Der Fritz Bauer Film "Tod auf Raten" von Ilona Ziok und die Rolle Eduard Drehers
zur Amnestierung von NS-Tätern

Zur Dramatik des § 50 Abs 2 des StGB

Über Tiefpunkte deutscher Rechtsgeschichte

Manchmal könnte man sich fragen, in was für einem Land - oder ist es eine Bananenrepublik? - wir leben. Es ist die Bundesrepublik Deutschland gemeint, zumindest in den Jahren bis Anfang der 70iger Jahre. Und welche  Rolle die Justiz dabei spielte, gerade auch in den Nachkriegsjahren. In dieser westdeutschen Justiz scheint es einen Tiefpunkt nach dem anderen gegeben zu haben, obwohl gerade diese Zeit auch von manchen Historikern, Juristen und Politikern eher nostalgisch verklärt wird. Der Gipfel ist sicher die Bemerkung eines Historikers, von der "Erfolgsgeschichte der rechtsstaatlichen Demokratie" in Deutschland nach dem Krieg zu sprechen.

Was für eine merkwürdige Sichtweise und Wahrnehmung eines deutschen Historikers mag hier vorliegen. Sieht er die Vielzahl problematischer Rechtsprechungen und Urteile in der jungen Bundesrepublik gar nicht? Reicht es ihm gar, wenn die Justiz nicht direkt zum Handlanger von Unrechtshandlungen wird? Die Einschätzung einer "Erfolgsgeschichte" ist zumindest sehr fragwürdig.

Angesichts solcher Meinungen und Haltungen ist dem Ausspruch von Prof. Joachim Perels bei seiner Rede zur Entgegennahme des Fritz Bauer Preises 2012 sicherlich besonderes Gewicht zu geben. Als Schlusssatz seiner überaus bemerkenswerten und an Fakten reichen Rede stellte er fest: "Die Geschichte der Bundesrepublik muss erst noch geschrieben werden."

Damit bezog er sich auf die Vielzahl von Fakten, die in der herkömmlichen Geschichtsschreibung nur wenig oder gar nicht berücksichtigt wurden. Und hierbei spielt die Justiz in der Nachkriegszeit eine besonders problematische und unrühmliche Rolle.

Schaut man auf die Rechtsprechung der Nachkriegszeit bis Anfang der 70iger Jahre, gibt es viele problematische Urteile, sei es das Roeder-Urteil von 1950 oder das Urteil gegen die NS-Mörder von Canaris, die 1956 auf Grund der "Gehilfenrechtsprechung" in der Bundesrepublik freigesprochen wurden. Der spätere BGH-Präsident Hirsch sprach hier von einem "Tiefpunkt" der deutschen Rechtsgeschichte.

Scheinbar scheint es jedoch eine Vielzahl solcher Tiefpunkte in der deutschen Nachkriegsrechtsprechung gegeben zu haben. Dies sollte bei einer vollständigen Geschichtsschreibung wenigstens erwähnt werden. Ein besonders dramatischer Tiefpunkt wurde sicherlich mit der Novellierung des § 50 Abs.2 von 1968 erreicht. Diese Novellierung (mit ihren enormen Auswirkungen) ist sehr unscheinbar und kaum im allgemeinen Bewusstsein.

Der Film "Fritz Bauer - Tod auf Raten" von Ilona Ziok weist auf die dramatischen Folgen dieser Novellierung hin
Es ist ein Verdienst des Fritz-Bauer-Filmes "Tod auf Raten", hierauf in einer sehr drastischen Form aufmerksam gemacht zu haben. Dass diese Novellierung des § 50,2 in die Zeit des Todes von Fritz Bauers fällt, ist besonders tragisch. Diese Tatsache sowie der Umstand, dass der Fritz Bauer-Film darauf eingeht, hat immerhin auch zu dem sehr verdienstvollen Aufsatz von Michael Greve geführt, der im Herbst 2010 im Bulletin des Fritz Bauer Institutes erschienen ist. (1)

Weshalb die ganze Aufregung um diesen § 50 Abs.2?  Hier wurde durch eine kleine unscheinbare Gesetzesänderung, die im Grunde niemanden aufgefallen war, ein Großteil der NS- Täter aus den Konzentrationslagern, Einsatzgruppen sowie Schreibtischtätern amnestiert. Der erste Schritt fand dazu schon in den 50- und 60iger Jahren durch die sogenannte "Gehilfenrechtsprechung" statt, die sich immer mehr durchsetzte. Viele NS-Täter wurden nun als "Gehilfen" eingestuft, obwohl sie selber auch als Täter Menschen z.B. in KZs ermordet hatten. Durch die "Gehilfenrechtsprechung" - die auch Fritz Bauer massiv kritisierte - erhielten diese Täter niedrigere Strafen als die sogen. "richtigen" Täter. Perels führte in seiner Rede aus, dass etwa 80% der Täter aus den KZs als "Gehilfen" eingestuft wurden und nur etwa 20% als "Täter" verurteilt wurden (bei den Einsatzgruppen und Schreibtischtätern waren es sogar 90% "Gehilfen" und ca 10% "Täter").

Durch die Novellierung des § 50 Abs 2 waren nun diese Urteile für "Gehilfen" nach dem 1.Okt.1968  verjährt und wurden entsprechend eingestellt. Ausführliche Beschreibungen dazu findet man in den Aufsätzen von Greve und Rottleuthner. (2) Der Aufsatz von Rottleuthner "Hat Dreher gedreht? Über Unverständlichkeit, Unverständnis und Nichtverstehen in Gesetzgebung und Forschung" von 2001 beschreibt schon die Problematik, er ist aber für einen Laien nicht gerade verständlich. Erst der Film von Ilona Ziok stellt die Auswirkungen dieses Paragraphen so anschaulich dar, dass man sehr betroffen ist.

Allerdings ist es vielleicht noch nicht der Fall, wenn man den Film zum ersten Mal sieht, da die Umstände des Todes von Fritz Bauer sowie die Ereignisse um Eichmann und den Auschwitz-Prozess zunächst die Aufmerksamkeit fesseln. Aber das ist das Interessante an dem Film: Je häufiger man ihn sieht, desto mehr treten auch andere Handlungen, Ereignisse und Berichte in den Vordergrund. Dazu gehören sicherlich die Umstände, Hintergründe und Auswirkungen dieses § 50 Abs.2.

 

Die Rolle des ehemaligen Sonderrichters Eduard Dreher als Leiter der Strafrechtsabteilung des Bundesjustizministeriums
Eduard Dreher war vor 1945 als Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck tätig und hatte selbst bei geringfügigen Vergehen wie Lebensmitteldiebstahl Todesstrafen beantragt und durchgesetzt. Durch einen Persilschein des österreichischen Generalstaatsanwalt Grünewald konnte er nach 1945 in den Staatsdienst zurückkehren. Es ist schon paradox bzw. eine Zumutung, dass eine solche Person später in Bonn ein führender Strafrechtsreformer wurde und so an einer versteckten Amnestierung von NS-Straftätern aktiv mitwirken konnte. (3)

Hier kann nicht auf einzelne Umstände dieser Novellierung und der Rolle des ehemaligen Sonderrichters Dreher eingegangen werden, der quasi den ganzen Bundestag ausgehebelt hat, in dem dieser eine Regelung beschlossen hat, dessen Auswirkungen niemandem klar war. Die Verabschiedung des § 50 Abs.2 im Bundestag war einstimmig (auch mit den Stimmen der Opposition) und erst später wurde vielen bewusst, was sie da verabschiedet hatten.

Damals war es ausgerechnet die Bild-Zeitung, die zum ersten Mal die Fragwürdigkeit der Gesetzesänderung erkannte (im Dezember 1968), und ab Januar 1969 wurde dann der Spiegel
aktiv. Da war es aber schon zu spät.

Wer sich über die Bedeutung des § 50 Abs.2 und dessen Auswirkungen informieren möchte, dem sei der Fritz Bauer Film "Tod auf Raten" empfohlen. Der Aufsatz von Michael Greve beschreibt die Zusammenhänge noch einmal aus historisch-wissenschaftlicher Sicht und ist sicherlich eine gute Ergänzung zum Film, ebenso der Aufsatz von Rottleuthner.

Man kann nur hoffen, dass die Justiz und die Legislative in Zukunft anders und sensibler agieren. Der aktuelle Fall des Meldegesetzes vom Sommer 2012 aber zeigt, wie wichtig auch weiterhin eine kritische und informierte Öffentlichkeit ist, um fragwürdige Entscheidungen im Bundestag zu korrigieren. (4)

Im Falle des § 50, 2 war es damals nicht der Fall gewesen. Hier war es einer Person gelungen, einen Sachverhalt juristisch so zu vernebeln, dass keiner der Verantwortlichen, die abzustimmen hatten, erkannte, was sie eigentlich beschlossen. Sicherlich war dies kein Glücksfall der "demokratischen rechtsstaatlichen Erfolgsgeschichte" im Nachkriegsdeutschland.

U.Dittmann (2012)

 

Anmerkungen:
1. Michael Greve: Amnestie von NS-Gehilfen. Die Novellierung des § 50 Abs. StGB und dessen Auswirkungen auf die NS-Strafverfolgung. In: Einsicht 04 (Herbst 2010), Bulletin des Fritz Bauer Institutes. S.54- 57
2. Greve (siehe Anm.1) und Hubert Rottleuthner: Hat Dreher gedreht? Über Unverständlichkeit, Unverständnis und Nichtverstehen in Gesetzgebung und Forschung. In: Rechtspolitisches Journal Bd.20/ 2001. S. 665- 679
3. siehe Greve: a.a.O.  S.55
4. Dieser Vergleich drängt sich auf, da mit der Verabschiedung des Meldegesetzes im Sommer 2012 ein wichtiges Gesetz im Bundestag im Schnelldurchgang beschlossen wurde, als nur 18 Abgeordnete im Parlament anwesend waren. Damals kam jedoch ein starker Protest auf, auch über die modernen Medien, so dass das Gesetz wieder in Frage gestellt wurde.

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