Unterschiedliche Einschätzungen des Fritz Bauer Filmes "Tod auf Raten" von Ilona Ziok

Der Bauer-Film: ein "medialer Missgriff" (W.Renz) oder "besonders wertvoll" (FBW)?

Während der Bauer-Film von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) das Prädikat "besonders wertvoll" erhielt und mit Erfolg im In- und Ausland gezeigt wird,
wird der Film vom Fritz Bauer Institut gemieden. Er taucht weder dort auf der Webseite auf, wurde bisher (im Gegensatz zu anderen Filmen) nicht einmal vom Institut gezeigt und erfuhr auch bei seiner Entstehung keine Unterstützung durch das Institut.

Besonders gravierend ist der Beitrag von Werner Renz vom Fritz Bauer Institut, der den Film insgesamt als "medialen Missgriff" bezeichnet. Auszüge aus seinem Text von 2010 "Mediale Missgriffe -Fritz Bauer im Dokumentarfilm" werden im folgenden besprochen. - Außer einem kritischen Kommentar von Andreas Platthaus in der FAZ (vom 2.12.2010) steht dieser Beitrag einzig in der Landschaft vieler positiver und konstruktiver Artikel sehr isoliert da. - Möglicherweise haben die Artikel von Renz und Platthaus ihre Wirkungen auf das Buch von Ronen Steinke über Fritz Bauer gehabt, das im Oktober 2013 erschienen war. Daraus war eine heftige Kontroverse zwischen Ilona Ziok und Ronen Steinke entstanden.

Aus der Fülle der positiven Kommentare wurde ein Artikel von Werner Koep-Kerstin ausgewählt, der in den Mitteilungen der Humanistischen Union erschienen war und ein anderes, sehr differenziertes Bild vom Fritz Bauer Film vermittelt. Angesichts der nur negativen Einschätzung des Filmes durch Werner Renz erschien das notwendig, um auch eine andere Sichtweise zu zeigen.-

Die negative Darstellung des Fritz Bauer Filmes durch Ronen Steinke in dessen neuem Buch über Fritz Bauer ("Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht") gab Anlass, den Blick auf eine Kontroverse um den Film zu werfen, die schwerpunktmäßig 2010 - in dem Jahr also, in dem der Film erschien - erfolgte.

Der Film "Tod auf Raten" war im Februar 2010 auf der Berlinale mit Erfolg gezeigt worden und erhielt in den folgenden Monaten verschiedene Auszeichnungen, z.B. das Prädikat "besonders wertvoll" von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW). das höchste Prädikat, das von dieser Stelle vergeben wird (die Bewertung erfolgte zudem einstimmig, was nur äußerst selten vorkommt). Zudem wurde der Film als "Film des Monats" (Januar 2011) bzw. als bester Dokumentarfilm des Monats Januar 2011 ausgezeichnet.

Auch wurde der Film in der 2.Hälfte des Jahres 2010 mit fünf anderen Filmen, die Menschenrechtsthemen behandeln, im Filmfest der "Aktion Mensch" in über 100 Kinos in Deutschland gezeigt. Immer wieder erhielt der Film dabei positive Kommentare.

In der Fülle der positiven Einschätzungen gab es jedoch zwei sehr negative Bewertungen. Diese sollen hier kurz erläutert werden. Anschließend wird eine sehr differenzierte und positive Rezension von Werner Koep-Kerstin dem gegenübergestellt, die in den Mitteilungen der Humanistischen Union (Nr. 208/ 209 - 1+2/ 2010, S.18-20) erschien.

 

Kritische Kommentare zu Fritz Bauer Film
Bei den kritischen Kommentaren mit einer jeweils sehr negativen Einschätzung handelt es sich um die Artikel
- "Raunen von Mord und Freitod" von Andreas Platthaus (FAZ vom 2.12.2010) sowie um
- "Mediale Missgriffe - Fritz Bauer im Dokumentarfilm" von Werner Renz (im Bulletin des
  Fritz Bauer Institutes 2010)
Beide Artikel sind nachzulesen auf der Webseite von Dieter Schenk (www.dieter-schenk.info/fritzbauer). Dort sind auch die Recherchen von Dieter Schenk für den Fritz Bauer Film aus dem Jahr 2003 zu finden.

Zum FAZ-Artikel von Andreas Platthaus:  Dieser Artikel erscheint an einigen Stellen tendendiös und einseitig, er sieht dramaturgische und dokumentarische Mängel des Filmes. Es wird kritisiert, dass die Regisseurin bei dieser Filmdarbietung nicht anwesend war, allerdings vergisst er zu erwähnen, dass diese auch gar nicht eingeladen war. - Sehr schwerwiegend ist natürlich die Kritik von Manfred Amend, die in dem Artikel erwähnt wird. Amend wollte nicht mit dem Film in Verbindung gebracht werden, taucht aber mehrfach in dem Film auf. Hier ist Ilona Ziok vielleicht nicht sorgfältig genug vorgegangen, da sie von seinem Widerspruch wusste - vielleicht hätte sie auf diese Beiträge in dem sonst so gelungenen Film verzichten können.

Zum Beitrag von Werner Renz "Mediale Missgriffe - Fritz Bauer im Dokumentarfilm":
Werner Renz ist schon seit vielen Jahren im Fritz Bauer Institut tätig (in der Abteilung Archiv und Bibliothek). Er ist einer der stärksten Gegner des Fritz Bauer Filmes. - Tatsache ist, dass bisher der Bauer-Film von Ilona Ziok noch nicht vom Fritz Bauer Institut gezeigt wurde; er wird weder auf der Webseite des Instituts erwähnt, noch erfuhr der Film irgendwelche Unterstützung, als er gedreht wurde. - Das alles ist insofern überraschend, als weder der jetzige Direktor des Instituts, Raphael Gross, noch Mitglieder des Vorstandes des Fördervereins etwas gegen den Film haben. - In den kurzen negativen Bemerkungen von Ronen Steinke zum Fritz Bauer Film scheinen die Kommentare von Renz und Platthaus eine Rolle gespielt zu haben. So lassen sich vielleicht seine herablassend-flapsigen Bemerkungen zum Bauer Film erklären ("Am Ende hält eine Fritz Bauer verehrende Filmemacherin es 2010 sogar für gut, das dunkle Selbstmordgeflüster, erweitert um einige Andeutungen in Richtung Mordkomplott, zur Prämisse ihres Dokumentarfilmes über Bauer zu machen." - R.Steinke: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht. 2013. S.270)

Aber nun zum Artikel von Werner Renz "Mediale Missgriffe". Er beginnt mit den Worten:
"Sachkunde ist eine notwendige Voraussetzung, um über das vielfältige Wirken des Hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (1903-1968) angemessen arbeiten und publizieren zu können. Bauer war eine überaus komplexe Persönlichkeit: Ein ans überkommende, positive Recht gebundener Strafverfolger; ein (der sozialen Verteidigung dienendes) Behandlungsrecht fordernder, progressiver Kriminalpolitiker; ein öffentlicher, an den Fortschritt der Wissenschaften glaubender Optimist; ein privater, sein Tun und Lassen selbstkritisch in Frage stellender Skeptiker: Auch ein glühender Patriot und zugleich ein radikaler Diagnostiker der deutschen Misere ist Bauer gewesen.
All dies und vieles mehr - nicht als unvereinbare Gegensätze, vielmehr als essentielle Facetten einer historischen Gestalt im Jahrhundert der Barbarei. Viele Herzen schlugen in Bauers Brust. Ein Mann von funkelnder Intelligenz, umfassendem Wissen und klassischer Bildung, von heißer Menschenliebe und verzehrender Sorge um das Menschengeschlecht umgetrieben - leidenschaftlich und engagiert, rastlos und unermüdlich, selbstlos und aufopfernd. Liest, sieht und hört man Fritz Bauer, so drängt sich der Eindruck auf, dass er an der Welt und ebenso an sich selbst nicht wenig litt, dass er gewiss ein couragierter Streiter und mutiger Kämpfer, aber auch ein seelisch Verletzter und innerlich Versehrter gewesen war. Die historische Gestalt Fritz Bauer zu verstehen und in Wort und Bild darzustellen, erfordert Wissen und Kenntnisse auf so vielen Sachgebieten, dass es beinahe unmöglich scheinen will, diesem Mann, den die Freundin Helga Einsele einen zu früh Gekommenen nannte gerecht zu werden." ( Renz, Missgriffe...)
Dies scheint Werner Renz der Filmemacherin Ilona Ziok abzusprechen. In seiner Filmbesprechung sieht er nur Schwächen des Filmes, die er nacheinander aufzählt, ohne zu sehen, dass es vielleicht künstlerische Mittel gewesen sind, die Ilona Ziok eingesetzt hat, um ihrem Film Klarheit und Ausdruck zu verschaffen.

Dazu verschiedene Beispiele:

- Zur Novellierung des § 50 Abs. StGB
"Im letzten Teil des Bauer-Films ('Drehers überraschende Gesetzesänderung Mai 1968') bringen die Protagonisten Thomas Harlan ('Filmemacher und Schriftsteller, 1929- 2010) und Herbert Schneider (Amtsrichter a.D./ Darmstadt), zeitweise zur Zentrale Stelle Ludwigsburg abgeordnet (1936- 2006) die Auffassung zum Ausdruck, Ministerialdirigent Eduard Dreher (Bundesjustizministerium) sei der Drahtzieher einer 'Amnestie durch die Hintertür' gewesen.
Weiter meinen die beiden Interviewpartner, Fritz Bauer habe bereits im Frühsommer 1968 die verheerenden Folgen der Novellierung von § 50 Abs. 2 StGB für die Strafverfolgung von NS-Verbrechen erkannt und sei über der 'gesetzgeberischen Panne' (Horst Ehmke) bzw. der von findigen, einstigen NS-Juristen ausgeheckten 'versteckten Amnestie' für Mordgehilfen verstorben. Sodann führt Harlan aus, mit der Neufassung von § 50 Abs. 2 StGB sei die Strafverfolgung von NS-Tätern beendet gewesen. -
Zunächst bleibt im Film unerwähnt, dass die Neufassung von § 50 Abs. 2 StGB ein von Strafrechtlern und Rechtspolitikern durchweg gutgeheißenes Reformvorhaben war. Bereits Mitte der 1950er Jahre hatte die Große Strafrechtskommission den entsprechenden Paragraphen behandelt. Auch der Alternativentwurf progressiver Juristen zum (konservativen) Regierungsentwurf von 1962 (E 1962) sah eine Änderung des § 50 Abs. 2 StGB vor. Die Gleichstellung von Täter und Teilnehmer sollte aufgehoben werden." (Renz, Mediale Missgriffe ...)

Werner Renz übersieht, dass Ilona Ziok hier mit künstlerischen Mitteln die zentrale Aussage zur Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB hervorheben will, und zwar kurz und prägnant. Sie will ein großes Publikum erreichen. Dazu bringt sie die Passagen von Harlan und Schneider, die auf die katastrophalen Auswirkungen dieser Gesetzesnovellierung hinweisen. Nachdem in den früheren Urteilen die meisten NS-Täter keine "Täter", sondern nur "Helfer" waren, wurden nun alle diese "Helfer" amnestiert. Damit war nun ein Großteil der NS-Täter straffrei, wie es dann erst Monate später von einigen kritischen Journalisten und Politiker festgestellt wurde.
Es war klar, dass damit nicht die Strafverfolgung von NS-Tätern beendet war. Diese Ungenauigkeit von Harlan hebt Renz hervor, um den ganzen Beitrag zu diskreditieren. Für ein Fachpublikum wäre es vielleicht interessant - hier geht es jedoch darum, die verheerenden Auswirkungen zu verdeutlichen, und das ist Ilona Ziok gelungen. - Ob nun Bauer schon davon gewusst hat, ist unklar - wahrscheinlich nicht. Aber hier gibt Ilona Ziok die Meinung von zwei Menschen wieder, die engen Kontakt zu Bauer hatten. Auch das erscheint legitim, auch wenn Werner Renz dazu vielleicht eine andere Ansicht hat.
In seinem weiteren Kommentar erwähnt Renz, dass die Neufassung von § 50 Abs.2 StGB von Strafrechtlern und Rechtspolitikern ein "durchweg gutgeheißenes Reformvorhaben war". Für ein breites Publikum ist diese Aussage eher irreführend (auch wenn sie sachlich richtig ist), da die eigentliche Problematik dieses Vorhabens dadurch relativiert wird.

"Durch die Darlegungen von Harlan und Schneider erscheint die Gesetzesänderung als Machination von Juristen, die einzig bestrebt waren, NS-Verbrecher zu amnestieren. Die Fakten: Am 10. Mai 1968 verabschiedete der Bundestag einstimmig die Änderung der Gesetzesbestimmung, am 1. Oktober 1968 trat der novellierte § 50 Abs. 2 StGB in Kraft. An 'unscheinbare Stelle', im Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG) war die Gesetzesänderung platziert worden.
Die Frage, ob im Fall § 50 StGB eine 'Panne' oder eine 'Drahtzieherei' vorliegen, ist in der Forschung durchaus offen. Ulrich Herbert hat in seiner Studie über Werner Best die Auffassung vertreten, die Harlan im Film referiert. (Renz: Mediale Missgriffe...)

Renz relativiert hier das Vorgehen bezüglich der Gesetzesänderung in einer Weise, die sehr fragwürdig ist. Es geht nicht nur um eine reine Darstellung der Fakten, sondern um die Absicht, die damit verbunden ist. Diese Gesetzesnovellierung war der Abschluss von Handlungen im Bereich der Politik und Justiz, deren Ziel es war, Täter zu exkulpieren.
Insofern geht es auch nicht um die Frage, ob hier eine 'Panne' oder 'Drahtzieherei' vorliegt bzw. welche Meinung die Forschung dazu hat. Forschung und auch historische Forschung sollte sich an menschenrechtlichen Fragen orientieren, die hier sicherlich in tiefster Weise verletzt wurden. Ein Unrechtsbewusstsein scheint weder bei Strafrechtlern, noch bei Rechtspolitikern vorgelegen zu haben, sondern nur die Frage, wie können Täter entschuldet werden. - Genau diese Haltung hat Fritz Bauer immer wieder erlebt, daran hat er gelitten. Er wäre wieder zutiefst enttäuscht gewesen, wenn er davon gewusst hätte.
Insofern hat Ilona Ziok dies mit dem Interview von Harlan und Schneider durch einen Kunstgriff auf den Punkt gebracht und auch dem unbedarften Zuschauer gezeigt, worum es geht. - Neutrale historische Forschung führt sonst in eine Beliebigkeit, die jegliches Werteverständnis vermissen lässt. Es geht nicht nur um ein bürokratisches Fakten sammeln, sondern auch um eine Einordnung und Interpretation, die sich an demokratischen und menschenrechtlichen Werten orientiert. .

Rolf Tiefenthal: "But he won"
In dieser Bemerkung zu Ende des Filmes von Rolf Tiefenthal sieht Werner Renz wenig Sinn:
"Im krassen Widerspruch zu Harlans Übertreibung steht zudem die am Filmschluss platzierte Auffassung von Bauers Neffen, Rolf Tiefenthal (Kopenhagen), Bauer habe (im Kampf mit seinen Gegnern) gewonnen ("But he won.") Weder die eine noch die andere Behauptung ist begründet. Wenig Sinn macht es allenthalben, im Film Protagonisten mit sich widersprechenden und zudem irrigen Ausführungen zu Wort kommen zu lassen, ohne den Versuch zu unternehmen, die anstehenden Sachfragen zu klären." (Renz: Mediale Missgriffe ...)
Der Film ist nicht eine reine wissenschaftliche Abhandlung, sondern er lässt Menschen zu Wort kommen, die Fritz Bauer nahe standen. So ist es nur legitim, die Äußerungen dieser Menschen wiederzugeben. Dass Ilona Ziok die Äußerung an das Ende ihres Filmes setzte, zeigt, dass auch sie vielleicht dieser Meinung ist: dass das Leben von Bauer trotz aller Enttäuschungen und Misserfolge doch einen Sinn hatte und etwas bewirkte.
Der Film endet so mit einer gewissen Zuversicht, dass die Anstrengungen von Bauer doch nicht sinnlos gewesen sind. - Welche Sachfragen sollten hier noch geklärt werden? Wenn Werner Renz das anders sieht, ist das seine Meinung, die auch zu respektieren wäre. Aber hier geht es doch nicht um Sachfragen, sondern um ein Gefühl hinsichtlich des Lebenssinnes eines Menschen. Und das ist eine sehr persönliche Angelegenheit.

 

Ein Urteil des Landgerichts Ansbach von 1962
Werner Renz kritisiert die Übernahme eines Urteils des Landgerichts Ansbach von 1962 zur Veranschaulichung der 1968 erfolgten Novellierung des Gesetzes § 50 Abs.2 StGB. Hier sieht Renz einen inhaltlichen, aus mangelnder Sachkenntnis resultierenden Fehlgriff der Bauer- Dokumentation.
"Im angeführten letzten Teil des Bauer-Filmes übernimmt Ziok Teile aus der Dokumentation DIE TAT UND DIE TÄTER von Lea Rosh (ZDF 1982) und stellt ein im Rosh-Film kritisiertes Urteil des Landgerichts Ansbach von 1962 in den Zusammenhang mit der 1968 erfolgten Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB.
In dem von Rosh angeführten Judikat wurde der einstmalige, der Beihilfe zum Mord angeklagte SS-Obersturmführer Leo Patina 'wegen 10 Verbrechen der Beihilfe zum Totschlag zur Gesamtstrafe von fünfzehn Monaten Gefängnis' verurteilt. Patina hatte Ende Oktober/ Anfang November 1939 (als Führer des von den deutschen Okkupanten installierten 'Selbstschutzes' im Kreis Alexandrowo/ bei Thorn) auf Befehl seines Vorgesetzten (dem 'Abschnittsführer des Selbstschutzes') zehn im Gefängnis von Alexandrowo gefangen gehaltene Polen erschossen. Die Polen waren der Tötung von Volksdeutschen zu beginn des deutschen Einmarsches beschuldigt gewesen.
Ungeklärt blieb in der Ansbacher Hauptverhandlung, ob der den Tötungsbefehl erteilende Vorgesetzte des Angeklagten den Befehl selbst erlassen oder lediglich weitergegeben hatte. Ebenso blieben die Motive des Befehlsgebers unaufgeklärt. Das Gericht stellte mit Blick auf das Mordmerkmal 'niedrige Beweggründe' fest: 'Die Bestrafung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord würde voraussetzen, dass der Angeklagte gewusst oder billigend in Kauf genommen hatte, dass der der Befehlende die Tötung der 10 Polen aus allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehenden Beweggründen angeordnet hat. Nach seiner unwiderlegten Einlassung war der Angeklagte jedoch der Überzeugung, dass die von ihm zu erschießenden Polen todeswürdige Verbrechen begangen hatten; er ging auch unwiderlegt davon aus, dass die Erschießung dieser Polen ausschließlich als Sühne für die von ihnen begangenen Taten angeordnet waren. Dem Angeklagten können daher die bei dem die Tötung Befehlenden allenfalls vorhandenen niedrigen Beweggründe nicht zugerechnet werden.'
Auch eine heimtückische Tötung der Polen meinten die Ansbacher Richter nicht feststellen zu können. Nach Erkenntnis des Gerichts wussten die gefangenen Polen um die ihnen von den deutschen Besatzern vorgehaltene Belastung. Sie mussten mithin die 'Strafe' der Okkupanten gewärtigen. Ihre Erschießung war ihnen zudem einige Tage vor ihrer Tötung durch den Vorgesetzten des Angeklagten angekündigt worden. Arglos waren die Opfer deshalb nach Auffassung des Gerichts nicht.
Anhaltspunte für die Erfüllung des Mordmerkmals 'grausam' sahen die Ansbacher Richter gleichfalls nicht. Die Frage, ob der Angeklagte als Totschläger oder als Gehilfe gehandelt hatte, entschied das Gericht zu Gunsten des Angeklagten, da ihm ein eigenes Interesse an der Tötung der Polen nicht nachzuweisen war.
Erkennbar steht das Urteil des Landgerichts Ansbach aus dem Jahr 1962 in keinem Zusammenhang mit dem 1968 neugeschaffenen § 50 Abs. 2 StGB. Im Ansbacher Fall ging es einzig um die rechtliche Würdigung des an den zehn Polen verübten Verbrechens. Die Gründe, warum das Landgericht Ansbach auf Beihilfe zum Totschlag und nicht auf Beihilfe zum Mord erkannte, waren allein der schwierigen Beweislage (unaufgeklärte Genese des Tötungsbefehls und der Motive des Befehlsgebers) geschuldet.
Die Übernahme des Materials aus Lea Roshs Film DIE TAT UND DIE TÄTER (ZDF, 1982) in die Bauer-Dokumentation ist mithin ein inhaltlicher, aus mangelnder Sachkenntnis resultierender Fehlgriff. (fett von U.D)" (Renz: Mediale Missgriffe ...)

Im Grunde könnte man vielleicht eher sagen, es ist kein Fehlgriff, sondern ein Kunstgriff. Ilona Ziok ging es darum, einen schwierigen Sachverhalt zu verdeutlichen und wählte dieses Mittel, insbesondere weil es nicht um einen kleinen Zirkel kundiger Fachleute ging, sondern um Menschen, die vielleicht zum ersten Mal von Fritz Bauer und diesen Sachverhalten hören.
Wer den Film gesehen hat, kann sich nun ein sehr anschauliches Bild von der sonst sehr abstrakten und vielleicht etwas abgehobenen Problematik dieses neugeschaffenen Gesetzes machen. Auch wenn zunächst kein direkter sachlicher Zusammenhang zwischen den Ansbacher Urteil von 1962 und der Gesetzesnovelle von 1968 besteht, ist die Übernahme des Filmmaterials von Lea Ros eher ein künstlerisches bzw. pädagogisches Mittel, das hier sehr erfolgreich eingesetzt wurde. Gerade der unkundige Laie wird es der Regisseurin danken. Nur so wird Fritz Bauer aus der Versenkung, aus der Vergessenheit befreit.

Es wäre schön, wenn der Film "Fritz Bauer - Tod auf Raten" doch eines Tages im Fritz Bauer Institut gezeigt werden könnte - trotz manch unterschiedlicher Einschätzung. Vielleicht wäre das auch im Sinne Bauers, unterschiedliche Auffassungen bzw. Standpunkte zuzulassen. Der Kern von Bauers Anschauung ist ja ein "ethischer Pluralismus", der sich dadurch auszeichnet, Unterschiedliches - auch Gegensätzliches zuzulassen.

U.Dittmann (Dez 2013)

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