Zur Aufführung von "Tristan und Isolde"
im Staatstheater Braunschweig

Die Oper "Tristan und Isolde" - eingebettet in die Hass-Schriften von Richard Wagner gegen Juden von 1850 und 1869

Zunächst vorneweg: ich liebe die Musik von Richard Wagner - so auch seine großartige Oper "Tristan und Isolde". Was mir ein Rätsel ist: wie ein Mensch, der solche Musik komponieren kann, so hasserfüllt, intrigant und niederträchtig sein kann. Wie ganz anders ist da Mozart, dessen Musik ich ebenso liebe.

In einer Biographie über Wagner heisst es: "Wirklich ist es leicht, an Richard Wagner Selbstvergottung, Besserwisserei und Abhängigkeit von Luxus zu kritisieren oder die Stabreime seiner Dichtungen zu bespötteln. Und gar der Antisemitismus: ein offenes Scheunentor! Lässt sich das aufrechnen gegen den anderen Wagner: den Philosophen, Mythenschöpfer, Dichter und Komponisten?" (1)

Insofern hat man es mit zwei Seiten von Wagner zu tun, die man kaum voneinander trennen kann. Einerseits die geniale Musik, andererseits eine Fülle negativer persönlicher Eigenschaften. Das Markante ist, dass es jeweils eine große Auswirkung auf andere gehabt hat, auf seine direkte Umgebung, auf seine Zeitgenossen und auf die spätere Zeit – bis heute.

So leicht, wie es sich der Biograph Martin Geck in seinem aufgeführten Zitat macht, kann es kaum stehen bleiben. Die Größe von Wagner als Komponist und Musiker kann den Antisemitismus von ihm mit seinen weitreichenden Auswirkungen nicht vergessen machen. Da kommt man schnell auf eine schiefe Bahn. Die verheerende Wirkung von Wagner als Antisemit sollte schon präsent sein – sonst kann man viele der späteren Entwicklungen auch in der deutschen Geschichte sowie im Wagner-Clan nicht verstehen.

Welchen Bezug hat dies zur Oper „Tristan und Isolde“? Zunächst ist es ja eine romantische Oper mit Motiven aus dem keltischen Kulturkreis, es spielt in Irland und Cornwall. Antisemitische Züge sind hier nicht zu erkennen, es ist eine reine, aber tragische Liebesgeschichte. Aber sie fällt in die Zeit, in der Wagner seine antisemitischen Ansichten wesentlich entwickelt und zum Ausdruck gebracht hat. Das sollte man nicht vergessen.

Die Schrift „Das Judentum in der Musik“ von 1850
Die Uraufführung von „Tristan und Isolde“ war am 10.Juni 1865 in München. Einige Jahre vorher hatte er eine merkwürdige Schrift geschrieben und diese unter dem Pseudonym K.Freigedank veröffentlicht.

Mit dieser Schrift von 1850 erfolgt ein tiefer Einschnitt in der Geschichte des Antisemitismus. Der bisherige „christliche“ Antisemitismus wird abgelöst von einem neuen biologistischen, rassischen Antisemitismus. Wagner liefert hier in seiner Schrift wesentliche Grundlagen dafür. Er verwendet und beschreibt Phänomene in einer sehr subjektiven Weise, für die es bis dahin noch nicht die entsprechenden Begrifflichkeiten gab. Auch der Begriff „Antisemitismus“ wurde erst später – 1879 von Wilhelm Marr – geprägt. In seinen Angriffen gegen Juden benutzt er zum ersten Mal das Wort „Jude“ im Singular. Das ist ein Sprachgebrauch, der später im rassischen Antisemitismus und insbesondere im Nationalsozialismus gebräuchlich war.

Einige Jahre nach Erscheinen der Schrift beginnt Wagner mit der Arbeit zu „Tristan und Isolde“. In dieser Zeit verfestigen sich die protorassistischen Haltungen von Richard Wagner, die dann schließlich zu einer Neuherausgabe der Schrift im Jahre 1869 führen – jetzt unter seinem richtigen Namen und mit einem ausführlichen Nachwort, in dem die ursprünglichen Ausführungen noch erheblich verstärkt werden. Kurz vorher – im Jahre 1868 – war noch die Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ erfolgt.

So sind beide Opern, „Tristan und Isolde“ (1865) und die „Meistersinger“ (1868), eingebettet in die berüchtigte Schrift über das Judentum von 1850 und der Neuherausgabe von 1869, wobei in der erweiterten Neuauflage von 1869 regelrechte Wahnvorstellungen von einer Verschwörung des Judentums gegen seine Opern zu finden sind.

Inzwischen gehört diese Schrift zu den bösartigen klassischen Texten des Antisemitismus.
Vollständig abgedruckt sind beide Fassungen in dem lesenswerten Buch von Jens Malte Fischer „Richard Wagners ‚Judentum in der Musik’“, in dem sie auch kritisch kommentiert und erläutert werden. Auch werden nähere Hintergründe beschrieben, insbesondere wie sich der Antisemitismus bei Wagner entwickelt hat. (2)

Kurz vor der ersten Herausgabe der Schrift im März 1850 war Wagner noch im Februar des Jahres in Paris gewesen und fühlte sich wiederholt gedemütigt, weil seine bisherigen Opern wie der „Fliegende Holländer“, „Tannhäuser“ und „Lohengrin“ noch nicht den erhofften Erfolg hatten. Wieder sieht er dort eine Oper von Giacomo Meyerbeer (den „Prophet“). Meyerbeer war damals der erfolgreichste Opernkomponist seiner Zeit, und er war Jude. Wagner versteigt sich in einen Hass gegen Meyerbeer, den er Jahre vorher noch sehr geschätzt und auch hofiert hatte. Seine Schrift über das Judentum ist in erster Linie ein Angriff auf Meyerbeer und eine etwas unqualifizierte Abrechnung mit ihm. Allerdings hat die Schrift zunächst noch keine große Wirkung, da sie in einer Musikzeitschrift erscheint und so nur in einem kleinen Kreis von Musikfachleuten bekannt wird.

Protorassistische Ausdrücke in der Schrift über das Judentum
Wagner schreibt dort von der „Verjüdung der modernen Kunst“, er weist auf das äußerlich Fremdartige des Juden hin, auf „das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen des Juden für uns hat“, die Musik der Synagoge mache einen „widerwärtigen Eindruck mit ihrem Gegurgel, Gejödel und Geklapper“, insgesamt sei der Jude völlig unproduktiv und „unfähig, im Bereich der Musik schöpferisch zu werden“. (3)

Außer gegen Giacomo Meyerbeer wendet sich Richard Wagner auch gegen Felix Mendelssohn Bartholdy, den er früher ebenfalls sehr geschätzt hatte. "Dass Wagner Mendelssohn, indem er ihn in das von seinen Eltern abgelegte Judentum zurückwies, in einen deutlichen Gegensatz zum Deutschen brachte, ist eine besondere Infamie gegenüber einem Mann, der sich intensiv als Christ und Deutscher fühlte." (4)  Wenn er weiter von dem "instinktmäßigen Widerwillen gegen das jüdische Wesen" und "die für uns widerliche Besonderheit der jüdischen Natur" schreibt, so verwendet Richard Wagner - der den Begriff der Rasse im späteren Sinn noch nicht kennt -  Begrifflichkeiten, die geschichts- und religionsunabhängig sind und dass der Befund des "Jude-Seins" sich selbst durch die Taufe nicht mehr aufheben lässt. Damit ist der Weg für den späteren biologistischen Antisemitismus vorgezeichnet.

In der Schrift von 1850 machte er sich dann weitere Gedanken über Juden. "Aber bedenke, dass nur eines Eure Erlösung von dem auf Euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasvers: der Untergang." (5) Hundert Jahre später war es dann so weit. Was dann geschehen würde, konnte Wagner nicht vorhersehen. Aber wenn man in dieser Weise hetzt, muss man sich nicht wundern, wenn es bei anderen weiter wirkt. Insofern ist Wagner hier ein geistiger Brandstifter und in gewisser Weise für die weiteren Folgen mitverantwortlich. Ihn hiervon freizusprechen, ist ein Unding, auch wenn man seine Musik mag.

Bei der Neuveröffentlichung der Schrift von 1869 wird es in dem dortigen Nachwort noch bedenklicher und bedrohlicher, wenn es heißt: "Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist." (6) Inzwischen kennen wir die Kräfte und auch die entsprechenden Namen dazu, sie sind später im Haus Wahnfried gern gesehene und geschätzte Gäste gewesen wie Hitler, Goebbels, Göring, Heß usw. Immerhin gesteht Wagner in einer späteren Schrift über "Kunst und Religion" (1882) den Deutschen die Durchführung  "dieser großen Lösung" zu.

Wie gesagt, was später kam, konnte Wagner nicht wissen. Aber er war ein Weichensteller, und schon zu seinen Lebzeiten wurden Antisemiten aller Art von ihm und Bayreuth wie von einem Magneten angezogen. (7) Auch die weiteren Stufen über Personen wie Cosima Wagner, Houston Steward Chamberlain und Winifred Wagner liegen folgerichtig auf dem Weg. Bayreuth wurde damit eines der wichtigsten geistigen und ideologischen Zentren des Nationalsozialismus und Antisemitismus im 20.Jahrhundert.

Eine Tagebucheintragung von Cosima Wagner vom 11.Oktober 1879 zeigt, dass beiden - Richard und auch Cosima Wagner - die Bedeutung ihrer Judenhetze bewusst war. Im September 1879 hatte es von dem protestantischen Hofprediger Alfred Stoecker in Berlin eine Brandrede gegen Juden gegeben, durch die die neue Phase der antisemitischen Stimmung begann, und die in den 80iger und 90iger Jahren des 19.Jahrhunderts ihren vorläufigen Höhepunkt fand. In Cosimas Eintrag heißt es: "...eine sehr gute Rede des Pfarrers Stoecker über das Judentum (gelesen). R. ist für völlige Ausweisung. Wir lachen darüber, daß wirklich, wie es scheint, sein Aufsatz über die Juden den Anfang dieses Kampfes gemacht hat." (8) Die Einschätzung von Cosima Wagner scheint hier ganz richtig zu sein.

Während der Antisemitismus von Wagner sich in den Schriften von ihm ab 1850 entwickelt und auch in seinen Spätschriften zu finden ist, findet man in den Opern zunächst keinen direkten Ausdruck davon. Wagner war sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass sich das negativ auf die Wirkung der Opern und auf seinen Erfolg ausgewirkt und das Publikum begrenzt hätte - genau das wollte Wagner ja nicht. (9) Trotzdem fällt es schwer, die Musik von ihm ohne die antisemitischen Angriffe und deren Auswirkungen zu hören. Sie fallen wie ein Schatten auf die Musik - selbst bei hervorragenden Aufführungen und großen Dirigenten.

Es ist vielleicht noch ein anderer Punkt, der bei der Oper "Tristan und Isolde" zu denken geben könnte. Es ist die Handlung selbst, die große Liebe zwischen Tristan und Isolde. Wenn man diese Liebe mit der aus einem anderen großen Liebesdrama vergleicht, nämlich mit "Romeo und Julia", scheint es gravierende und folgenreiche Unterschiede zu geben. Die Liebe von Romeo und Julia beruht auf wirklicher persönlicher Zuneigung, es ist eine tiefe und durch die Umstände tragische Liebe. Die Liebe von Tristan und Isolde ist anders, sie hat etwas Zufälliges, nicht Gewachsenes - sie ist ja entstanden bei Wagner durch die Vertauschung des Zaubertranks. Eigentlich hasst  Isolde Tristan, weil er ihren Geliebten im Kampf erschlagen hat. Sie will ihm den Todestrank geben, aber ihre Zofe Brangäne bringt das nicht übers Herz und gibt beiden statt des Todstranks den Liebestrank. Dadurch entsteht eine Liebe, die im Grunde wenig Ich-Haftes hat. Es ist eine Liebe, entstanden wie durch eine Droge.
Das weist auf ein anderes Phänomen hin, das hier nur kurz erwähnt werden soll - auf das Problem der Ent-Ichung". Es scheint bei Wagner eine größere Rolle gespielt zu haben - auch in seiner konkreten Umgebung. Er selbst forderte Verehrung ein; wer ihn nicht schätzte, wurde verdammt. Er forderte völlige Selbstaufgabe und Unterwerfung, sicherlich keine große
Zumutung für Menschen, die ihn als "Meister" ansahen und entsprechend ansprachen. Dadurch war ein unseliger Personenkult entstanden, der nicht berücksichtigte, dass es auch viele andere "Meister", Musiker wie Komponisten, gegeben hat. Wagner ist schon ein bedeutender Musiker, aber eben nur einer unter vielen anderen. Das wurde (und wird  auch heute) in Bayreuth noch leicht vergessen.

Nichtsdestotrotz ist die Musik von "Tristan und Isolde" großartig. Und die Aufführung in Braunschweig war rundum gelungen. Wer die Möglichkeit hatte, sie zu sehen, wird es bestätigen.

U.D.

 

Anmerkungen:
1. Martin Geck: Richard Wagner. Reinbeck. 2011. S.7
2. Jens Malte Fischer: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Frankfurt. 2000
3. a.a.O. S. 145
4. a.a.O. S. 56
5. a.a.O  S. 83
6. a.a.O. S.196
7. siehe Jacob Katz: Richard Wagner. Vorbote des Antisemitismus. Königstein.1985
8. Fischer: a.a.O. S.14
9. a.a.O. S. 15

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