort eine besondere Konstellation der Zusammenarbeit von amnesty international mit der Organisation von Casa Alianza bestand. Diese Organisation setzte sich für Straßenkinder in dem Land ein. In Guatemala wurden damals häufig Straßenkinder von paramilitärischen Einheiten ermordet, ohne dass die Täter zur Rechenschaft gezogen wurden. Dagegen wandte sich Casa Alianza und gab oft Informationen hinsichtlich der Morde oder anderer Menschenrechtsverletzungen an amnesty weiter - die dadurch weltweit bekannt wurden. Diese Zusammenarbeit war sehr erfolgreich; Täter wurden teilweise zur Verantwortung gezogen und verurteilt. Außerdem wurden neue Einrichtungen für Straßenkinder gebaut.

II.2. Bioethik contra Menschenwürde:  Bioethik als neue eugenische Philosophie
1997 gab es einen Einschnitt, und ein neues ganz anderes Thema kam hinzu: die Bioethik. Ein Thema, das vielen nicht bekannt war, und doch eine enorme Bedeutung hatte.

Es begann 1997. Im Oktober des Jahres sollte am Philosophischen Institut der Universität Braunschweig ein Seminar über Peter Singer stattfinden. Der ASTA und die Lebenshilfe protestierten dagegen, und es ging eine Welle der Empörung durch die Stadt. Warum? Peter Singer war ein australischer Philosoph, mit jüdischen Vorfahren aus Österreich, Mitglied der Grünen in Australien, Co-Direktor eines Ethik-Institutes und Mitbegründer der Welttierrechtsbewegung, der die Euthanasie in neuem Gewand propagierte und für die Tötung schwerstbehinderter Neugeborener eintrat. (3)

Das Eigenartige war, dass diese neue Forderung nach Euthanasie nicht aus einem rechten Lager kam, sondern Ausdruck einer modernen utilitaristischen Philosophie war, in der schwerstbehinderten Neugeborenen das Lebensrecht abgesprochen wurde, da sie keine "Personen" seien (nach utilitaristischer Auffassung). Schon Anfang der 90iger Jahre wurde eine Tagung der Lebenshilfe in Deutschland mit Peter Singer abgesagt, nachdem es starke Proteste von zahlreiche Behindertengruppen gegeben hatte.

In diesem Zusammenhang spielten auch Fragen der modernen Genforschung eine Rolle, das Embryonenschutzgesetz wurde diskutiert, die Präimplantationsdiagnostik (PID) usw. Da ich selber mit geistig behinderten Schülern arbeitete, fühlte ich mich durch die neuen bioethischen Entwicklungen in besonderer Weise berührt und betroffen.

Im Januar 1998 wurde in Braunschweig der "Arbeitskreis Bioethik" gegründet, und im Jahr 2000 entstand daraus der Verein "Forum Bioethik", der die Prinzipien von amnesty international auf den Bioethik-Bereich übertragen wollte. Die Homepage des Vereines war (analog zur ai-Arbeit zur Karibik) teilweise dreisprachig (deutsch, englisch, spanisch). Inzwischen erscheinen dort auch Aufsätze und Informationen des Bauer-Freundeskreises (www.forum-bioethik.de/Menschenrechte).

Bundesweit gab es damals zahlreiche Initiativen von Behindertengruppen, Verbänden und freien Gruppen, die sich mit diesen neuen Entwicklungen kritisch auseinandersetzten. Man hatte gedacht, "Euthanasie" sei Geschichte und nun gab es plötzlich problematische Entwicklungen, mit denen niemand gerechnet hatte.
Auch die großen heilpädagogischen Verbände (Caritas, Diakonie, Lebenshilfe, anthroposophische Heilpädagogik) setzten sich mit diesen Entwicklungen auseinander. Schließlich entstand 2004 aus diesen Aktivitäten ein neues Ethikinstitut in Berlin (IMEW - Institut Mensch Ethik Wissenschaft).

Der "Arbeitskreis Bioethik" in Braunschweig war an vielen der Aktivitäten beteiligt; ein großes Treffen der Bioethik-Gruppen und heilpädagogischen Verbände (zur "Gründung eines bundesweiten Informations- und Aktionsnetzwerkes der bioethik-kritischen Öffentlichkeit") mit über 100 Personen hatte dann auf Einladung des Braunschweiger Arbeitskreises in Braunschweig am 26.Februar 2000 stattgefunden. An all diesen Aktivitäten waren Vertreter des Arbeitskreises zur Erforschung der NS-"Euthanasie" und Zwangssterilisation (darunter Klaus Dörner und Michael Wunder) in besonderer Weise beteiligt.

Die Erfahrungen, die durch die Auseinandersetzung mit der Bioethik gesammelt wurden, waren später für das Verständnis von Bauers Bemühungen hinsichtlich der juristischen Aufarbeitung der NS-"Euthanasie"-Verbrechen   hilfreich.

II.3. "Die Würde des Menschen ist unantastbar, solange Menschen bereit sind, sie zu schützen"
Eines der wichtigsten Erlebnisse nach dem Lesen der Bauer-Biographie von Irmtrud Wojak war der Besichtigung der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel mit einem Gast aus Kairo. Die JVA Wolfenbüttel war in der NS-Zeit eine der großen Hinrichtungsstätten für Todeskandidaten, die damals mit der Guillotine dort getötet wurden. Außer einer kleinen (etwas unscheinbaren) Gedenktafel für Fritz Bauer war auf einer großen Tafel der Spruch von Hans Globke und Wilhelm Stuckard angebracht:
"Das rassische Denken des Nationalsozialismus ... bedeutet die Abkehr von dem liberalistischen Grundsatz, von der Gleichheit aller Menschen."
Der Satz stammt aus dem Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung (Berlin, 1936), den Globke und Stuckard herausgegeben haben. Umso gegensätzlicher war der Satz aus dem Grundgesetz, den Fritz Bauer an der Generalstaatsanwaltschaft in Braunschweig 1955 (und später in Frankfurt) anbringen ließ:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Dieser erste Satz wurde später auch Leitmotiv von amnesty international.

Im Arbeitskreis Bioethik wurde der erste Satz durch einen Zusatz ergänzt:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar, solange Menschen bereit sind, sie zu schützen." Dieser Satz markierte die Flyer und Faltblätter des Arbeitskreises und drückte aus, dass man sich für diese Werte einsetzen muss, damit sie realisiert werden. Sie bedürfen des persönlichen Engagements. Kaum eine andere Person steht dafür so stark wie Fritz Bauer. Und das gegen viele Widerstände.

Um das auszudrücken, wurde das Leitmotto des Fritz Bauer Freundeskreises der Ausspruch von Bauer gewählt: "Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland."
Aber nun zurück nach Braunschweig und zum Freundeskreis.

 

III. Reise nach Ostafrika

III.1. Nach dem Gründungstreffen des Bauer-Kreises: Eine Studienreise nach Burundi (Okt.2011)
Nach dem Gründungstreffen am 26.September, das sehr erfolgreich verlaufen war (es waren 12 Personen aus sehr unterschiedlichen Bereichen anwesend), nahm ich im vom 18.10.- 2.11.2011 an einer Studienreise nach Burundi teil. Ich hatte 2006 eine Schulpartnerschaft meiner damaligen Schule in Bad Harzburg mit einer Schule in Bujumbura, der Hauptstadt von Burundi, aufgebaut, die neben anderen Projekten auch besichtigt werden sollte.
Burundi liegt in Ostafrika zwischen Ruanda, Tansania und dem Kongo und ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es gehört zu den "vergessenen" Regionen. Das Land kennt niemand, es gibt dort keine Touristen, keine Industrie, kein Öl - es gibt keine Literatur über das Land, keinen Sprach- oder Reiseführer, nicht einmal im englisch- oder französischsprachigen Raum. Es ist vergleichbar mit Ruanda, etwa gleichgroß (so groß wie Belgien), dicht besiedelt (9 Millionen Einwohner), hat die gleiche Bevölkerungsstruktur wie Ruanda mit Hutus und Tutsis und hat ähnliche Massaker wie Ruanda erlebt. Während der Völkermord 1994 in Ruanda mit fast einer Million Toten in zehn Wochen weltweit für Empörung gesorgt hat, wurden die Verbrechen in Burundi überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. - Noch einige Monate vor der Fahrt hatte es eine Reisewarnung vom Auswärtigen Amt gegeben, zur Zeit (nach den Wahlen von 2010) schien alles jedoch relativ friedlich zu sein.

Die Reise hinterließ einen tiefen Eindruck. Und die Beschäftigung mit Fritz Bauer ging auch hier weiter. In mehrfacher Hinsicht war das naheliegend.

Zum einen unter der Fragestellung des Rassismus. Da sich Fritz Bauer mit den Fragen (und Folgen) des Antisemitismus quasi per Amt als Generalstaatsanwalt auseinandersetzen musste, gehört zur Ursachenforschung des Antisemitismus auch der Rassismus bzw. wie Antisemitismus und Rassismus am Ende des 19.Jahrhunderts sich zu einem rassischen Antisemitismus verbinden, der mit seiner Aggressivität in der NS-Zeit zur weitgehenden Vernichtung des europäischen Judentums führte. Eines der europäischen Zentren, in denen sich der rassische Antisemitismus herausbildete, war Bayreuth - mit Richard Wagner, Houston Steward Chamberlain, den Bayreuth-Blättern und dem weiteren Wagner-Clan. (4) Gobineau, Hitler hatten dort eine große Rolle gespielt. Statt Ursachenforschung zu betreiben, zog man es nach 1945 vor, "noch eine 'Parsifal'-Interpretation zu verfassen, das Entsagungspathos des Hans Sachs ein weiteres Mal zu begründen oder eine Ehrenrettung des Frühwerkes zu unternehmen..." (Joachim Fest) (5)

Burundi liegt in Schwarzafrika. Die ethnischen Konflikten spielten und spielen dort noch eine Rolle, und der frühere Kolonialismus - auch mit seinen rassischen Bewertungen - hat dort Spuren hinterlassen.

Dann die Frage der Gerichtsbarkeit. In Ruanda hatte es nach dem Völkermord 1994 das Ruanda-Tribunal gegeben, in dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet wurden. Mit Fragen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit usw. hatte sich Fritz Bauer schon 1944 in seinem Buch "Die Kriegsverbrecher vor Gericht" beschäftigt. Sein Buch hatte damals Auswirkungen auf die Nürnberger Prozesse. Es ist heute aktuell wie damals und erscheint in Ruanda wie in Burundi präsent. Auch für das Nachbarland Kongo sowie ganz aktuell für Kenja könnten Bauers Ausführungen von Interesse sein.

 

III.2.  Der Nil - ein Fluss zwischen Burundi und Ägypten
Noch ein anderer Punkt berührte mich sehr in Burundi. In Burundi liegt die südlichste aller Nilquellen, die wir auf der Reise auch besuchten. Oberhalb der Quelle ist auf dem Berg eine Pyramide aufgebaut - als eine Art Wahrzeichen. Von hier also fließt das Wasser bis nach Ägypten, dort an den Pyramiden vorbei bis ins Mittelmeer.

In den vergangenen vier Jahren (von 2008-11) war ich jeweils ein Mal im Jahr in Kairo gewesen, um dort eine Behinderten-Initiative zu unterstützen. Ein 70jähriger Medizinprofessor aus Kairo hatte sie in dem südlichen Stadtteil Heluan aufgebaut. Dieser inzwischen emeritierte Professor hatte früher Medizin in Deutschland studiert und dann Anfang der 80iger Jahre an einer ägyptischen Delegation unter Sadat nach Israel teilgenommen, um Friedensgespräche mit Israel zu führen. Auch das war ihm ein Anliegen: als Ägypter und Muslim - Frieden mit Israel zu erreichen.

Wenn ich in Kairo in der Wohnung seines Sohnes wohnte, der auch in Deutschland studiert hatte und nun in Riad tätig ist, konnte ich bis zum Nil und den Pyramiden schauen. Die Wohnung lag im 16.Stock eines Hochhauses im Stadtteil Maadi, in dem viele Ausländer lebten. Von Kairo aus erreicht der Fluss bald sein Ziel im Mittelmeer, hier in Kairo erlebte ich die Bedeutung eines Ausgleiches mit Israel ganz direkt (wobei inzwischen durch den Militärputsch vieles in Frage gestellt ist). Und in Burundi entspringt dieser Fluss, hier war eine der Quellen - nicht nur für den Fluss, sondern auch für tiefere Fragen...

Über die Reiseeindrücke entsteht gerade ein Buch. Neben dem eigentlichen Reisebericht (es handelt sich ja um ein fast unbekanntes Land) spielen auch Menschenrechtsthemen eine Rolle. Die Fragen um Fritz Bauer wirken dabei immer etwas im Hintergrund.

IV. Zu den Jahren 2011-2013

IV.1. Zwei Institute: Das Fritz Bauer Institut und das Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte
Wieder zurück in Deutschland. Das nächste Treffen des Freundeskreises fand am 28.11.2011 statt. Zwei wichtige Dinge geschahen in dieser Zeit.

Zum einen wurde Kontakt zum Fritz Bauer Institut in Frankfurt aufgenommen, und hier wurde der Kontakt zu Werner Renz vom Institut sehr wichtig. In meist sehr kurzen, treffenden Rückmeldungen äußerte er sich zu Beiträgen des Freundeskreises, manchmal kritisch, dann auch wieder mit der Übersendung von interessanten Texten zu historischen oder juristischen Fragen oder auch mit hilfreichen Korrekturen (ich denke an die Umstände des Artikels 50.2 und anderes), die der Arbeit des Freundeskreises ein sicheres Fundament gaben - ähnlich wie die Hinweise, Texte und Kommentare von Helmut Kramer, der die Arbeit des Freundeskreises von Anfang an kritisch begleitete, unterstützte und konstruktive Anregungen gab.  -

Mit Werner Renz vom Institut und Helmut Kramer als engagierten, kritischen Juristen wurde der Freundeskreis einer regelrechten Prüfung unterzogen - immerhin gab es im Freundeskreis bisher nicht einen Historiker oder Juristen, und dabei ging es doch um ein historisches und juristisches Thema. Der Freundeskreis war sozusagen eher eine NGO zum Bereich Menschenrechte, Aufarbeitung von NS-Verbrechen und Auseinandersetzung mit Fragen zum Antisemitismus und Rassismus.

Auch kritische Anmerkungen des Freundeskreises wurden wohlwollend behandelt: zum Beispiel, dass Fritz Bauer selber vom Institut bisher nur wenig berücksichtigt wurde, dass kaum weitere Texte, Vorträge oder Bücher von ihm veröffentlicht worden sind.

Dann erfolgte in der Zeit auch die Begegnung mit Prof. Gerd Biegel vom Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte. Er hatte in den 90iger Jahren schon zwei Vorträge über Fritz Bauer in Braunschweig gehalten, zu denen aber kaum jemand kam, da niemand Fritz Bauer kannte. Die Anregung, den alten Vortrag noch einmal neu zu halten, griff er - angesichts eines neuen Interesses an Bauer - gern auf. Und er setzte nun im weiteren ein Zeichen.
In einem großartigen Vortrag im Januar 2012 referierte er über die Bedeutung von Fritz Bauer und schlug eine konkrete Platzbenennung vor - der Platz direkt vor der Generalstaatsanwaltschaft in Braunschweig sollte in "Fritz Bauer Platz" umbenannt werden. Dazu musste aber ein Teil des (heiligen) Domplatzes abgetrennt werden.

IV.2.    2012 - Aktivitäten zu Fritz Bauer in Braunschweig und Frankfurt:
Der Freundeskreis berichtet jeweils ausführlich darüber
Im Laufe des Jahres 2012 überschlugen sich dann die Ereignisse in Braunschweig, was Fritz Bauer betraf. Im Juni fand ein Symposium zu Fritz Bauer im Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte statt, am 16.Juli (dem Geburtstag von Fritz Bauer) wurde in einer großen Veranstaltung im Schwurgerichtssaal des Landgerichts die Ausstellung zum Remer-Prozess eröffnet und am 11.September erfolgte schließlich durch Oberbürgermeister Gerd Hoffmann in einem offiziellen Akt die Platzbenennung vor der Generalstaatsanwaltschaft.

Parallel zu den Ereignissen in Braunschweig tat sich auch viel in Frankfurt. Im Bulletin des Fritz Bauer Institutes wurde eine neue Reihe zu Fritz Bauer eingerichtet, die erste Folge erschien dazu im Bulletin Nr.7 (April 2012) mit einem Artikel von Werner Renz ("Fritz Bauer zum Zweck der NS-Prozesse. Eine Rekonstruktion"). Weitere Artikel folgten im Bulletin Nr.8
(Okt.12) (Dieter Schenk: Zu den Todesumständen von Fritz Bauer) und Nr.9 (Apr.13) (Jean Pierre Stephan: Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan. Eine deutsche Freundschaft).

Im Herbst 2012 fand auch eine erste Tagung am Institut direkt zu Fritz Bauer statt. Sie trug den Titel "Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte" und befasste sich vor allem mit Fritz Bauer im Spiegel seiner Zeitgenossen. Eine Ausstellung zu Fritz Bauer wurde in Auftrag gegeben (die 2014 unter dem Titel "Fritz Bauer - Leben und Werk" im Jüdischen Museum in Frankfurt gezeigt wird); außerdem wurde eine Neuherausgabe von Schriften von Bauer geplant, die ebenfalls 2014 (von Lena Foljanty) erscheint.

Über die Aktivitäten in Braunschweig, aber auch in Frankfurt, berichtete der Freundeskreis ausführlich. Viele der Braunschweiger Beiträge sind auch auf der Webseite www.braunschweig-spiegel.de zu finden.

IV.3.  2013 - Fritz Bauer und die Fragen der NS-"Euthanasie" rücken in den Vordergrund
Im Jahr 2013 zeichnete sich ein ganz neues Thema für den Freundeskreis ab: Fritz Bauer und dessen Aufarbeitung der NS-"Euthanasie". Auch das Thema war - neben der Vorbereitungen zum Auschwitz-Prozess - ein wichtiger Komplex gewesen. Er hatte große Rückschläge dabei erleiden müssen, und nach seinem Tod wurden laufende Ermittlungen teilweise eingestellt. Die große Anklageschrift der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft von 1962 war fast in Vergessenheit geraten und war erst wieder 2005 von Prof.Vormbaum von der Fernuniversität Hagen neu herausgegeben worden.

Der Freundeskreis nahm nun an den Tagungen des "Arbeitskreises zur Erforschung der NS-'Euthanasie' und Zwangssterilisation" teil (Leipzig, Nov.2012/ Stralsund, Apr.2013) und trat auch dort für eine Erinnerung an Fritz Bauer teil. Dies war äußerst naheliegend, da der Bereich der juristischen Aufarbeitung der NS-"Euthanasie"-Verbrechen zu seinen Inhalten gehörte, dieser Bereich aber (insbesondere durch den Tod von Wilhelm Dreeßen) nur noch am Rande behandelt wurde. Vielleicht wird nun auf einer der nächsten Tagungen auch wieder Fritz Bauer erwähnt.

Darüberhinaus hatte es im Januar 2013 eine große internationale Tagung zur NS-"Euthanasie" gegeben, auf der der Freundeskreis auch auf Fritz Bauer aufmerksam machte. Bei einer Nachfolgekonferenz wird voraussichtlich auch Fritz Bauer berücksichtigt werden.

Im Bereich der Aufarbeitung der NS-"Euthanasie" tut sich zur Zeit allgemein viel. Es erscheinen verstärkt Bücher über Angehörige der Opfer und im Sommer 2013 wurde in Berlin der Grundstein für einen neuen Gedenk- und Informationsort an der Tiergartenstraße 4 gelegt.- Die Ermittlungen von Bauer zur NS-"Euthanasie", gegen die beteiligten Ärzte und die Juristen, die es rechtlich absicherten, gehören in diesem Zusammenhang hinein und würden zu dem Gesamtkomplex unbedingt dazu gehören. Auch hier war Fritz Bauer fast vergessen worden.

IV.4.  Fritz Bauer - ein internationaler Impuls
Zunächst betrifft die Beschäftigung mit Fritz Bauer die nationale Ebene. Schwerpunkt der Holocaustforschung ist zum einen Deutschland. Aber auch in anderen Ländern, insbesondere England und den USA sind dazu wichtige Beiträge entstanden. - So arbeitet das Fritz Bauer Institut zum einen mit dem Jüdischen Museum in Frankfurt, aber auch mit dem Leo Baeck Institut in London zusammen.

Der Freundeskreis hat selber auch die internationale Ebene im Blick, sicher ganz im Sinne Bauers. Er selber war mehrmals nach Israel oder in die USA gereist, hatte immer wieder die Bezüge zum englischen Rechtssystem betont oder bei den Ermittlungen zum Auschwitz-Prozess Kontakte nach Polen oder zu Juristen in der DDR gesucht. - Es wäre daher schön, wenn Bauer auch im nichtdeutschsprachigen Ausland bekannter werden würde. Initiativen in dieser Hinsicht würde der Freundeskreis gern unterstützen, darauf hinweisen oder auch bekannt machen.

Eine wichtige Rolle spielt hierbei sicherlich auch der Fritz Bauer Film "Tod auf Raten" von Ilona Ziok, der inzwischen mehrfach in Russland und Polen gezeigt wurde. Auch eine portugiesische Übersetzung des Filmes liegt bereits vor. In Frankreich ist auf der Grundlage des Filmes ein Theaterstück entstanden, das (in französischer Sprache) auch in Deutschland im Institut francais gezeigt werden wird. - Darüberhinaus ist die Schrift von Irmtrud Wojak "Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach 1945" (die von der Hessischen Landszentrale für politische Bildung herausgegeben wurde) im vergangenen Jahr ins Chinesische übersetzt worden.

Diese Schrift sowie die Bauer-Biographie von Irmtrud Wojak und das Buch von Perels/ Wojak "Die Humanität der Rechtsordnung" sind auch nach Kairo geschickt worden, da dort von Prof.Elsarnagawy nachgefragt wurde, um eventuell die Frage einer Übersetzung zu klären. Dazu müssten jedoch viele rechtliche Fragen geklärt werden. Angesichts der unklaren politischen Lage in Ägypten erscheint das derzeit jedoch sehr unwahrscheinlich.

Eine besondere Stellung hat sicherlich Lateinamerika. Vielleicht könnten einzelne Texte von Bauer vielleicht einmal in spanischer Sprache erscheinen. Wünschenswert wäre hier auch eine spanische Fassung des Bauer-Filmes. Es wäre ein interessantes Unternehmen. Die Erfahrung mit den früheren Diktaturen und deren Aufarbeitung zeigen, dass die Ideen und Anstöße von Fritz Bauer auch gerade dort von Bedeutung sein könnten.

Zunächst aber wird sich der Freundeskreis auch in Deutschland für eine weitere Erinnerung an Bauer einsetzen, eine Herausgabe weiterer Schriften und Bücher in deutscher Sprache unterstützen und die vielfältigen Anregungen von ihm, die nicht nur die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen und Holocaust betreffen , sondern auch viele andere Bereiche - sei es NS-Euthanasie, Strafrechtsreform, Sexualstrafrecht, Wirtschaftskriminalität usw. - versuchen, ins Bewusstsein zu bringen.

Es wäre schön, wenn dieser Impuls von Bauer hinsichtlich der Menschlichkeit und Gerechtigkeit, auch international stärker zur Geltung käme. Es wäre ein Zeichen, dass von Deutschland nicht nur Zerstörung und Menschenverachtung ausgehen, sondern auch der Einsatz für Humanität und Menschenrechte. Als ein Impuls, der nicht nur der Vergangenheit angehört, sondern ganz aktuell ist und in die Zukunft weist. Und dass dieser Impuls stärker ist als die Widerstände, gegen die Bauer immer wieder ankämpfen musste.

Die Beschäftigung mit Bauer ist somit kein historisches Anliegen, sondern die Beschäftigung mit einem Menschenrechtsimpuls, der dazu beitragen will, die Erde gerechter zu gestalten. Wohl in diesem Sinn wählten die Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in ihrer Gedenkveranstaltung zu Bauer im März 2013 den Satz aus seinem Buch "Im Kampf um des Menschen Rechte" von 1955: "Wir können aus der Erde kein Paradies machen. Aber jeder von uns kann dazu beitragen, dass sie keine Hölle wird." Das "Ebelu" ist das Gymnasium, das Fritz Bauer in seiner Jugendzeit in Stuttgart besucht hat. - Aber auch in Braunschweig war eine beeindruckende Schülerarbeit zu Fritz Bauer von Pia Kulhawy 2102 an der IGS Franzsches Feld entstanden. Die Schülerin hatte in dem Freundeskreis mitgearbeitet. -

Bauer hat nicht direkt wissenschaftliche Texte oder Vorträge hinterlassen, sondern einen Impuls, der für Gerechtigkeit, Menschenrechte und Menschenwürde steht. Gerade auf diesen Impuls möchte der Freundeskreis auch weiterhin aufmerksam machen.

U. Dittmann (Sept. 2013)

 

Anmerkungen:
1. Helmut Kramer: "Gerichtstag halten über uns selbst". Das Verfahren Fritz Bauers zur Beteiligung der Justiz am Anstaltsmord. In: Hanno Loewy, Bettina Winter (Hg): NS-"Euthanasie" vor Gericht. Fritz Bauer und die Grenzen juristischer Bewältigung. Frankfurt.1996.
2. Joachim Perels, Irmtrud Wojak (Hg): Fritz Bauer - Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Frankfurt.1998.
3. Peter Singer: Leben und Tod. Der Zusammenbruch der traditionellen Ethik. Erlangen. 1998.
4. George L. Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa. Frankfurt. 1995. S. 124
5  Joachim Fest: Richard Wagner - Das Werk neben dem Werk. In: Saul Friedländer, Jörn Rüsen: Richard Wagner im Dritten Reich. München 2000. S.26

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