"Die Geschichte der Bundesrepublik muss erst noch geschrieben werden."

Zur Verleihung des Fritz Bauer Preises 2012 an Prof.Dr.Joachim Perels in Kassel

Der Satz "Die Geschichte der Bundesrepublik muss erst noch geschrieben werden" stand am Ende der Rede von Prof. Perels und sagt zugleich viel aus über die bisherige Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik. Diese sei insgesamt schon sehr einseitig, vieles werde überhaupt nicht erwähnt. Und wenn ein moderner Historiker von der "demokratisch rechtsstaatlichen Erfolgsgeschichte" in Deutschland nach dem Kriege spricht, dann sei es schon bedenklich und sollte wenigstens in Frage gestellt werden.

In seiner Rede ging Prof. Perels gerade auf die Seiten ein, die bisher wenig berücksichtigt wurden. Es war eine sehr persönlich gehaltene Rede mit zahlreichen Angaben aus seiner Biographie, die nicht so bekannt sind. Perels hatte sich bisher in dieser Hinsicht sehr zurück gehalten, um seine wissenschaftlichen Forschungen in objektiver Weise zu betreiben, ohne sie mit persönlichen Angaben zu versehen. Angesichts seines Forschungsgegenstandes (NS-Geschichte und deren Aufarbeitung) und seiner eigenen Biographie (der Vater war nach dem 20.Juli als Widerstandskämpfer hingerichtet worden), vielleicht auch ein verständliches Vorgehen.

Allerdings ging Irmtrud Wojak in ihrer Laudatio sehr einfühlsam gerade auf einige sehr persönliche Bereiche der Biographie von Perels ein und gab damit eine Art "Steilvorlage", die Perels dann in seiner eigenen Rede aufgriff. Perels hatte sich Irmtrud Wojak als Laudatorin gewünscht, ohne jedoch zu ahnen, welche Schwerpunkte sie in ihrem Beitrag legen würde.

Im Grunde ist die enorme, reichhaltige und kritische Forschungsarbeit von Perels ohne diesen biographischen Hintergrund kaum zu verstehen. Perels ist 1942 geboren, hat jüdische Vorfahren in seiner Familie (zu denen er sich stolz bekennt), sein Vater war im Widerstand tätig. Nach Bekanntwerden des Attentates am 20.Juli floh dieser auf ein Gut des Grafen Yorck, wo er am nächsten Tag von der Gestapo gesucht, aber nicht gefunden wurde (er hatte sich im Badezimmer versteckt).

Der Vater wurde aber weiterhin gesucht und schließlich am 5.Oktober mit einigen anderen Personen verhaftet. Am nächsten Tag wurde er von einem SS-Mann durch einen Genickschuss getötet. Bis zur Festnahme hatte es noch die Möglichkeit für ihn gegeben, nach England zu flüchten, was er aber abgelehnt hatte. Gegenüber seinem Bruder Otto, der der Bekennenden  Kirche nahe stand, hatte er noch im August 1944 erzählt: "Es fallen so viele für das System. Ich aber finde es besser, wenn auch viele gegen das System fallen."

In seiner Rede wies Perels auf die skandalöse Rechtsprechung zu NS-Tätern in der Bundesrepublik hin. Schon Bauer hatte 1965 beklagt, dass die Urteile hier fast immer an der Untergrenze des Möglichen lagen. Insbesondere durch die Konstruktion der "Gehilfen-Rechtsprechung" blieben zahlreiche Täter straffrei oder erhielten geringe Strafen. 80% der Täter in Konzentrationslagern wurden als "Gehilfen" bezeichnet, nur etwa 20% als "Täter" verurteilt; bei den Einsatzgruppen und Schreibtischtätern waren es sogar 90% "Gehilfen" und nur 10% "Täter". - Im weiteren nannte er einige Beispiele für besonders skandalöse Urteile wie z.B. den Freispruch der Mörder von Canaris von 1956, den der spätere BGH-Präsident Hirsch als  "Tiefpunkt der deutschen Rechtsgeschichte" bezeichnet hätte.

Auch das Amnestiegesetz von 1954, das mit Hilfe der SPD verabschiedet worden war, wurde von Perels kritisiert. Im Grunde widersprach es dem Geist des Grundgesetzes. Ebenso die Konstruktion, wenn "auf Befehl" gemordet wurde. Nach westdeutscher Rechtsprechung konnte ein Täter dann später amnestiert werden. - Perels zählte einige weitere fragwürdige Konstruktionen in der westdeutschen Rechtsprechung auf und wies darauf hin, dass in den 50iger Jahren in der Justiz das Recht des NS-Staates auf Selbstbehauptung propagiert wurde - mit den entsprechenden Folgen.

Angesichts der Einseitigkeit der westdeutschen Rechtsprechung erscheine die bisherige Geschichtsschreibung noch nicht vollständig, so dass Perels - nach einigen weiteren Ausführungen - schließlich zu dem Ergebnis kam, das er in dem Schlusssatz zusammenfasste: "Die Geschichte der Bundesrepublik muss erst noch geschrieben werden."

Die Rede ist gefilmt worden und wird später im Internet veröffentlicht. Auch soll die Rede demnächst in einer Zeitschrift veröffentlicht werden.

Udo Dittmann

            
Einige Anmerkungen zur Preisverleihung des Fritz Bauer Preises an Prof.Dr.J.Perels

1. Die Preisverleihung fand in einer zentral gelegenen Stadt, in Kassel, statt. Ort war der große Saal in der Buchhandlung "Oase" in der Germaniastraße (in der Nähe des IC- Bahnhofes). Etwa 80 Gäste hatten an der Veranstaltung teilgenommen.
Der Preis wurde früher jährlich verliehen, inzwischen wird er alle zwei Jahre vergeben.
Auch war er früher mit einem Preisgeld dotiert, was jetzt nicht mehr der Fall ist. Vielleicht könnte das wieder geändert werden, indem eventuell auch neue Sponsoren gefunden werden.

2. In begleitenden Gesprächen wies Prof.Perels darauf hin, dass weitere Werke von Fritz Bauer herausgegeben werden sollten, insbesondere das Buch von ihm "Die Kriegsverbrecher vor Gericht", da gerade dies für die moderne internationale Strafgerichtsbarkeit auch von Bedeutung wäre. - In Hinblick auf das Buch "Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns" drückte er aus, dass diese Schrift weniger ein wissenschaftlicher Text sei, eher eine "Agitationsschrift", die es wert sei, gerade auch in Schulen gelesen zu werden.
Er hofft, dass es bald zu einer weiteren Herausgabe von Schriften von Bauer käme.

3. In einem begleitenden Gespräch erwähnte Frau Wojak noch einige Einzelheiten bezüglich der Gesundheit von Fritz Bauer. Dieser hatte u.a. Bronchialasthma und starke Schlafstörungen und nahm daher eine Reihe von Medikamenten ein. Wegen des starken Asthmas konnte er nur im Sitzen schlafen, vermutlich, um genügend Luft zu bekommen. Insgesamt war er bei einigen Ärzten in Behandlung.

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