Fritz Bauer und Richard Wagner - ein Versuch
oder wie Hitler als "Onkel Wolfi" den Wagner-Enkeln abends Räubergeschichten erzählt

Auf den ersten Blick gibt es kaum direkte Bezüge zwischen diesen beiden Personen. Fritz Bauer liebte eher das Theater, weniger die Oper. In den bisher bekannten Texten und Büchern von ihm, die von ihm erschienen sind, gibt es keine weiteren Hinweise auf Richard Wagner,  dessen Opern oder auch zu dessen Bezügen zum Nationalsozialismus.

In indirekter Weise hatte Fritz Bauer allerdings viel mit Wagner zu tun. Dieser hatte in seiner Hetzschrift "Das Judentum in der Musik" von 1850 Kriterien entwickelt, die Juden aus dem deutschen Geistes- und Kulturleben ausschlossen. Damit begann eine neue Phase der antisemitischen Hetze - Wagner war damit einer der Wegbereiter und wichtigen Weichensteller für das, was später zum Holocaust führte. Insofern war Fritz Bauer eines seiner Opfer, er, der sich als Deutscher fühlte und in die Rolle des Juden gedrängt und später entsprechend ausgegrenzt wurde: Berufsverbot nach 1933, Emigration nach Dänemark und Schweden, Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft usw.

Man kann sich fragen, ob hier nicht etwas zu weit gegangen und eine eher ungerechtfertigte Behauptung aufgestellt wird. Man sehen, dass es nicht der Fall ist und es viele Gründe gibt, die dies belegen. Es soll nichts verharmlost oder beschönigt werden. Die Musik von Wagner ist sicherlich großartig und bedeutend - allerdings wird sie immer einen merkwürdigen und faden Beigeschmack haben, so ganz anders als die Musik von Mozart oder Beethoven. Warum das so ist, soll im weiteren ausgeführt werden.

Aber Fritz Bauer ist nicht nur durch die markanten und protorassistischen Ausdrücke und Bemerkungen in Wagners theoretischen Schriften, Tagebucheintragungen und mündlichen Äußerungen und deren späteren Auswirkungen betroffen. Als Generalstaatsanwalt hatte er es schließlich mit den Tätern und Opfern des Holocausts zu tun. Insofern hatte Bauer auch in dieser Hinsicht mit Wagner, Bayreuth und dessen Umfeld als eines der entscheidenden geistigen und ideologischen Zentren des Nationalsozialismus, des Rassismus und des Antisemitismus zu tun

Jakob Katz schreibt in seinem Buch "Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus" von 1985 sehr vornehm, dass Bayreuth zu Richard Wagners Zeiten wie ein Magnet auf alle Personen gewirkt habe, die irgendwie mit Antisemitismus zu tun hatten.(1) Man könnte es auch weniger vornehm ausdrücken und sagen, dass von Wagner und Bayreuth sich Personen angezogen fühlten, die in irgendeiner Weise geistige Brandstifter und in späteren Zeiten  auch aktive Täter waren. Das schier Unfassbare des Holocausts zu erklären, ist nicht einfach und sicher sehr vielschichtig. Eine ganz wichtige Spur aber führt nach Bayreuth. Auch dies ist wiederum vielschichtig und zum Teil sogar eigenartig, weil es bis in familiäre und persönliche Zusammenhänge hineinführt, die manchmal fast zufällig erscheinen, gemeint sind die familiären Verbindungen z.B. zu Cosima Wagner, Houston Steward Chamberlain und Winifred Wagner mit ihren sehr eigenen Biographien und ihren engen Bezügen zu Antisemitismus und Rassismus. Die Auswirkungen reichen noch weit bis in die Gegenwart hinein. Die Auseinandersetzungen von Gottfried Wagner, einem Urenkel von Richard Wagner, mit seinem Vater Wolfgang Wagner und dem Wagner-Clan sind sicherlich nur ein Ausdruck dafür. Ausführlich ist es beschrieben in dem Buch von Gottfried Wagner "Wer nicht mit dem Wolf heult" von 1997. (2)

Mit Wolf ist hier Hitler gemeint. Dieser wurde ja von den Wagner-Enkeln liebevoll "Onkel Wolfi" genannt, wie es Friedelind Wagner in ihrem Buch "Nacht über Bayreuth"(1945) beschreibt. Sie hatte sich als einziges der vier Kinder von Winifred Wagner von dem Wagner-Clan und dem Nationalsozialismus schließlich distanzieren können und war 1940 aus Bayreuth im Alter von 22 Jahren in die Schweiz geflüchtet und dann in die USA emigriert, wo sie als "schwarzes Schaf" der Familie im Jahr 1945 ihr Buch herausgab. (3) Hitler war in den 20iger Jahren gern gesehener Gast im Haus Wahnfried, eng mit Winifred Wagner befreundet (die nach dem Tod ihres Mannes Siegried Wagner im Jahr 1930 ernsthaft überlegte, ob sie Hitler heiraten könne). Oft kam Hitler abends auf dem Weg von München oder Berlin in Bayreuth vorbei, besuchte die Familie und erzählte den Kindern abends gern noch vor dem Einschlafen seine Räubergeschichten. Später lud er die Kinder (Wieland, Wolfgang, Friedelind und Verena) gern nach Berlin in seine Reichskanzlei ein. (4)

Richard Wagner, schließlich auch Bayreuth und den Wagner-Clan sowie sein Umfeld im Lichte bzw. im Spiegel Fritz Bauers zu sehen, bedeutet eine kritische Analyse und Beurteilung dessen, was sich dort vor Ort und bei den Menschen abgespielt hat. Wobei auch auf die einzelnen Abstufungen hinzuweisen ist, die es jeweils gegeben hat und in welcher direkten oder indirekten Beziehung sie zum Holocaust stehen.

Harald Welzer beschreibt in seinem Buch "Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden" (5) die verschiedenen Stufen des Prozesses der Vernichtung. Er weist darauf hin, dass in der Anfangsphase oft noch kein Empfinden oder eine Vorstellung von dem vorhanden ist, was dann in den späteren Stufen erfolgt. Es ist aber wichtig, alle einzelnen Stufen zu betrachten und die jeweilige Dynamik zu verfolgen.
 
Bei Richard Wagner kommt man hier zu den Anfängen. Sicherlich hat es den Antisemitismus schon vor Wagner gegeben und der Antijudaismus mit entsprechenden Folgeerscheinungen ist seit Beginn des Christentums eines seiner Kennzeichen. Aber mit Wagner beginnt etwas Neues...

Mit der Schrift "Das Judentum in der Musik" geht er über das hinaus, was man aus anderen antisemitischen Texten aus der 1.Hälfte des 19.Jahrhunderts kennt. Er verwendet rassistische Begriffsmuster, obwohl es den Begriff der Rasse in der später verwendeten Form noch nicht gibt. So schreibt er
-  von der "unbewussten Empfindung, die sich im Volk als eine innerliche Abneigung gegen jüdisches Wesen kundgibt"
- "das unwillkürlich Abstoßende, welches die Persönlichkeit und das Wesen des Juden für uns hat"
- vom "instinktiven Widerwillen gegen das jüdische Wesen"
- "die für uns widerliche Besonderheit  der jüdischen Natur" usw. (6)

Die Begrifflichkeiten zeigen, dass Wagner den Begriff der Rasse noch nicht kennt (er lernt ihn erst später durch Gobineau kennen, den er sehr schätzt und der einige Wochen zu Besuch im Haus Wahnfried ist), dass er aber Kriterien entwickelt, die später in der Rassentheorie eine Rolle spielen. Dazu gehört auch, dass das Jude-Sein nicht mehr durch die Taufe aufgehoben werden kann. Und Wagner verwendet zum ersten Mal "der Jude" im Singular, was später dann für den Rassenantisemitismus kennzeichnet ist.

In der Musik spricht Wagner "dem Juden" jegliche Fähigkeit und Produktivität ab. Er  sei unfähig, im Bereich der Musik schöpferisch zu werden, und Wagner wendet sich vor allem gegen Giacomo Meyerbeer, den er lange Zeit verehrt  hat. Dieser ist sehr erfolgreich und steht zu seiner jüdischen Herkunft. Neid und Missgunst spielen bei Wagner sicher eine große Rolle, da er, der sich selbst für den Größten der Komponisten hält, noch kaum anerkannt und nur wenig erfolgreich war. Er, der die Welt durch sein Musikdrama erlösen will...

Für Wagner war Beethoven das große Vorbild und der Maßstab für bedeutende Musik. Es ist dann schon fast eigenartig, dass Wagner ausgerechnet dessen "Neunte Sinfonie" anlässlich der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses aufführen wird (7) Wenn dort  im Schlusschor das Bekenntnis zur Idee der Menschheit erklingt "Alle Menschen werden Brüder..." , so liegt bei Wagner jetzt genau das Gegenteil vor: bei ihm geht es um Ausgrenzung und Abwertung von Menschen, sozusagen ein genaues Gegenbild zu Beethoven.

Die Schrift "Das Judentum in der Musik" war der erste Versuch von Wagner,  Menschen, die ihm nicht gefallen, auszugrenzen - zunächst noch vorsichtig, da er es unter dem Pseudonym K.Freigedank veröffentlichen ließ. Einige Jahre später gab er das Werk, mit einem  ausführlichen Nachwort versehen, jedoch erneut heraus - jetzt unter seinem richtigen Namen, und zwar im Jahre 1869. Es war ausgerechnet das Jahr, in dem die Emanzipation nun auch noch per Gesetz erfolgte.

In der Broschüre von 1850 hatte er noch am Schluss geschrieben: "...nehmt rückhaltlos an diesem selbstvernichtenden blutigen Kampfe teil, so sind wir einig und untrennbar. Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann, die Erlösung Ahasvers - der Untergang." (8)Manche Interpreten Wagners sahen hier schon in den Worten "Selbstvernichtung" und "Untergang" einen Hinweis auf die spätere Tötung von Juden im Holocaust. Das mag etwas weit gegriffen sein. Allerdings muss man berücksichtigen, wie weit Begriffe missverstanden werden können bzw. was sie auslösen können.

Bei der Neuveröffentlichung des Textes im Jahr 1869 erfolgt dann noch eine entscheidende Verschärfung. Dort heisst es bei Wagner: "Ob der Verfall unserer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist." (9) Heute weiß man, welche Kräfte es waren: es waren u.a. die Personen, die in Bayreuth und im Haus Wahnfried später gern gesehen waren wie Hitler, Himmler, Goebbels, Göring, Heß und viele andere. Und nach 1945 waren einige der überlebenden Angehörigen wie Emmy Göring und Frau Hess wieder gern gesehene Besucher von Winifred Wagner, die auch später noch von ihrem "Wolfi" schwärmte, nicht zuletzt in dem suspekten Film von Syberberg "Winifred Wagner".

Bei Richard Wagner sind die Vorstufen erkennbar. Hier entwickeln sich die ersten Formen des neuen Antisemitismus, des späteren rassischen Antisemitismus. In seiner Stellung zu Juden konnte so Wagner später für die Nationalsozialisten leicht als Vorbild dienen. Zwei Stränge der Entwicklung führen dann letztlich dort hin: zum einen über die Fortsetzung der Bayreuther Festspiele unter der Leitung von seiner Frau Cosima Wagner und dem "Bayreuther Kreis" und andererseits über Houston Stewart Chamberlain (dem Schwiegersohn von Richard Wagner) und dessen Schrift "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (1897), in der die Rassentheorie entscheidend entwickelt wurde und die sehr einflussreich war.

Es wäre interessant zu sehen, wie Fritz Bauer dies eingeschätzt hätte. Die Bayreuther Festspiele haben das 3.Reich überlebt. Die Musik von Wagner bringt aber immer wieder eine Auseinandersetzung mit dieser dunklen Zeit. Sie gipfelt schließlich in dem Schlusssatz des "Parsifals", der lautet "Erlösung dem Erlöser" Was mag Wagner damit gemeint haben? Soll es die Reinigung der Jesus-Gestalt von jedem jüdischen Bezug deuten, wie manche Forscher es sehen (10) oder gibt es noch andere Deutungen? Greift hier der Antisemitismus von Wagner bis in sein Musikwerk hinein? Es bleiben viele Fragen.

Es hat NS-Prozesse gegen Juristen, Ärzte und andere Gruppen gegeben. Wie ist es mit den Musikern, Dirigenten, Komponisten der NS-Zeit? Auch hier könnte noch manches aufgearbeitet werden.

U. D.

Anmerkungen:
1. Jakob Katz: Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus. Königstein/Ts. 1985.
2. Gottfried Wagner: Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels (1997). Köln. 2010.
3. Friedelind Wagner: Nacht über Bayreuth. Die Geschichte der Enkelin von Richard Wagners (1945). München. 2002.
4. Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München. 2003.
5. Harald Welzer: Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt. 2011.
6. Richard Wagner in: Jens Malte Fischer: Richard Wagners "Das Judentum in der Musik". Frankfurt .2000. In diesem Buch ist auch der Text von Wagner in der Fassung von 1850 (und in der veränderten Fassung von 1869) vollständig abgedruckt.
7. Martin Geck: Richard Wagner. Hamburg. 2011. S. 108
8. Richard Wagner: Das Judentum in der Musik (1850), in: Jens Malte Fischer: a.a.O. S.173
9. Richard Wagner: Das Judentum in der Musik (1869), in: Jens Malte Fischer: a.a.O. S.196
10. siehe: Jakob Katz: Richard Wagner - Vorbote des Antisemitismus. Königstein/Ts. 1985, S.198, sowie Hartmut Zielinsky: Richard Wagner. Ein deutsches Thema. Eine Dokumentation zur Wirkungsgeschichte Richard Wagners 1876-1976. Berlin. 1983.

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