Ein Prozess als Widerstandshandlung
Der Remer-Prozess von Fritz Bauer (1952)

Zur Eröffnung der Ausstellung "Der Prozess um den 20.Juli" im Landgericht Braunschweig am 16.07.2012

Das Besondere am Remer-Prozess mit Fritz Bauer war, dass es in dem Prozess nicht nur um die Frage des Widerstands ging, sondern dass der Prozess als solcher im Grunde eine Widerstandshandlung war, die ganz wesentlich mit zu einer Demokratisierung der jungen Bundesrepublik beigetragen hat.

Als der Prozess im März 1952 in Braunschweig begann, war die Restauration in der neuen Republik gerade im vollen Gang. Die meisten Prozesse wegen NS-Verbrechen hatte es in den Jahren 1945-49 gegeben (in Braunschweig waren es etwa 4000). Einen besonderen Anteil daran hatte hierbei auch der erste Generalstaatsanwalt nach dem Krieg, Curt Staff (der bis 1948 tätig war), der im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen auch aktiv auf der Suche nach Kriegsverbrechern war und nicht nur wartete, bis eine Anzeige vorlag.

Mit Gründung der Bundesrepublik ließ das Interesse an der Strafverfolgung von NS-Tätern deutlich nach. Das Kontrollratsgesetz Nr.10, das von den Alliierten eingerichtet war, um „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ahnden zu können, verlor seine Gültigkeit; viele der ehemaligen NS-Beamten (Juristen u.a.) wurden wieder eingestellt (allein durch das 131er Gesetz von 1951 wurden ca. 150 000 ehemalige NS-Beamte wieder eingestellt) und mit Beginn des Korea-Krieges verschärfte sich der Kalte Krieg, so dass auch die Alliierten weniger Interesse an der Strafverfolgung von NS-Tätern zeigten.

Adenauer hatte inzwischen Hans Globke zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt gemacht. Globke war der Kommentator der Reichsrassengesetze von 1935 gewesen und hatte für die Umsetzung dieser Gesetze in eine praktikable Form gesorgt. Einer der Leitsätze seines Kommentars war: „Das rassische Denken des Nationalsozialismus bedeutet (...) eine Abkehr von dem liberalistischen Grundsatz, von der Gleichheit aller Menschen.“ Dieser Mann wurde nun hinter Adenauer der 2.Mann im Staat, die „Graue Eminenz“ im Hintergrund, die alle wesentlichen Fäden zog.

In diese Zeit der Restauration fiel der Remer-Prozess mit Fritz Bauer. Dieser kämpfte nun gegen diesen Geist des Verdrängens an – die meisten Menschen aber waren mit Wiederaufbau und Vergessen beschäftigt. Der Remer-Prozess war insofern der Auftakt, Prozesse gegen das Vergessen zu führen, gegen den Zeitgeist, der NS-Täter (ohne Verfahren) wieder in die westdeutsche Gesellschaft integrieren wollte.

Damals erregte der Remer-Prozess, der heute fast vergessen ist, jedoch bundesweite und inter-nationale Aufmerksamkeit. Und er war der Beginn für zahlreiche andere Prozesse und Ermittlungen, mit denen Fritz Bauer Zeichen setzte, insbesondere indem er den NS-Staat als Unrechtsstaat bezeichnete. Auch diese Prozesse und Ermittlungen waren eine Art „Widerstandshandlung“, da er sie oft nur  gegen große Widerstände – auch in den eigenen Reihen – durchsetzen konnte. Der Fritz-Bauer-Film von Ilona Ziok listet viele dieser „Widerstandshandlungen“ auf, sei es sein Vorgehen im Falle Eichmanns (indem er die Hinweise zur Ergreifung direkt an den israelischen Geheimdienst gab und nicht an die deutsche Justiz, der er damals misstraute), sei es im Auschwitz-Prozess oder bei den Ermittlungen zur NS-Euthanasie (gegen Ärzte und Pfleger) und gegen hochrangige Juristen, die den Krankenmord juristisch abgesichert haben.

Ähnlich folgenreich wie der Remer-Prozess war vielleicht nur der UImer Einsatzgruppen-Prozess von 1958, der dann zur Einrichtung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg führte. Im Remer-Prozess kam es Bauer nun sicherlich gelegen, dass es auch inhaltlich um die Frage des Widerstands ging. Hier konnte er seine Ideen entwickeln und in ausführlicher Weise begründen.

Die Ausstellung
Die Ausstellung selber ist hervorragend und modern konzipiert. Die Leitidee ist der „Splitter“, so die Kuratorin der Ausstellung Frau Dr.Claudia Fröhlich. Der Prozess war damals wie ein Splitter in der damaligen Gesellschaft des Vergessens und Verdrängens. So ist die Ausstellung auch nicht an Stellwänden angebracht, sondern in Stelen ausgeführt, die wie Splitter aussehen – und dabei kurze und prägnante Informationen bieten. Auch der Flyer zur Ausstellung ist gut gemacht, übersichtlich, mit kurzen wichtigen Informationen und einigen Bildern, ohne textlastig zu sein, was bei einer solchen Ausstellung leicht möglich gewesen wäre.

Manko der Ausstellungseröffnung
Die Ausstellung war gut besucht, viel mehr Gäste als erwartet waren gekommen – der Saal mit weit über 250 Gästen war überfüllt. Welch ein Interesse an der Ausstellung, an Fritz Bauer in dieser Stadt inzwischen besteht, war daran zu erkennen.

Das war nicht immer so. Noch vor drei Jahren, als ich den ersten Aufsatz über Fritz Bauer für die Webzeitung www.braunschweig-spiegel.de (die damals unser-braunschweig.de hieß) kannte ihn kaum jemand in dieser Stadt – außer einigen Insidern. Dass Fritz Bauer noch bis vor kurzem auch in Braunschweig zu den Vergessenen zählte, daran erinnerte jetzt niemand. Vor drei Jahren hatte ich die Idee einer Straßenbenennung nach Fritz Bauer gehabt und ein Jahr später wurde von Henning Noske von der Braunschweiger Zeitung auf diese Idee in seinem Blog hingewiesen. Dadurch entstand die Idee eines Fritz-Bauer-Freundeskreises, der inzwischen bundesweit bekannt ist und die Erinnerung an Fritz Bauer fördert. Dieser Kreis  wurde nur kurz erwähnt.

Und auch die Initiatorin der Ausstellung, die Filmemacherin des Fritz Bauer Filmes „Tod auf Raten“, wurde nur am Rande erwähnt Sie hatte auch etwa vor drei Jahren im Gespräch mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Dr.Kintzi die Idee einer Ausstellung entwickelt und alles weitere dann in die Wege geleitet, u.a. auch Claudia Fröhlich als Kuratorin für die Ausstellung gewonnen. Das Verdienst von Ilona Ziok und ihr Film, in dem der Remer-Prozess beschrieben wird, wurde  kaum gewürdigt.

Denn eigentlich geht es ja nicht nur um den Remer-Prozess, sondern insbesondere auch um Fritz Bauer, und  dass er – wie auch der Prozess – allgemein in Vergessenheit geraten ist und nun wieder entdeckt wird. Und dabei spielt der Film – wie auch die Biographie von Irmtrud Wojak über Bauer – eine große Rolle. So hätte in der Ausstellung auf die Biographie wie auf den Film hingewiesen werden können. Leider war Irmtrud Wojak bei der Veranstaltung nicht anwesend – gerade ihr Verdienst war es, durch die Biographie Bauer wieder bekannter zu machen.

Auch gab es außer dem Flyer zur Ausstellung keine Plakate, Flyer oder Infos zur Biographie, zum Film oder zum Freundeskreis. So wird die Ausstellung, die ja als Wanderausstellung konzipiert ist, sicher in ihrer Wirkung begrenzt bleiben. – Schade ist auch, dass die Hausarbeit der Schülerin Pia Kulhawy nicht im Vorfeld der Ausstellung in der Braunschweiger Zeitung publiziert wurde, so hätte man sicherlich viele Schüler und auch Lehrer erreicht. Immerhin war aber eine Schulklasse der Otto-Bennemann-Schule anwesend.

Gäste  
Ansonsten war die Veranstaltung selber ein großer Erfolg. Zahlreiche Gäste aus der Justiz und von der Stadt waren anwesend, selbst der niedersächsische Justizminister Bernd Busemann war gekommen und hatte eine nachdenkliche Rede gehalten, auch mit Gegenwartsbezügen, insbesondere zu den Konflikten innerhalb der Burschenschaften, als ein Mitglied auch heute noch Bonhoeffer als Landesverräter bezeichnete. Busemann hatte die Schirmherrschaft für die Ausstellung übernommen.

Unter den vielen Gästen waren zahlreiche Zeitzeugen, die Fritz Bauer noch kannten und die z.T. auch mit ihm befreundet waren, wie Rosemarie Ausmeier und ihre Familie. Gekommen war auch Frau Deichmann, eine jetzt 96jährige alte Dame, die während der gesamten Zeit von Bauer in Braunschweig seine Vorzimmerdame war und ihn häufig auch zu den Prozessen begleitete. Oder Ernst August Roloff, ein Historiker, der damals nach dem Remer-Prozess mit Fritz Bauer in der Raabe-Schule war, wo gemeinsam mit den Schülern über den 20.Juli diskutiert wurde. Das Vorgespräch dazu hatte Roloff noch in der Wohnung von Fritz Bauer in der Jasperallee gehabt.

Unter den Gästen war auch Dmitrij Belkin vom Fritz Bauer Institut in Frankfurt, der dort die neue Ausstellung über „Fritz Bauer und den Auschwitz-Prozess“ vorbereitet, Prof.Dr.Joachim Perels, der zahlreiche Werke über Fritz Bauer herausgebracht hat, Helmut Kramer, der Fritz Bauer Preisträger von 2010 und Werner Koep-Kerstin, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union.
       
Fazit
In der Ausstellung ging es zwar primär um den Remer-Prozess. Aber schon im Prozess selber war der ehemalige Major Remer nur eine Randfigur gewesen, Fritz Bauer ging es um das Widerstandsrecht und wie es begründet werden konnte. Und so war es ein Verdienst der Ausstellung, insbesondere Fritz Bauer und sein Wirken zu würdigen.

Dies geschah in der Eröffnung nun durch einen besonderen Kunstgriff, denn am Ende der Laudatio – noch vor der eigentlichen Ausstellungseröffnung – wurde von Gerd Zietlow, einem Schauspieler aus Hannover, die Szene mit dem bekannten Plädoyer aus dem Remer-Prozess im Schwurgerichtssaal des Landgerichts nachgespielt. Die Zuhörer wurden in das Jahr 1952 zurück versetzt und lauschten den eindrücklichen Worten, die damals Fritz Bauer an diesem historischen Ort sprach, die in dem Zitat aus Schillers „Wilhelm Tell“ gipfelten:
   „Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
     Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
     Wenn unerträglich wird die Last, greift er
     Hinauf getrosten Mutes in den Himmel
     und holt herunter seine ew’gen Rechte,
     die droben hangen unveräußerlich
     und unzerbrechlich wie die Sterne selbst...“
     Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr
     verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben.
     Der Güter höchstes dürfen wir verteid’gen
     gegen Gewalt.“

Dann wurde die Ausstellung eröffnet und zum Buffet in der alten Bibliothek des Landgerichts eingeladen.

Was den Veranstaltern wirklich gelungen war, einerseits ein breites Publikum zu erreichen und zum andern die Ideen von Fritz Bauer auch wieder in die Justiz hineinzutragen – die Justiz, die es sich so schwer im Umgang mit ihm und seinen Handeln gemacht hat. Noch vor kurzem kannte selbst kaum ein Jurist den Namen Fritz Bauer, wie es Matthias Meusch in seinen wichtigen Beiträgen über Bauer 2005 feststellte.

Leider war der NDR nicht da. Auch große deutsche Tageszeitungen waren nicht zugegen. Dafür gab es aber pünktlich zur Ausstellungseröffnung am 16.Juli in der größten russischen Tageszeitung einen ausführlichen Bericht über Fritz Bauer, die Ausstellung und den Film „Tod auf Raten“ http://www.novayagazeta.ru/columns/53551.html. Und inzwischen kam auch aus Kairo eine Anfrage, Schriften von Bauer und die Biographie ins Arabische zu übersetzen. Mal sehen, wie die Verlage darauf reagieren. Jedenfalls ist man auch im Ausland wieder auf Bauer aufmerksam geworden.

Schön ist, dass inzwischen auch das Institut für braunschweigische Regionalgeschichte die Ideen wieder aufgegriffen hat, Bauer in Braunschweig bekannter zu machen, nach mehreren vergeblichen Versuchen. Da war die Zeit wohl noch nicht reif dafür. So wird Fritz Bauer auch als großer Braunschweiger gewürdigt. Vielleicht gibt es außer der Platzbenennung dann noch weitere Ehrungen für ihn – als Zeichen dafür, welcher starke Impuls für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte  durch Bauer von Braunschweig ausging.

Schön war auch, dass die Ausstellung „Der Prozess um den 20.Juli“ schon am 16.Juli eröffnet
wurde, ist doch dieser Tag sein Geburtstag, der sich nun zum 109.ten Male jährte. So wurde Fritz Bauer auch in dieser Weise gewürdigt.

Udo Dittmann, Braunschweig (Juli 2012)

Weitere Infos zu Fritz Bauer unter www.braunschweig-spiegel.de , www.fritz-bauer-film.de oder www.forum-bioethik.de (Menschenrechte)

Parallel zur Ausstellung wird der Film „Fritz Bauer –Tod auf Raten“ von Do-So (19.-22.Juli)
jeweils um 19 Uhr im Kino c1 cinema (www.c1-cinema.de) gezeigt.

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