Kurzbericht von der Tagung

Fritz Bauer in der deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte
vom 21./22.Oktober 2012
in der Goethe-Universität, Campus Westend, Frankfurt am Main

Die folgenden Ausführungen können nur einen kleinen Eindruck von der insgesamt sehr interessanten Tagung vermitteln. Die ausführlichen Beiträge der einzelnen Referenten werden 2013 im Jahrbuch des Fritz Bauer Institutes erscheinen.

Vorbemerkungen:
Leitthema der Tagung war: Fritz Bauer als "Jude", obwohl er sich selber nicht als Jude empfand und sein Judentum sogar verneinte - ganz im Gegensatz zu vielen anderen jüdischen Remigranten oder KZ-Überlebenden. Bauer unterscheidet sich hier deutlich von ihnen. Allerdings wurde er von anderen trotzdem als Jude empfunden, was sich dann auch konkret auf sein Leben auswirkte. Am deutlichsten zeigte sich das z.B. 1946, als er überlegte, als Remigrant wieder in seine alte Heimat nach Stuttgart zu gehen. Dabei erlebte er Widerstände als jüdischer Remigrant von Seiten der amerikanischen Militärbehörde, die angesichts eines latenten bzw. offenen Antisemitismus in der Bevölkerung Bedenken äußerte. Der Weg zurück nach Stuttgart war somit nicht möglich und er musste nach anderen Wegen suchen. So kam er schließlich durch Vermittlung Kurt Schumachers 1949 nach Braunschweig in der britischen Zone, in das neu gebildete Land Niedersachsen.

Die Tagung versuchte auf die Punkte einzugehen, durch die Bauer durch sein "Jude-sein" bestimmt wurde und wählte dadurch zahlreiche "Umwege" - insbesondere indem sein Leben im Verhältnis zu vielen anderen Personen betrachtet wurde, die teilweise ein ähnliches Schicksal, aber ein anderes Selbstverständnis hatten. So wurde durch den Blick auf diese anderen auch das Bild um Bauers Persönlichkeit auf "indirekte" Weise erweitert.

I. Detlev Claussen
Über die Remigranten Fritz Bauer, Max Horkeimer und Theodor W.Adorno
Bauer, Horkheimer und Adorno kannten sich und hatten in Frankfurt auch miteinander zu tun. Alle drei sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: Adorno liebte die Öffenntlichkeit, Bauer eher weniger, und Horkheimer zeigte sich wenig in der Öffentlichkeit. Alle drei waren sehr individualisiert und persönlich sehr isoliert. Zu Adorno gab es stärkere Bezüge durch die Arbeiten zum Strafrecht, insbesondere dem Sexualstrafrecht. - Die Distanz untereinander zeigte sich u.a. auch darin, dass Adorno und Horkheimer sich lange Zeit mit "Sie" anredeten, erst nach dem 60.Geburtstag von Horkheimer wurde das "Du" angeboten. - Horkheimer war wie Bauer in Stuttgart geboren und suchte eher den Kontakt zur Loge, die er schon über seinen Vater her kannte. - Adorno hielt nach Bauers Tod eine Rede zu seinem Begräbnis.

II. Katharina Stengel
H.G.Adler, Hermann Langbein und Fritz Bauer"Über die schwierige Rolle der Verfolgten in den NS-Prozessen"
Katharina Stengel hat eine ausführliche Studie zu Hermann Langbein angefertigt, die gerade als Buch erschienen ist.
Hermann Langbein (1912-1995) war KZ-Überlebender und setzte sich mit großer Entschiedenheit für die Strafverfolgung von NS-Tätern und der Entschädigung von Opfern ein. Spätestens 1959 lernten sich Langbein und Bauer kennen.
H.G. Adler war 1910 in Prag geboren, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, kam dann in andere KZs und wurde Mitte 1945 befreit. Keiner seiner Angehörigen überlebte den Holocaust. 1949 ging er nach England und schrieb eine Dokumentation über Theresienstadt, die 1955 erschien. Ab 1959 unterstützte er Langbein, insbesondere bei dessen Auschwitz-Dokumentation 1960-62.
Langbein und Adler versuchten, auf die Ermittlungen im Auschwitz-Prozess Einfluss zu nehmen und hatten hohe Erwartungen an Bauer als Jude mit KZ-Erfahrung. Die übergroßen Hoffnungen von Langbein erfüllten sich nicht, und Bauer ging auch auf Distanz zu Langbein. Es war ein schwieriges Verhältnis: hier der Pragmatiker Bauer, der die Prozesse auch als Lehrstunde sehen wollte, und dort der KZ-Überlebende, der sich selbst als Experte verstand und als Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees über wichtige und internationale Kontakte verfügte.
Langbein und Adler war die Opferperspektive wichtig - sie fühlten sich selbst als Opfer. Für Bauer dagegen standen die Dokumente im Vordergrund. Bauer fühlte sich als Deutscher.
Es war die Frage, ob die Spannungen zwischen Bauer und Langbein hätten aufgelöst werden können. Bauer konnte nicht auf jeden Wunsch Langbeins eingehen; er hatte auch Verantwortung für den Prozess, dass dieser nicht platzte. - Klagen über den jeweils anderen gab es wohl kaum; nur in Briefen gegenüber Adler äußert sich Langbein sehr kritisch über Bauer.

III. Katharina Rauschenberger
Fritz Bauer und Henry Ormond
Die Lebensläufe von beiden sind zunächst sehr vergleichbar. Henry Ormond  war 1901 in einer jüdischen Familie in Kassel geboren. 1938 kam er nach dem Pogrom in das KZ Dachau (bis Mitte 1939). Anders als Bauer behielt er den Bezug zum Judentum. Nach den Erfahrungen in Deutschland wollte er Engländer werden (und änderte auch  seinen Namen; ursprünglich hieß er Jacobsohn bzw. Oettinger). 1947 wurde er britischer Staatsbürger.
Bauer kam dagegen aus einer deutsch-jüdischen Kleinfamilie, die kaisertreu und patriotisch war. Bauer fühlte sich als Deutscher und nicht als Jude.
Beide studierten zur selben Zeit in Heidelberg Jura; sie hätten sich schon dort begegnen können.
Ormond kam nach dem Krieg wieder nach Deutschland und arbeitete zunächst für die britische Militärverwaltung, in deren Auftrag er auch Lizenzen für zahlreiche Zeitschriften erteilte (z.B: für den Stern, für den Spiegel bzw. dessen Vorläufer; auch für die Braunschweiger Zeitung). Anders als Bauer wollte er nicht in den Staatsdienst, sondern war ab 1950 in Mannheim als Rechtsanwalt tätig. Von dort führte er einen wichtigen Prozess gegen IG-Farben, der ihn sehr bekannt machte (Fall Wollheim). Hier ging es zunächst um eine Forderung von 10 000 Mark; Ormond erreichte jedoch die Zahlung einer Entschädigungssumme von 3 Millionen Mark (auch für weitere Opfer). Nicht zuletzt deswegen wurde Ormond später in Israel wie ein Staatsgast empfangen.
Ormond und Bauer kannten sich wahrscheinlich seit 1956; zu Langbein hatte Ormond seit 1959 Kontakt. Ormond vertrat im Auschwitz-Prozess die Seite der Opfer.- Für Bauer war der Auschwitz-Prozess als Großprozess wichtig, um dadurch das System Auschwitz kennenzulernen.

Für Ormond spielten Israel und England eine wichtige Rolle, auch als Länder, um dort zu leben. Für Bauer war Israel eher wegen des Eichmann-Prozesses wichtig. Im Zuge der Ermittlungen zu Eichmann war er 4x in Israel gewesen und zeigte auch Sympathie für das Land. Es hat aber einen ganz anderen Stellenwert für ihn gehabt als für Ormond.
Letztlich blieb aber Ormond doch in Deutschland, kaufte ein Haus und gründete eine Familie. Bauer hatte dagegen eine kleine Mietwohnung bezogen und war viel unterwegs. - Beide waren auf ihre Weise von ihren Aufgaben sehr überlastet, was wohl bei beiden zu einer Verkürzung der Lebenszeit führte. Ormond starb 1973 während eines Plädoyers im Gerichtssaal an einem Herzinfarkt.

IV. Klaus Kempter
Über Joseph Wulf und das "Internationale Dokumentationszentrum" am Wannsee
Joseph Wulf kam aus Polen und fühlte sich als Ostjude bzw. galizischer Jude. Nach dem Krieg lebte er in Berlin und gab zusammen mit Poliakov (Paris) das erste Buch zur Holocaust-Forschung heraus. - Wulf selbst lebte sehr isoliert, hatte aber ein größeres Netzwerk an überregionalen und internationalen Kontakten. Innere Staatenlosigkeit und Internationalistisches prägten sein Empfinden und Handeln. An einem NS-Prozess hatte er nur ein Mal teilgenommen (am Prozess gegen den KZ-Kommandanten Göth in Polen 1945).
Zu Bauer hatte Wulf eher nur sporadische Kontakte, z.B. durch das Einholen von Rechtsauskünften, wobei er von Bauer bei seinen Bemühungen wohlwollend unterstützt wurde.
Im Zentrum von Wulf stand das Bemühen um den Aufbau eines "Internationalen Dokumentationszentrums", zunächst im ehemaligen Haus der Wannseekonferenz. Ein Ort, der sich sicherlich dafür geeignet hätte. Zunächst hatte er auch Zusagen dafür erhalten, auch von Willy Brandt. Als dieser dann aber von Berlin nach Bonn ging, fühlten sich seine Nachfolger (Albertz, Schütz) nicht mehr an die Zusagen gebunden.
Das Ganze ist ein spannendes Kapitel, wobei besonders das renommierte "Institut für Zeitgeschichte" in München eine sehr unrühmliche Rolle spielt, das das Projekt von Wulf nicht unterstützte, wohl auch aus Gründen der Konkurrenz und des "Futterneides", d.h. der Zuwendung von Fördergeldern. 1973 löste sich das Projekt dann auf.
Dabei spielt auch das Jahr 1968 eine große Rolle. In diesem Jahr erfolgte für das Projekt ein Einbruch. Das Interesse an dem Projekt ließ nach. Mit den 68igern traten andere Themen in den Vordergrund wie der Vietnamkrieg, die 3.Welt, die marxistische Faschismustheorie. Das Interesse an NS-Verbrechen kam in der Forschung fast zum Erliegen, erst in den 90iger Jahren nach dem Fall der Mauer zeichnet sich wieder eine Wende ab.
1974 beging Wulf Selbstmord. In Hinblick auf das Projekt von Wulf sollte die Rolle des Institutes für Zeitgeschichte noch näher untersucht werden. Aus dem Publikum kam auch der Wunsch, dass die Geschichte dieses Institutes noch geschrieben werden sollte, auch mit seiner ganzen Ambivalenz. Die Aufgaben des Institutes und eines Internationalen Dokumentationszentrums hätten  sich gut ergänzen können, da letzteres den Schwerpunkt eher auf internationale Fragen gelegt hätte. - Aber auch die jüdische Gemeinde Berlin mit Herrn Galinski unterstützte das Wulf-Projekt nicht, da man fand, dass sich die Deutschen selbst um ein solches hätten kümmern müssen.
Lange Zeit hatte Wulf jedoch große Unterstützung von vielen Seiten bekommen. Erst 1968 war ein Einbruch gekommen. Insofern war es anders als bei Bauer, der eigentlich fortlaufend mit Hindernissen und Schwierigkeiten zu tun gehabt hatte.

V. Lena Foljanti:
Zur Rechtstheorie von Fritz Bauer im Kontext der Nachkriegszeit
Direkt nach dem Krieg gab es eine Reihe von Schriften über Rechtsgeschichte, in denen insbesondere der Rechtspositivismus kritisiert wurde bzw. auf der "Anklagebank" saß. Bauer beteiligte sich an dieser Diskussion nicht. Erst ab 1956 äußerte er sich dazu, als die allgemeine Diskussion darüber schon am Abklingen war. Er suchte für das Naturrecht eine neue Begründung. Dabei wurde für ihn der Begriff der Humanität maßgeblich. Indirekt knüpfte er hier an Max Ernst Meier (gestorben 1923) an, für den Humanität ein oberster Rechtswert war. - Auch andere Namen wie Kelsen oder Heller tauchen bei ihm nicht auf.

Bauers Texte sind eher als rechtstheoretische Schriften zu bezeichnen. Es handelt sich nicht um Rechtsphilosophie.

VI. Volker Rieß
Fritz Bauer und die Zentrale Stelle in Ludwigsburg

Die Kontakte von Bauer zur Zentralen Stelle in Ludwigsburg waren eher formaler Natur und betrafen vor allem den Fall Eichmann.

VII. Ronen Steinke
Fritz Bauer und die Interview-Affären 1963 und 1965
Es gibt vier Leitz-Ordner mit vielen kleinen Texten und Interviews von Bauer, die sehr verstreut waren. Aus allen diesen Texten und Interviews  ragen zwei Interviews aus den Jahren 1963 und 1965 heraus, da sie regelrechte Kampagnen gegen Bauer auslösten. Es handelt sich um zwei Interviews, die er jeweils in Dänemark gegeben hatte.
Das erste Interview fand kurz vor dem Auschwitz-Prozess statt, mit der "B.T", einer der größten dänischen Boulevard-Zeitungen. Bauer war 59 Jahre alt, der dänische Journalist war noch jung (26 Jahre). Bauer hatte nach dem Artikel gesagt, Hitler hätte auch heute noch in Deutschland ein leichtes Spiel, wenn er wiederkäme. Die Meldung wurde auch über UPI weltweit verbreitet. In Deutschland distanzierte sich auch der SPD-Bundesvorstand von Bauer; er wurde von Adenauer kritisiert und die CDU forderte seine Suspendierung. - Bauer drückte anschließend aus, er sei falsch zitiert worden. Auch bei dem zweiten Interviews 1965 musste Bauer einlenken und drückte aus, dass er falsch wiedergegeben worden sei.
Die Interviews unterscheiden sich inhaltlich ansonsten nicht von dem, was er ansonsten auch gesagt und geschrieben hat. In diesem Fall war es nur so, dass die kritischen Interviews im Ausland stattgefunden und weltweite Verbreitung gefunden hatten.
Wichtig für Bauer war in dieser Situation, dass er jeweils Rückendeckung von der SPD in Hessen bekam. Dort wusste man noch aus Bauers Braunschweiger Zeit, wie er aus einer kleinen Sache (z.B. der Verleumdungsklage im Remer-Prozess) etwas Großes machen konnte. Die Kritik von Adenauer diente dazu, ihm vor dem Auschwitz-Prozess noch seine Grenzen aufzuzeigen. Andererseits bekam er auch Unterstützung von Zeitungen wie der SZ und der FR.

VIII. Liliane Weissberg
Kommentar zu Tagung

 In ihrem Kommentar hob Liliane Weissberg hervor, dass in den Beiträgen zur Tagung deutlich wurde, wie Bauer eine Niederlage nach der andern erlebte. Und doch wirkte es im Nachhinein wie ein Sieg. Insofern entsteht schon das Bild eines "einsamen Helden".

 

Weitere Eindrücke
Die Tagung fand in der Goethe Universität (im Casino Gebäude des IG Farben Komplex) war gut besucht. Am ersten Abend nahmen etwa 150 Personen an der Veranstaltung teil, am nächsten Tag waren es 80-120 Teilnehmer.

Im weiteren ein Bild des IG Farben Hauses, in dem auch das Fritz Bauer Institut untergebracht ist (im 3.Block, 5.Stock). Der Komplex war nach dem Krieg Hauptquartier der USA für Westeuropa.

Weitere Anmerkungen:

- Herr Claussen teilte mir nach der Tagung mit, dass es sehr unklar sei, ob Adorno tatsächlich
eine Rede zum Tode Bauers gehalten habe. Es gibt wohl keine weiteren Unterlagen dazu, auch in der Geächtnisschrift zu Bauers Tod "In memoriam Fritz Bauer" (Wiesbaden, 1969) ist
keine Rede von Adorno abgedruckt. Vielleicht könnte das noch weiter geklärt werden.

- Bei der sehr interessanten Tagung um Bauer ging es in erster Linie um Menschen, mit denen er "beruflich" zu tun hatte. Der "private" Mensch Bauer kam kaum zur Sprache. Vielleicht könnten hierzu noch Weiteres zusammengetragen werden, um ein vollständiges Bild von ihm zu bekommen. Bisher  ist so nur der Eindruck eines sehr einsamen Menschen entstanden - ist aber dieser Eindruck richtig?
Wenn man den Bericht von Dieter Schenk "Über die Todesumstände von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer" liest, wundert man sich vielleicht, wie gesellig und kontaktfreudig Bauer noch in seinen letzten Lebenstagen war. Immerhin saß er noch um Mitternacht mit einer Nachbarin auf dem Balkon und bestellte noch Brötchen bei ihr. - Gibt es vielleicht noch einen ganz anderen Fritz Bauer, von dem man bisher wenig weiß? Vielleicht findet man noch weitere Hinweise darüber, wie Bauer gelebt hat, wie er als Mensch, als private Person war?

- Die Tagung hat den Schwerpunkt auf die Beschreibung von Menschen gehabt, die auch mit Fragen des Holocausts zu tun oder auch ein ähnliches Schicksal wie Bauer hatten. Eine mögliche spätere Tagung könnte vielleicht die vielfältigen Themen behandeln, mit denen sich Bauer auch beschäftigt hatte wie Strafrechtsreform, Strafvollzug, Sexualstrafrecht, Euthanasie, Völkerrecht usw.

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