"Das deutsche Volk braucht eine Lektion im geltenden Völkerrecht..." Fritz Bauer und sein Wirken in Deutschland Fritz Bauer hat sich zu vielem geäußert; zum 8.Mai aber meines Wissens nicht. So hier einige Gedanken dazu. Zunächst einige allgemeine Angaben: "Die Kriegsverbrecher vor Gericht" (1944) Nach der Gründung der Bundesrepublik wurde das KRG Nr.10 ab 1951 faktisch nicht mehr angewendet. Auch die Möglichkeit, die im Kontrollratsgesetz Nr. 10 enthaltenen völkerrechtlichen Tatbestände als Sondergesetze zu übernehmen und Sondergerichte einzuführen, wurde nicht wahrgenommen. (2) Man suchte die Rechtskontinuität. International gesehen könnte man vielleicht sagen, die deutsche Justiz versinke wieder in Provinzialität, um Menschenrechtsrechtsverbrechen nicht ahnden zu können. Es wird noch lange dauern, bis diese Kriterien auch für das deutsche Recht wieder eine Rolle spielen werden. Bei Bauer zeichnet sich in seinem Buch von 1944 schon das ab, was man später das "Weltrechtsprinzip" nennen wird und schließlich Grundlage für die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (1998) wird. In einem Text von amnesty international zur internationalen Strafverfolgung vom Mai 2010 wird das folgendermaßen ausgedrückt: "Das Weltrechtsprinzip besagt, dass Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - in Abweichung von der sonst geltenden Beschränkung des staatlichen Strafanspruchs auf das eigene Territorium und die eigenen Staatsbürger - weltweit verfolgt werden können, da sie die Staatengemeinschaft als Ganzes betreffen... Alle Staaten sind aufgefordert, ihre nationalen Strafrechtsbestimmungen an die Strafbestände des Römischen Statuts (vom 17.Juli 1988) anzupassen. Inzwischen haben 139 Staaten das Statut unterzeichnet, 120 davon haben es ratifiziert. Nicht ratifiziert haben bisher u.a. folgende Länder: USA, Russland, China, Indien, Pakistan, Türkei und Israel.
Eine Lektion im geltenden Völkerrecht... Der Anspruch von Bauer und die Haltung weiter Teile der Justiz und der Bevölkerung klafften weit auseinander. Dass selbst befreundete Juristen wie Herbert Jäger seine Ideen nicht verstanden und als nicht mehr zeitgemäß empfanden, ist schon fast tragisch, da sie letztlich dazu führten, dass es weder eine Gesamtausgabe seiner Bücher, Schriften und Vorträge gibt, noch einzelne Bücher von ihm erschienen sind. (4) Aber zurück in das Jahr 1944. Hier entwickelt Bauer in Schweden seine zukünftigen Ideen, die - wie gesagt - auch in die Rechtsprechung der Nürnberger Prozesse einflossen. Und er schreibt dort: "Das deutsche Volk braucht eine Lektion im geltenden Völkerrecht... Die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher können Wegweiser sein und Brücken schlagen über die vom Nationalsozialismus unerhört verbreitete Kluft zwischen den Deutschen und den Völkern, die unter dem NS-Regime gelitten hatten bzw. am opferreichen Krieg gegen Hitler-Deutschland beteiligt waren." Und Bauer brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, "das deutsche Volk werde aus Einsicht in die eigene so überaus desolate moralische Verfassung nach dem verschuldeten und verlorenen Krieg und angesichts der verübten Massenverbrechen 'das Schwert des Krieges' mit dem 'Schwert der Gerechtigkeit' tauschen." (6) "Ein ehrliches deutsches J'accuse würde das eigene Netz nicht beschmutzen (es ist schon beschmutzt und die Solidarität mit den Verbrechern würde es noch weiter beschmutzen). Es wäre ganz im Gegenteil das Bekenntnis zu einer neuen deutschen Welt, einem - und Bauer zitiert hier Johann Gottlieb Fichte - 'wahrhaften Reich des Rechts', das sich auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gründet." (7) Die Ideen und Hoffnungen werden später in seine Prozesse einfließen, allerdings musste er zahlreiche Widerstände erleben. Viele Deutsche (und Juristen) waren noch nicht so weit, das "beschmutzte Nest" wirklich zu säubern. So war Bauer wie ein Kämpfer gegen seine Zeit, mit hohen Idealen, die oft erst später Wirklichkeit wurden. Das Visionäre und Unbequeme von Bauer wurde später noch einmal von Kempner in seiner Gedenkrede zum Tode Bauers eindrücklich beschrieben: "Liebe Freunde und Kollegen hier im Dornbusch Vergessen ... und eine kleine Renaissance? Rückkehr mit großen Hoffnungen... Bauer äußert sich später in einem Interview dazu folgendermaßen: "... weil ich glaubte, etwas von dem Optimismus und der Gläubigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, etwas vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen der Emigration im Kampf gegen staatliches Unrecht mitbringen zu können (...) Schon einmal hatte die Justiz, als es galt, die Demokratie zu verteidigen, ihre Macht missbraucht, und im Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945 war der staatlichen Verbrechen kein Ende. Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienste leistet." (10) Schon am 7.Juni 1945, einen Monat nach der Kapitulation und dem Ende der Terrorherrschaft, war Bauer von Schweden nach Dänemark zurückgekehrt. Er wollte wieder nach Deutschland gehen, was allerdings nicht ganz einfach war. Eine Zeit war er wohl auch am Schwanken, wie es genau weitergehen sollte - vielleicht doch lieber in Dänemark oder Schweden bleiben? Andererseits fühlte er auch, eine Art Aufgabe in Deutschland zu haben. Eine schwierige Zeit in Niedersachsen Es war ihm jedoch ausgedrückt worden, dass er seine Bewerbung zum Generalstaatsanwalt unbedingt aufrecht erhalten sollte, da "es von maßgeblichen Kreisen" gewünscht würde. Am 1.August 1950 wurde er dann Generalstaatsanwalt. Vorher hatte es aber noch zwei bedeutende Prozesse in Braunschweig gegeben, in die er durch seine späte Ernennung zum Generalstaatsanwalt noch nicht hatte eingreifen können: der Prozess gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Klagges und der Prozess wegen der Riesebergmorde im Juli1933, die jeweils zeigten, wie schwer seine Tätigkeit noch sein würde. Er begann in einer Zeit als Generalstaatsanwalt, als die restaurative Entwicklung mit voller Kraft einsetzte. Gegen diese Entwicklung setzte er Zeichen - ganz besonders auch durch den Prozess gegen Remer, durch den die Männer des 20.Juli rehabilitiert wurden. Remer hatte damals als Kommandant des Wachbataillons den Aufstand des 20.Juli niedergeschlagen, nach dem Krieg 1949 die SRP (Sozialistische Reichspartei) gegründet, die von einigen als "Kopie der NSDAP" bezeichnet wurde (12), und die Männer des 20.Juli als Vaterlandsverräter bezeichnet. In einem Prozess, der bundesweit Aufsehen erregte, erreichte er die Verurteilung Remers. Dabei waren zwei Dinge von besonderer Bedeutung: Das Plädoyer zum Remer-Prozess, das 11 Seiten umfasst und auch in dem Buch von Perels/ Wojak "Die Humanität der Rechtsordnung" nachzulesen ist (14), ist ein literarisches Meisterwerk und ein Bekenntnis zum Rechtsstaat. In seinen Ausführungen vergisst Bauer es sogar, am Ende ein Strafmaß vorzuschlagen. Nicht um die Strafe ging es ihm, sondern um die Idee und Entwicklung des Widerstandsbegriffs in einem Unrechtsstaat, das in den Worten aus Schillers "Wilhelm Tell" gipfelt "Eine Grenze hat Tyrannenmacht..." Remer wurde schließlich zu drei Monaten Haft verurteilt, der er sich dann durch Flucht entzog. Bauer aber hatte hier seine Visionen entwickelt, die zwar auch von der Bundesregierung mitgetragen wurden, aber nicht die allgemeine Stimmung repräsentierten - insbesondere nicht in Niedersachsen. Das spitzte sich dann 1955 zu, als bei der Landtagswahl der SPD-Ministerpräsident Kopf abgewählt wurde und Heinrich Hellwege von der DP Ministerpräsident einer Rechtskoalition aus CDU, FDP, DP und BHE wurde. Fritz Bauer verlor damit einen wesentlichen Rückhalt und suchte nach neuen Möglichkeiten. In Niedersachsen musste er eventuell sogar mit seiner Entlassung rechnen. Generalstaatsanwälte waren damals noch politische Beamte, die das ständige Vertrauen des jeweiligen Landesregierung benötigten und jederzeit ohne jegliche Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnten. Durch Willy Brandt ergaben sich wichtige Kontakte nach Berlin, aber am dortigen Kammergericht war gerade kein geeigneter Posten frei. Brandt drängte ihn, noch zu warten und sich nicht anderweitig zu bewerben, aber da kam der Ruf aus Hessen, damals eine "Oase von Recht und Liberalität" in Deutschland, wie es ... bezeichnet (15) Hessen war jetzt das einzige Flächen-Bundesland, das noch von der SPD regiert wurde - und hier war Fritz Bauer willkommen. Hier konnte er seine vielfältigen Ideen und Visionen weiter umsetzen, trotz vieler Widerstände hatte er hier Rückhalt in der Landesregierung und ganz besonders in dem Ministerpräsidenten Georg August Zinn. Und der Wechsel nach Hessen bedeutete für Bauer angesichts des Größenunterschieds beider Behörden letztlich einen erheblichen Aufstieg. In Braunschweig umfasste die Generalstaatsanwaltschaft nur das ehemalige Land Braunschweig sowie eine weitere Staatsanwaltschaft mit 1 Ober- und 1- Ersten Staatsanwalt, während er in Hessen für das ganze Bundesland zuständig war, mit 9 weiteren Staatsanwaltschaften und 13 Strafvollzugsanstalten. Als Frankfurter Generalstaatsanwalt war er jetzt Vorgesetzter von 4 Oberstaatsanwälten und 17 Ersten Staatsanwälte, insgesamt war er Vorgesetzter von 199 Staatsanwälten und Assessoren. (16) Hermann Weinkauff stellt 1956 das Plädoyer des Remer-Prozesses in Frage In völligem Gegensatz zu dieser Ideenwelt steht Hermann Weinkauff, 1937 bis 1945 Reichsgerichtsrat und seit 1950 Präsident des Bundesgerichtshofes. Helmut Kramer weist wiederholt mit Recht darauf hin, dass es noch keine eigentliche Biographie von ihm gibt. Weinkauff verfasst 1956 ein höchst widersprüchliches Gutachten, in dem die wesentlichen Gedanken von Bauer im Remer-Prozess wieder in Frage gestellt werden. Zwei Aspekte sind dabei besonders bedenklich: - Und er schränkt den Widerstandsbegriff ein, so dass er im Grunde überflüssig wird. Dieser Widerstandsbegriff, den Weinkauff hier entwickelt, ist im Grunde eine Farce. Später wird der BGH diesen obrigkeitsstaatlichen Widerstandsbegriff übernehmen, der grundsätzlich an eine erfolgreiche Umsturzhandlung gebunden ist. In Hessen Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stehen dabei die Werte des Pluralismus und der Toleranz. Pluralismus war für Bauer nicht ein Wert, sondern der Wert an sich. "Jeder Glaube wird jede Lehre aber, die sich für ein Wahrheitsmonopols aussprach, sei abzulehnen." (19) Im Grunde könnte man Bauers Sichtweise als "Ethik des Pluralismus" bezeichnen, was deutlich u.a. auch in seinen Kommentaren zur Spiegelaffäre von 1962 zum Ausdruck kommt. Im Vordergrund stand bei ihm immer der Schutz des Einzelnen vor den Eingriffen des Staates. Die NS-Prozesse sollen den Deutschen "Schule und Unterrichtsstunde" sein... So ging es ihm einerseits um eine Analyse des Vergangenen, aber auch um Deutschlands Gegenwart und Zukunft. Nach Bauers Deutung war eine große Zahl der Deutschen Nazis gewesen und somit auch für das weitere Geschehen mitverantwortlich. Für Bauer waren die Deutschen, die sich als Volksgenossen empfanden und dabei eine Gefolgschaftstreue zeigten, somit in strafrechtlicher und tatsächlicher Hinsicht alles andere als ein Volk von Gehilfen gewesen. (22) Insbesondere die Tatbeteiligten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ließen sich für ihn strafrechtlich als Mittäter qualifizieren. In den Prozessen ging es ja oft um die Frage, ob eine Täterschaft oder Teilnahme (Beihilfe) vorliege. Meist wurden die Täter wegen Beihilfe verurteilt und erhielten dementsprechend geringere Strafen. Bauer versuchte die Westdeutschen von der Notwendigkeit und dem Nutzen der Prozesse zu überzeugen, was nicht einfach war. Andererseits war Bauer auch klar, dass der Strafvollzug nicht geeignet war, um NS-Täter zu verändern, da die Strafen letztlich nur gering waren und man oft schon mit vorzeitiger Haftentlassung rechnen konnte. Insgesamt ging es ihm aber nicht nur um die Täter. In seinem Buch "Die Kriegsverbrecher vor Gericht" drückt er es so: "Der einzelne Verbrecher spielt dabei nur die Rolle des Mittels zum Zweck. Er dient einem höheren Ziel. Seine Person verschwindet hinter der Sache, es geht nicht so sehr um ihn und seine oft diskutierbare Schuld; es geht um das Verbrechen als solches und die Aufrechterhaltung der Normen, die die Gemeinschaft zum Schutz ihrer Existenz und Entwicklung aufgestellt hat." (23) Bei aller Enttäuschung über die oft geringen Strafen, insbesondere auch im Auschwitz-Prozess, hatte er aber eines bewirkt: der Holocaust und andere Kriegsverbrechen sind in das Bewusstsein der Menschen geraten, Auschwitz selbst ist zu einer Zäsur geworden. Und er hat gezeigt: es gibt einfach eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Er führt dazu aus: "Wenn die Prozesse einen Sinn haben, so ist es die unumgängliche Erkenntnis, daß Anpassung in einem Unrechtsstaat Unrecht ist. Wenn der Staat kriminell ist, weil er die Menschen- und Freiheitsrechte, die Gewissensfreiheit, das Recht auf eigenen Glauben, auf eigene Nation und Rasse, das Recht auf eigenes Leben systematisch verletzt, ist Mitmachen kriminell." (24) An anderer Stelle sagt Bauer dazu: "Unsere Strafprozesse gegen NS-Täter beruhen ausnahmslos auf der Annahme einer (...) Pflicht zum Ungehorsam. Dies ist der Beitrag dieser Prozesse zur Bewältigung des Unrechtsstaates in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese pädagogische Aufgabe wird gern übersehen." (25) "Gerichtstag halten über uns selbst..." " 'Bewältigung unser Vergangenheit' heißt Gerichtstag halten über uns selbst, Gerichtstag halten über die gefährlichen Faktoren in unserer Geschichte, nicht zuletzt alles, was hier inhuman war, woraus sich zugleich ein Bekenntnis zu wahrhaft menschlichen Werten in Vergangenheit und Gegenwart ergibt, wo immer sie gelehrt und verwirklicht wurden und werden. Ich sehe darin nicht (...) eine Beschmutzung des eigenen Nestes; ich möchte annehmen, das Nest werde dadurch gesäubert." (27) Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. U.Dittmann
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