Die Modernität von Fritz Bauer

Kommt die juristische Idee, die Bauer 1963 beim Auschwitz-Prozess hatte,
50 Jahre später zum Durchbruch?

In einem interessanten und lesenswerten Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 1.Juni 2013 beschrieb Ronen Steinke die historischen und neuen Gegebenheiten zum Thema Auschwitz-Prozess

Die Idee von Fritz Bauer beim Auschwitz-Prozess war damals: Alle, die an der Tötungsmaschinerie in Auschwitz beteiligt waren, wegen gemeinschaftlichen Mordes anzuklagen. "Fritz Bauer ließ sogar den SS-Mann, der in Auschwitz dafür verantwortlich war, die gestreifte Häftlingskleidung auszugeben, wegen gemeinschaftlichen Mordes anklagen. Das sollte ein Statement sein, ein Anschauungsbeispiel für Bauers zentrale juristische These. Auch wenn für sich betrachtet das Ausgeben von Häftlingskleidung natürlich kein Verbrechen ist." (Steinke) - "Allesamt, so argumentierte Fritz Bauer, waren sie mit dem Betrieb einer Tötungsfabrik beschäftigt, alle halfen sie mit beim Mord, denn einem anderen Zweck als diesen diente der 'Betrieb' in den Vernichtungslagern der Nazis schließlich nie". (Steinke)

Die Idee von Bauer wurde damals verworfen, galt als unzeitgemäß. "Die Frankfurter Richter schüttelten darüber nur den Kopf. 'Was soll das?' herrschte am Rande des Prozesses einer der jungen Staatsanwälte Bauer an. Eine solche Konstruktion von Schuld werde der Bundesgerichtshof mit Sicherheit verwerfen, diese Argumentation sei geradezu fahrlässig. 'Man setzt das Urteil aufs Spiel'.
Die Frankfurter Richter verlangten konkrete Beweise für konkrete Morde... Erst im Jahr 2011, im Münchener Urteil gegen John Demjanjuk, einem ukrainischen Wachmann in der Tötungsfabrik Sobibor, haben sich deutsche Richter zum ersten Mal der Argumentation Fritz Bauers angeschlossen: Der Nachweis einzelner Gewalttaten sei nicht erforderlich, um einen Sobibor-Wachmann der Beihilfe zum Mord schuldig sprechen zu können. Was immer er in dem Apparat dort auch tat; seine einzige moralische Option wäre Verweigerung gewesen." (Steinke)

Nun - 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess - könnte es auf der Grundlage dieses Urteils erneut zu Anklagen gegen Wachleute aus Auschwitz kommen - und zwar durch Ermittler der Zentralen Stelle für die Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. "Einen Verdächtigen haben sie bereits in Untersuchungshaft genommen. Der 93 Jahre alte Hans Lipschis bestreitet nicht, Angehöriger der Lager-SS gewesen zu sein, er will dort aber nur als Koch gearbeitet haben. Wenn der Plan der Ermittler aufgeht, dann sollen weitere folgen." (Steinke)

Damals wären solche Täter vom Bundesgerichtshof freigesprochen worden. Es ist die Frage, wie der BGH heute entscheiden würde. "Ob er heute dazu geneigt wäre, die Mitverantwortung jedes Rädchens für das gemeinsam begangene fabrikmäßige Morden auszusprechen, ist offen. John Demjanjuk starb, bevor seine Revision in Karlsruhe bestätigt oder verworfen werden konnte. Die Richter in Karlsruhe haben noch nicht Position beziehen müssen." Noch ist alles offen.

Am 20. Dez. 1963 jährt sich der Beginn des Auschwitz-Prozesses zum 50. Mal. Es wäre ein deutliches Zeichen, wenn die damalige Idee von Bauer, alle am Mord beteiligten Personen strafrechtlich zu belangen, umgesetzt werden würde.

Es ist die Frage, ob inzwischen die Zeit reif ist für diese Idee.

Bauer - und damit auch der Auschwitz-Prozess - sind plötzlich wieder aktuell geworden. Vielleicht kann in diesem 50. "Auschwitz-Jahr" auch gerade daran gedacht werden. Am 14. November 2013 findet dazu eine wichtige Veranstaltung des Fördervereines des Fritz Bauer Institutes in Frankfurt statt mit dem Titel: "NS-Prozesse: Warum erst jetzt, warum jetzt noch?", wo im Rahmen einer Podiumsdiskussion dieser Fragestellung nachgegangen wird. Auch der 20. Dezember, an dem der Auschwitz-Prozess 1963 begann, wäre ein geeigneter Tag dafür, sich direkt mit diesem Thema zu beschäftigen: Ist Fritz Bauer und sein Impuls plötzlich wieder aktuell geworden?

U.Dittmann (August 2013)

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