Über Landesverrat und Pressefreiheit

Fritz Bauer im Zeitalter von WikiLeaks
Die Entstehung von amnesty und die Spiegel-Affäre in Deutschland von 1962

 

Vorbemerkung
Eine kleine Vorbemerkung zum folgenden Text scheint nötig zu sein. Es geht in dem Text um die zentrale Frage  von "Landesverrat und Pressefreiheit". Mit diesem Titel fand 1962 ein Symposium von amnesty international in Köln statt. Fritz Bauer war dazu eingeladen, konnte aber nicht kommen und hatte jedoch eine schriftliche Stellungnahme zu dem Thema geschickt. Im Jahr 1963 sind die Beiträge des Symposiums von Gerd Ruge herausgegeben worden, in dem diese Stellungnahme abgedruckt ist.

Mit diesem Thema werden zahlreiche Aspekte berührt. Zum einen handelt es sich um eine Fragestellung, mit der sich Fritz Bauer immer wieder auseinandergesetzt hat, so z.B. auch in seinem Plädoyer zum Remer-Prozess. Oder in seinen Ausführungen über General Oster, der die deutschen Angriffspläne an die Niederlande, Dänemark und Norwegen weitergegeben hatte.

Mit dieser Frage sind aber auch Themen verbunden, die etwas Hintergrundwissen erfordern, die manchem Leser nicht unbedingt bekannt sind, z.B.: Was war die Spiegel-Affäre, was die Ossietzky-Affäre usw. Dies wird im folgenden auch jeweils kurz erläutert.

Da die Stellungnahme von Fritz Bauer genau in die Zeit des Entstehungsprozesses von amnesty international fällt, wird auch dieser Bezug näher behandelt. Fritz Bauer kannte amnesty, wie er gleich auch zu Beginn der Stellungnahme erwähnt. Im weiteren wird geschildert, wie amnesty sich entwickelt hat - ganz im Gegensatz zu Fritz Bauers Impuls, der immer wieder gegen Widerstände kämpfen musste. Interessant sind dabei vielleicht auch einige Informationen zum Gründer von amnesty, Peter Benenson, der ebenfalls wie Bauer Jurist war, dessen Mutter aus einer russisch -jüdischen Familie kam und der in den späten dreißiger Jahren an der Rettung jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland beteiligt war. Dies ist auch in amnesty-Kreisen nicht so bekannt.

Wegen der zahlreichen Fakten wird der Text etwas ausführlicher sein. Es erschien aber notwendig, um manche Sachverhalte besser verstehen zu können. Darüberhinaus wird noch ein weiterer Bezug hergestellt, der auf den ersten Blick nicht naheliegend zu sein scheint: Fritz Bauer im Verhältnis zu WikiLeaks zu  sehen. Beschäftigt man sich aber mit dem Kern der Frage, wird auch das verständlich. Auch bei WikiLeaks ging es um die Frage des Landesverrats - nun aber nicht mehr in Bezug auf die Presse, sondern in Hinblick auf das neue Medium  des Internets. Die Fragestellung ist dabei aber die gleiche wie schon beim General Oster, der Spiegel-Affäre oder dem Weltbühne-Prozess. Die Stellungnahme von Fritz Bauer kann so auch auf WikiLeaks bezogen werden. Es zeigt sich damit wieder, wie modern und aktuell Fritz Bauer letztlich ist. Der folgende Text möchte dies anschaulich schildern.

Ich möchte an dieser Stelle noch Volkmar Deile, dem ehemaligen Generalsekretär von amnesty international in Deutschland, danken, der mich auf die Stellungnahme von Fritz Bauer und das Buch von Gerd Ruge hingewiesen hat.

 

Fritz Bauer im Zeitalter von WikLeaks
und die Frage: Was ist Landesverrat?

WikiLeaks ist eine Enthüllungsplattform, auf der Dokumente anonym veröffentlicht werden, die durch Geheimhaltung als Verschlusssache, Vertraulichkeit, Zensur oder auf sonstige Weise in ihrer Zugänglichkeit beschränkt sind (1). Der Kerngedanke von Wikileaks ist die Idee des freien Zugangs zu Informationen, die öffentliche Angelegenheiten betreffen. Der englische Begriff 'leaks' steht für Lecks, Löcher oder 'undichte Stellen' und verweist auf die nicht für die Veröffentlichung bestimmter Dokumente, welche WikiLeaks von teilweise anonymen Whistleblower enthält. (2)

Gegründet wurde WikLeaks im Jahre 2006, die treibend Kraft in einer Gruppe von fünf Leuten war dabei Julian Assange, der wohl insgesamt der bekannteste Vertreter der Internet Plattform ist. Seit Mitte 2007 gab es verschiedene Enthüllungen, zunächst über Korruption in Milliardenhöhe in der Familie des ehemaligen kenianischen Präsidenten Daniel arap Moi. Bekannt geworden sind sie u.a. durch die Veröffentlichung von Videos zu den Luftangriffen in Bagdad vom 12.Juli 2007. Außerdem wurde mit der Publikation des Afghan War Diarys und der Iraq War Logs mit verschiedenen Medienunternehmern zusammengearbeitet. Beide Publikationen waren jeweils die größte Veröffentlichung von militärischen Dokumenten weltweit (3) Weiterhin gab es die Veröffentlichung von rund einer Viertelmillion diplomatischer US-Berichte über zahlreiche Regierungen und deren Mitglieder sowie die Veröffentlichung von 765 Dateien aus dem Gefangenenlager Guantanamo. Es waren Berichte, die als "geheim" eingestuft worden waren; die US-Regierung bestätigte die Echtheit der Dokumente und bedauerte deren Offenlegung. (4)

Zwischen der US-Regierung und WikiLeaks gab es heftige Auseinandersetzungen. Man versuchte, WikiLeaks auszuschalten, personenbezogene Daten zu erhalten, die Spenden über VISA, Mastercard, die Bank of America usw. zu blockieren usw. sowie die Seite zu sperren. Andererseits wurde im Internet mit sogenannten "Mirrorseiten" reagiert, so dass die Informationen weltweit auf vielen Internetseiten gespiegelt wurden.

Schließlich warf die US-Regierung WikiLeaks vor, dass durch die Veröffentlichung von Militärdokumenten die Sicherheit der Soldaten gefährdet sei. Personen, die WikiLeaks geheime militärische Dokumente zugänglich machen, würden sich u.a. in den USA  ggf. des Hochverrats und weiterer Anklagepunkte schuldig machen. Andererseits ist ein direkter Eingriff seitens der Regierung in den USA auf Grund des hohen Stellenwerts der freien Meinungsäußerung (Free Speech) und der verfassungsmäßigen Hürden des First Amendment rechtlich und politisch problematisch. Im Urteil zu den sogenannten Pentagon Papers wurde zur Zeit des Vietnamkrieges festgestellt, dass auch streng geheime (top secret) Unterlagen von investigativen Journalisten veröffentlicht werden dürfen.

Fritz Bauer und die Frage des Landes- und Hochverrates
Diese Fragen haben in anderer Weise auch Fritz Bauer intensiv beschäftigt. In zahlreichen Aufsätzen nahm er zum Widerstandsrecht Stellung, insbesondere beim Remer-Prozess von 1952. Eng verbunden sind damit auch die Fragen des Landesverrats und des Hochverrats. Besonders am Beispiel des General Oster setzte Fritz Bauer sich damit auseinander. Oster hatte die Regierung in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen jeweils vor den deutschen Angriffen gewarnt. "Die beabsichtigte Verletzung der Neutralität Dänemarks, Norwegens, Luxemburg, Belgiens und der Niederlande durch die Nazi-Regierung wiederholte das völkerrechtswidrige Vorgehen gegen Belgien 1914, das damals die Welt aufgebracht und durch die Schmiedung einer zumal auch amerikanischen Front gegen Deutschland zu der Niederlage von 1918 und dem Versailler Friedensvertrag wesentlich beigetragen hatte." (5)

Im Plädoyer zum Remer-Prozess ging Fritz Bauer in Hinblick auf den 20.Juli ausführlich auf die Fragen des Landes- und Hochverrats ein. Er drückte aus, dass  "nach Auffassung der Staatsanwaltschaft... diese Verhandlung den klaren Beweis erbracht (hat), daß die Behauptung, die Widerstandskämpfer, seien Hoch- und Landesverräter gewesen, unwahr ist." (6) Auch nach den Gutachten sei "den Männern des 20.Juli kein Vorwurf des Landesverrats zu machen, da sie den Willen gehabt haben, ihr Land nicht zu verraten, sondern zu retten." (7)

Und zum Hochverrat führte Bauer aus: "Jeder Jurist weiß, Hochverrat ist nur dann strafbar, wenn der Hochverrat keinen Erfolg hat... Der Hochverrat setzt weiter eine legale Verfassung voraus. Ich behaupte, daß das 'Dritte Reich'  seiner Form nach usurpierte, nie legalisierte Macht war; dem Inhalt nach war es das Reich der Bestie, von dem unsere Sachverständigen gesprochen haben, ein Unrechtsstaat und deswegen sittenwidrig und nichtig." (8)

Das war 1952. Hier ging es darum, rückwirkend die Frage des Landes- und Hochverrats zu klären. Remer hatte bekanntlich die Männer des 20.Juli als Hoch- und Landesverräter beschimpft. Die große Leistung von Fritz Bauer war, dass er die Männer des 20.Juli von dem Vorwurf des Landes- und Hochverrates befreite, indem er den NS-Staat als Unrechtsstaat bezeichnete. Mit dem Remer-Prozess hatte Fritz Bauer Zeichen gesetzt.

Die Spiegel-Affäre von 1962
Die Frage des Landesverrates wurde 1962 plötzlich in der jungen Bundesrepublik ein Thema - und zwar durch die Spiegel-Affäre. Und hier äußerte sich Fritz Bauer in markanter Weise.

Aber zunächst zu der Sachlage. "Die Spiegel-Affäre 1962 war eine politische Affäre in der Bundesrepublik Deutschland, bei der sich Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel' auf Grund eines kritischen Artikels der Strafverfolgung wegen angeblichen Landesverrats ausgesetzt sahen. Es war das erste Ereignis in der Nachkriegsgeschichte, zu dem die westdeutsche Öffentlichkeit spontan und engagiert politisch Stellung nahm, weil sie darin einen Versuch sahen, ein missliebiges Magazin zum Schweigen zu bringen. Der Ausgang der Affäre, in deren Verlauf die Bundesregierung umgebildet werden musste, wird aus heutiger Sicht als Stärkung der Pressefreiheit in Deutschland angesehen." (9)

In der Spiegel-Ausgabe 41/1962 vom 10.Okt war unter den Titel "Bedingt abwehrbereit" ein Artikel von Conrad Ahlers erschienen, der unter anderem gestützt auf Resultate des Nato-Manövers Fallex 62 - das Verteidigungskonzept der Bundeswehr unter Bundesverteidigungsminister Franz Joseph Strauß in Frage stellte: Die Bundeswehr sei aufgrund ihrer Ausstattung zu einer konventionellen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland gegen einen potentiellen Angriff des Warschauer Pakts nicht fähig: ein Angriff ließe sich nur mithilfe des Einsetzens westlicher Atomraketen abwehren. (10)

Daraufhin erstattete der Würzburger Staatsrechtler und damalige Oberst der Reserve Friedrich August Freiherr von der Heydte am 11.Oktober gegen die Redaktion des "Spiegel" Anzeige wegen des Landesverrats. Nach Einholen eines Gutachtens beim Bundesverteidigungsministerium durch die Bundesanwaltschaft - die Ermittlungen leitete Siegfried Buback - erließ der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof am 23.Oktober die gewünschten Haftbefehle und Durchsuchungsanordnungen. Die Haftbefehle betrafen mehrere Spiegel-Redakteure, darunter Conrad Ahlers sowie den Herausgeber und Chefredakteur Rudolf Augstein. Am Abend des 26. Oktober begann die Besetzung und Durchsuchung der Spiegel-Räume im Hamburger Pressehaus, später auch des Bonner Redaktionsbüros, durch die Polizei, die wochenlang anhielt. Andere Zeitschriften, die ebenfalls im Pressehaus untergebracht waren wie die ZEIT, der Stern und die Morgenpost (von der Springer-Presse) boten den Spiegel-Redakteuren die Nutzung ihrer Räume an, so dass der "Spiegel" weiter erscheinen konnte. (11) Besondere Empörung hatte noch die Verhaftung von Conrad Ahlers und seiner Frau in Spanien hervorgerufen, was Franz Josef Strauss über den Madrider Militärattaché Achim Oster im von Franco regierten Spanien veranlasst hatte.

Die Öffentlichkeit sah in der Aktion einen Anschlag auf die Pressefreiheit und reagierte mit einer Vielzahl von Resolutionen, Eingaben, Demonstrationen und Leitartikeln. Im Bundestag verteidigte Bundeskanzler Adenauer am 7. November 1962 die Maßnahmen noch mit den Worten: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande" (Zwischenruf: "Wer sagt das?") "Ich sage das!".

 

Das Symposium des "Amnestie Appell e.V." am 30.November 1962 zur Spiegel-Affäre und der Kommentar von Fritz Bauer

Am 30.November führten die Gründer des deutschen Appeal von amnesty  ein Symposium in Köln durch, das sich mit der "Spiegel-Affäre" beschäftigte. Bekannte Staatsrechtler, politische Wissenschaftler, Publizisten und Militärexperten aus den USA, England, Frankreich, der Schweiz und Deutschland trafen sich zu einem Gespräch über das Thema "Landesverrat, Pressefreiheit und die Meinungsbildung in einer Demokratie". Auch Fritz Bauer war eingeladen. Er konnte aber nicht teilnehmen. (Man weiß den Grund nicht, vielleicht war es Arbeitsüberlastung wegen des anstehenden Auschwitz-Prozesses im darauffolgenden Jahr). Bauer schickte aber eine Stellungnahme, in der er sich zu dem Fragenkomplex äußerte. In dem ein Jahr später erscheinenden Buch über das Symposium ist sie abgedruckt als "Schriftliche Stellungnahme von Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer." (12)

Zu dem Symposium hatte Gerd Ruge eingeladen. Dieser hatte auch die Gesprächsleitung während des Symposiums. Durch die Absage von Fritz Bauer konnte es leider nicht mehr zu einer Begegnung dieser beiden Personen kommen, die sich so um Fragen der Menschenrechte und Menschenwürde in Deutschland bemüht haben. Gerd Ruge war einer der Mitbegründer der deutschen Sektion von amnesty international und von 1961- 64  ihr 1.Vorsitzender.

Das Jahr 1961: Die Entstehung von amnesty international
Beginn des Eichmann-Prozesses (11.4.) und der Bau der Berliner Mauer (13.8.)

Das Jahr 1961 war ein Jahr mit einigen einschneidenden Ereignissen. Im April begann in Jerusalem der Eichmann-Prozess - einige Wochen später erfolgte die Gründung von amnesty international in London. Es entstand ein weltweites Netzwerk einer Menschenrechtsorganisation, und nach England war Deutschland das zweite Land, in dem eine Gruppe von amnesty entstand

An dieser Stelle soll  ausführlicher über die Entstehung dieser Menschenrechtsorganisation berichtet werden, auch mit einigen Bezügen zu Fritz Bauer, der durch die Anfrage zum Symposium  "Landesverrates und Pressefreiheit" von amnesty eingeladen war und amnesty schon in dieser frühen Zeit durchaus kannte. (13)

Die Entstehung von amnesty: Am 28.Mai 1961 erschien in der britischen Wochenzeitung "The Observer" der von Peter Benenson verantwortete Artikel "Die vergessenen Gefangenen". Beides - Datum und Artikel - gelten inhaltlich als die Gründung von amnesty international. Das Datum war bewusst gewählt. Am 28.Mai 1961 ist in Großbritannien "Trinity Sunday" (Dreieinigkeitssonntag), eine Analogie auf die Arbeitsweise der "Threes" bzw. der Einheit der weltpolitischen Blöcke, d.h. es wird sich bei ai jeweils für politische Gefangene aus diesen Blöcken (Ost, West und Süd) eingesetzt. Im weiteren  findet sich auch der Hinweis, dass das Jahr 1961 das 100.Jahr der Sklavenbefreiung in den USA und das 100.Jahr der Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland ist.

In dem Artikel vom 28.Mai beschrieb Benenson, was er und andere vorhatten:
Sie können Ihre Zeitung an jedem x-beliebigen Tag der Woche aufschlagen, und Sie werden in ihr einen Bericht über jemanden finden, der irgendwo in der Welt gefangengenommen, gefoltert oder hingerichtet wird, weil seine Ansichten oder Religion seiner Regierung nicht gefallen. Es gibt einige Millionen solcher Gefangenen und keinesfalls nur hinter dem 'Eisernen' oder dem 'Bambus-Vorhang'. Und ihre Zahl wächst. Der Zeitungsleser empfindet eine ekelerregende Hilflosigkeit. Wenn jedoch diese Gefühle des Abscheus in der ganzen Welt in einer gemeinsamen Aktion vereint werden könnten, wäre es möglich, etwas Wirkungsvolles zu tun (...) Dieser Feldzug, der heute gestartet wird, geht auf die Initiative einer Gruppe Londoner Rechtsanwälte, Schriftsteller und Verleger zurück, die die Überzeugung Voltaires teilen: "Ihre Ansichten sind mir zuwider, aber ich bin bereit, mein Leben dafür zu geben, damit Sie sie uneingeschränkt äußern dürfen." Wir haben eine Geschäftsstelle in London eingerichtet, die Unterlagen sammeln soll über Namen, Anzahl und Zustand der "Gewissensgefangenen" ("prisoner of conscience"), wie wir sie nennen wollen...
Der Erfolg von Appeal for Amnesty 1961 wird davon abhängen, mit welchem Nachdruck die öffentliche Meinung mobilisiert wird. Er hängt auch davon ab, ob der Feldzug umfassend in seiner Zusammensetzung, international in seinem Charakter und unparteilich in seiner politischen Richtung ist... Jetzt ist für die Menschen der Zeitpunkt gekommen, darauf zu bestehen, dass die Freiheit des Geistes, der Meinung und der Rede durchgesetzt wird, so wie einst die Fesseln von den Körpern abgestreift wurden... Die Ziele: 1. Unparteiisch für die Haftentlassung jener zu arbeiten, die wegen ihrer Meinung eingesperrt sind. 2. Für sie einen fairen und öffentlichen Prozess zu erwirken. 3. Das Asylrecht zu erweitern und politischen Flüchtlingen bei der Arbeitsbeschaffung zu helfen. 4. Eine wirksame internationale Maschinerie zu veranlassen, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. (14)

Der Artikel wurde am 28.Mai außer im "Observer" auch in Le Monde (Frankreich) abgedruckt. Einen Tag später erschien er in der New York Harald Tribune (USA), DIE WELT (BRD), Journal de Genève (Schweiz), Politiken (Dänemark) und Dagbladet (Schweden) Weitere Zeitungen in den Niederanden, in Italien, Südafrika, Belgien, Irland, Indien und in Barcelona (unter der Franco-Diktatur) beteiligten sich.

Mithelfer von Peter Benenson, der den Artikel mit seinem Namen verantwortete, waren der  Quäker und engste Vertraute von Benenson Eric Baker, und Louis Blom-Cooper, ein international renommierter Rechtsanwalt aus London. Letzterer hatte Benenson den Rat gegeben, sich an David Astor vom Observer, für dessen Zeitung er regelmäßig Kolumnen geschrieben hatte, zu wenden. Kurze Zeit später kam Sean MacBride (Gründer von Amnesty in Irland) hinzu. Benenson, Baker und Blom-Cooper entschieden zusammen über den Namen des auf ein Jahr geplanten "Appeal for Amnesty". (15)

 

 

Über die Gründer von ai:
Peter James Henry Soloman Benenson wurde am 31.07.1921 als Sohn einer russisch-jüdischen Mutter und eines britischen Ex-Armeeoffiziers, der früh starb, geboren. Seine Erziehung und Bildung erhielt er in Summer Fields, Eton und Balliol-College in Oxford. Schon in seiner Zeit in Eton war Peter Benenson aktiv in einem "Spanish Relief Committee", das im spanischen Bürgerkrieg den Demokraten half. Benenson hatte sogar ein spanisches Kind persönlich "adoptiert".  In den späten 30iger Jahren engagierte er sich bei der Rettung jüdischer Kinder aus Nazi-Deutschland. Im 2.Weltkrieg arbeitete er zuerst im Ministerium für Information und dann beim Militärischen Geheimdienst, wo er auch seine erste Frau kennenlernte. 1947 verließ er die britische Armee und studierte Jura. 1956 war er an der Initiative zur Gründung von Justice, einer Organisation, die sich für faire Gerichtsverfahren und Rechtsstaatlichkeit, beteiligt. Dabei trieb ihn auch die Frage um, wie eine parteiübergreifende Organisation geschaffen werden könne, die Verfolgten in politischen Prozessen hilft. Als Benenson ein Büro in Zypern eröffnete, begegnete er Eric Baker, der sein vertrautester und engster Mitarbeiter bei der Gründung von amnesty wurde. 1958 konvertiert er zum Katholizismus und brachte 1961 sein Buch "Persecution" heraus, das wesentlich auf den Recherchen von Baker beruhte. Im Briefwechsel mit Baker entstanden in diesen Jahren die ersten Ideen zur Gründung von Amnesty International. Benenson starb am 25.02.2005. 

Eric Baker (1920-1976) war während des 2.Weltkrieges Kriegsdienstverweigerer. Von 1946-1948 leitete er ein Quäker-Zentrum in Dehli in Indien, in den Jahren 1954-1959 war er Generalsekretär des National Peace Council in Großbritannien. Ende der 50iger und Anfang der 60iger Jahre unternahm er für die Quäker Friedensmissionen nach Zypern. Dabei lernte er auch Peter Benenson kennen. Er prägte den Begriff des "Gewissensgefangenen" (prisoner of conscience) und wurde später erster Generaldirektor bzw. Generalsekretär der Gesamtorganisation Amnesty.
Sean MacBride (1904-1988) war irischer Politiker, Rechtsanwalt und Mitglied der irisch-republikanischen Partei. Von 1948-51 Außenminister  Irlands, in den Jahren 1973-76 war er als UN-Kommissar für Namibia im Range eines stellvertretenden Generalsekretärs der UNO tätig. Von 1963-69 und von 1970-73 war er Vorsitzender des Internationalen Vorstandes von Amnesty und erhielt für seine Verdienste 1974 den Friedensnobelpreis.

Die Idee des "Appeals" war, gegen ungerechtfertigte Inhaftierungen  mit massenhaften Briefprotesten an die verantwortlichen Regierungen vorzugehen. Nach dem Erscheinen des Artikels am 28.Mai schlossen sich 1961 noch zwei Konferenzen an: eine in London zu "politischer Verfolgung" und eine in Paris zu "religiöser Verfolgung". Der "Appeal for Amnesty" - wie es zunächst hieß - definierte folgende Ziele: Unparteilich für die Freilassung derjenigen zu arbeiten, die wegen ihrer Ansichten inhaftiert sind; faire Gerichtsverfahren für die Inhaftierten sicherzustellen; asylrechtlichen Schutz zu besorgen; Hilfe bei der Arbeitssuche politischer Flüchtlinge zu leisten; international den Schutz der Meinungsfreiheit zu fördern.(16)

Das Echo war gewaltig. Mehr als tausend Menschen boten ihre Hilfe an und beteiligten sich mit Schreiben an die Behörden der im Artikel genannten Länder innerhalb des ersten Monats. Außerdem ging bei den Initiatoren eine Flut von Briefen ein, in denen um Hilfe für weitere politische Gefangene gebeten wurde. In Hampstead wurde eine erste Adoptionsgruppe gegründet. Hier arbeitete auch die britische Künstlerin jüdischer Abstammung Diana Redhouse mit, die das Logo (Kerze mit Stacheldraht) entwarf. Die beiden ersten Amnesty-Vereine wurden noch 1961 in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland gegründet.

Zwei Monate nach Erscheinen des Artikels im Observer fand in Köln am 28. Juli die Gründungsversammlung des "Amnesty- Appell" in der Bundesrepublik Deutschland statt. Sie erfolgte nach einem Besuch von Eric Baker in Köln, der dort bei einem Sommerfest Kontakt zu deutschen Künstlern und Journalisten aufnehmen wollte, um diese als Aktive für Amnesty zu gewinnen. Auf der Gründungsversammlung wurden Carola Stern (1925-2006), Gerd Ruge (geb.1928) und Felix Rexhausen (1932- 1992) in den Vorstand gewählt. Es gab zahlreiche weitere Mitbegründer wie Wolfgang Leonhard (Autor von "Die Revolution entlässt ihre Kinder") und andere. Die Eintragung des deutschen "Appeal for Amnesty"  ins Vereinsregister des Amtsgerichts Köln erfolgt am 25.Sept.1961. Das Prinzip der Dreier-Gruppe wird auch in der BR Deutschland angewandt (so werden ein verurteilter sowjetischer Lyriker, ein inhaftierter Zeuge Jehovas in Spanien und ein unter Hausarrest stehender kommunistischer Schriftsteller in Südafrika als erste Fälle "adoptiert"). In Deutschland wurde dann der Begriff "gewaltloser politischer Gefangene" verwendet statt der Übersetzung "Gewissensgefangner" für "prisoner of conscience".

Im Juli 1961 fand auch die erste internationale Konferenz des "Appeal for Amnesty" in Luxemburg statt, an der Gerd Ruge und Sabine Brandt als deutsche Vertreter teilnahmen. Andere Delegierte kamen aus Großbritannien, Frankreich, Belgien, Irland, der Schweiz und den USA.

Wegen des großen Erfolges des Anfangsimpulses wurde beschlossen, den ursprünglich auf ein Jahr befristeten "Appeal for Amnesty" in eine permanente Bewegung zu überführen, für die der Name "Amnesty international" vorgeschlagen wurde. Ende des Jahres gab es außer in Großbritannien und Deutschland auch amnesty-Gruppen in Belgien, Griechenland, Australien, Schweden, Norwegen, Irland, den Niederlanden, der Schweiz Frankreich und in den USA.

Ein Jahr später - im September 1962 - fand eine zweite internationale Konferenz von Amnesty im Chateau de Male, Sisjle nahe Brügge in Belgien statt, bei dem der endgültige Name "Amnesty international" festgelegt wurde. Mehr als 60 Delegierte nahmen daran teil, das waren bedeutend mehr als noch vor einem Jahr in Luxemburg.

Die Spiegel-Affäre in Deutschland im Oktober 1962 - auf dem Hintergrund des Weltbühne-Prozesses von 1931
In Deutschland kommt es dann im Oktober 1962 zur sogenannten "Spiegel-Affäre" mit der Anzeige wegen Landesverrats auf Grund eines Artikel von Conrad Ahlers im "Spiegel" über das Verteidigungskonzept der Bundeswehr. Nicht nur in der Bundesrepublik herrschte Empörung über diesen maßlosen Angriff auf die Pressefreiheit - auch im Ausland wurden die Vorgänge aufmerksam beobachtet. Deutlich waren noch die Erinnerungen an die "Ossietzky-Affäre" aus der Zeit der Weimarer Republik. Carl von Ossietzky (1889- 1938) war Herausgeber der Zeitschrift "Die Weltbühne". In einem international Aufsehen erregenden Prozess (dem "Weltbühne-Prozess" von 1931) wurde er wegen Spionage verurteilt, weil seine Zeitschrift auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht hatte. Ende 1931 wurden Ossietzky und der Flugzeugexperte Walter Kreiser schließlich wegen des Verrats militärischer Geheimnisse zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. (17)

Anders als Kreiser lehnte es Ossietzky es jedoch strikt ab, sich dem Gefängnisaufenthalt durch Flucht ins Ausland zu entziehen. Er erklärte noch kurz vor dem Haftantritt, nachdem sein Gnadengesuch durch Hindenburg abgelehnt worden war: "... ich gehe nicht aus Gründen der Loyalität ins Gefängnis, sondern weil ich als Eingesperrter am unbequemsten bin." (18) Am 10.Mai 1932 trat er im Gefängnis Berlin-Tegel seine Haftstrafe an. Befürchtungen, dass Ossietzky in der Haft durch Vergeltungsschikanen der Staatsmacht zu Schaden kommen könnte, bewahrheiteten sich nicht. Auf Grund einer Weihnachtsamnestie für politische Häftlinge wurde er am 22.Dez.1932 nach 227 Tagen Haft vorzeitig entlassen.

Folter und KZ-Haft: Als engagierter Pazifist und Demokrat wurde er am 28.Februar 1933 durch die Nationalsozialisten erneut verhaftet und im Gefängnis Berlin-Spandau interniert. Von dort wurde Ossietzky am 6.April 33 in das neu errichtete Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin verschleppt, wo er wie die anderen Häftlinge misshandelt wurde.

 "Die Zustände in dem anfänglich von der SA geführten Lager führten schließlich dazu, dass die SS unter Heinrich Himmler im Frühjahr 1934 das Lagersystem professionalisierte. Ossietzky wurde mit weiteren Häftlingen von Sonnenburg in das KZ Esterwegen im nördlichen Emsland verlegt. Dort wurden die Gefangenen unter unerträglichen Bedingungen bei der Trockenlegung der emsländischen Hochmoore eingesetzt. Ende 1934 wurde der völlig abgemagerte Ossietzky in das Krankenrevier verlegt. Dem Bericht eines Mithäftlings sollte Ossietzky im Krankenlager durch Spritzen getötet werden. Ob Ossietzky aber, wie der Häftling behauptet, tatsächlich Tuberkulosebazillen injiziert wurden, ist nicht zweifelsfrei erwiesen." (19)

Auf Grund von öffentlichen Aufrufen wurde Ossietzky schließlich im Mai 1936 in das Berliner Staatskrankenhaus der Polizei gebracht, wo eine schwere offene Lungentuberkulose im fortgeschrittenen Zustand festgestellt wurde.

Nobelpreiskampagne für Ossietzky: Bereits 1934 hatten Freunde im Namen der Deutschen Liga für Menschenrechte Ossietzky für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Dieser Versuch scheiterte, da die Liga nicht vorschlagsberechtigt war. Da die Presse aber darüber berichtet hatte, war man nun auf den KZ-Häftling aufmerksam geworden.

Im Jahr 1935 gab es einen erneuten Anlauf. Die NS-Regierung hatte aber starken Druck auf die norwegische Regierung ausgeübt, so dass auf eine Preisverleihung verzichtet wurde. In diesem Jahr wurde deshalb der Friedensnobelpreis an gar keinen Kandidaten verliehen.

Die Kampagne ging jedoch 1936 unvermindert weiter, so dass Ossietzy kurz vor den Olympischen Spielen 1936 schwerkrank aus dem KZ entlassen und in das Staatskrankenhaus in Berlin verlegt wurde. Am 7.Nov wurde er offiziell aus der Haft entlassen und bezog zunächst ein Zimmer im Krankenhaus Westend, wo er unter der Bewachung der Gestapo stand. Trotz dieser Zugeständnisse der NS-Regierung erreichte jetzt die internationale Kampagne, die in Norwegen von dem Emigranten Willy Brandt organisiert wurde, ihr Ziel. Am 23. Nov.1936 wurde Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis für 1935 zugesprochen.

Göring persönlich drängte Ossietzky, den Preis nicht anzunehmen, was dieser ablehnte. Daraufhin verbot die Gestapo, dass er zur Entgegennahme des Preises nach Oslo reisen durfte.
Hitler verfügte anschließend, dass kein Reichsdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe. Stattdessen wurde von 1937 an der Deutsche Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft vergeben. (20)

Am 4.Mai 1938 starb Ossietzky im Krankenhaus an den Folgen der Tuberkulose. Seine Frau Maud und seine Tochter Rosalinda hatten noch über England nach Schweden emigrieren können.

"Droht ein neuer Ossietzky-Fall?"
Angesichts der Spiegel-Affäre wurde in der Bundesrepublik nicht nur ein erhebliches Misstrauen gegen das fragwürdige Zusammenspiel von Regierung und Justiz geäußert, sondern es wurde auch an Ereignisse der deutschen Geschichte erinnert, die als vergleichbar angesehen wurden. Von der Presse und namhaften Juristen wurde insbesondere an den Ossietzky-Fall gedacht, und der BGH-Senatspräsident Heinrich Jagusch veröffentlichte den vielbeachteten Artikel "Droht ein neuer Ossietzky-Fall?".  Die Erinnerung an den Weltbühne-Prozess trug dazu bei, dass die Öffentlichkeit in der Bundesrepublik diesmal einen ähnlich gelagerten Eingriff in die Pressefreiheit nicht hinnehmen wollte. (21)

Noch im November 1963 hatte sich die Spiegel-Affäre zur Regierungskrise ausgeweitet. Am 30.Nov trat schließlich Franz-Josef Strauss als Verteidigungsminister zurück, und Mitte Dezember 63 kam es zur Bildung der fünften - und letzten - Regierung unter Adenauer.

Das Symposium von "Amnestie-Appell e.V."
In diesem politisch aufgeheizten Klima veranstaltete der "Amnestie-Appell e.V.", wie amnesty damals in Deutschland noch hieß, am 30.November 1962 das Symposium. Dabei sollte es nicht darum gehen, eine Spiegel-Amnestie zu bewirken Auch die Klärung von solchen Grundsatzfragen wie "Landesverrat und Pressefreiheit" gehörten nicht zu den eigentlichen Zielen von ai. Aber ausländische Freunde von amnesty hatten nach den Anschuldigen gegen den "Spiegel" u.a. auch in Briefen an den deutschen Bundespräsidenten und die Vorsitzenden der Rechtsausschüsse von Bundestag und Bundesrat ihre Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik geäußert. Das war dann schließlich der Anlass für die Einladung zu dem Symposium. Gerd Ruge war die für die Veranstaltung die verantwortliche Person. Er hatte die Gäste eingeladen, somit auch Fritz Bauer.
Ein Jahr später wurden die Beiträge als Buch mit dem Titel "Landsverrat und Pressefreiheit" veröffentlicht. (22) Da Fritz Bauer nicht teilnehmen konnte, wurde seine schriftliche Stellungnahme in das Buch mit aufgenommen. Und seine Ausführungen sind dabei markant und wegweisend, insbesondere in Hinblick auf die "Mosaiktheorie", die in den Gesprächen mehrfach erwähnt, aber nicht erläutert wurde. Hierbei geht es um den Sachverhalt, dass Journalisten die zahlreichen Informationen, die die Regierungen an die Öffentlichkeit gibt, zusammenstellen und so ein ganzheitliches Bild erhalten, das dann von der Regierung als "Geheimnisverrat" angesehen werden kann. Eigentlich sind alle Fakten bekannt, solange sie aber als einzelne Informationen kursieren, erscheinen sie nicht als subversiv oder bedrohlich. Der investigative Journalist, der diese Fakten in Fleißarbeit zusammengetragen hat, muss nun aber den Vorwurf des Landesverrates erleben.

In Hinblick auf die Spiegel-Affäre wies Fritz Bauer in seiner schriftlichen Stellungnahme  daraufhin, dass dieser Fall grundsätzlich behandelt werden sollte, wobei eine juristische Lösung letztlich nur vom Bundestag oder vom BGH bzw. vom BVG erwartet werden könne. Bauer schlug vor, dass der Bundestag nach dem Vorbild der englischen Royal Commissions einen Ausschuss einberufe, der unter der Berücksichtigung der ausländischen Gesetzgebung und Rechtsprechung, des Grundgesetzes und seiner Auslegung durch das Bundesverfassungsgerichtes, Vorschläge für eine Neufassung der bestehenden Bestimmungen mache. Diese Ideen wurden ebenfalls von mehreren Teilnehmern des Symposiums befürwortet. Im weiteren führte Fritz Bauer aus:
Maßgebend muß die politische Erwägung sein, daß der Schutz der äußeren (außenpolitischen) Freiheit nicht zum Verlust oder zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der inneren (innenpolitischen) Freiheit führen darf. Die Bestimmungen gegen Landesverrat sollen heute die Bundesrepublik vor einer totalitären Überfremdung durch den Osten, hiermit besonders vor einer Begrenzung der privaten und öffentlichen Meinungsfreiheit bewahren; der Sinn dieser strafrechtlichen Bestimmungen würde ins Gegenteil verkehrt oder verfälscht, wenn wir aus Angst vor einem totalitären Tod begännen, demokratischen Selbstmord zu begehen. (23)

In einem letzten Punkt führt er aus:
Zu den Begleitumständen der Spiegel-Aktion soll hier nicht Stellung genommen werden, obwohl auch hier legislatorische Fragen aufgeworfen werden. Dazu gehöre etwa das Recht der Durchsuchung von Pressearchiven mit den Schriftstücken und Aufzeichnungen von Verfassern, Einsendern oder Gewährsmännern und das Recht ihrer Beschlagnahme. Das seitherige Recht und die seitherige Praxis können u.a. zu einer Abschreckung von Informationen und damit zu einer gefährlichen Lähmung der Pressefreiheit führen, ohne die eine freiheitliche Demokratie nun einmal nicht denkbar ist. (24)

Schlussbetrachtung
Die "Spiegel-Affäre" von 1962 ging gut aus. Am 13.Mai 1965 entschied dann schließlich der dritte Strafsenat des BGH, dass keine Beweise vorlägen, die einen wissentlichen Verrat von Staatsgeheimnissen durch Conrad Ahlers und Rudolf Augstein belegen würden. Somit wurde kein Hauptverfahren eröffnet, und die Spiegel-Affäre war damit von offizieller Seite beendet (25) Die Bedrohung der Pressefreiheit in der Bundesrepublik war somit erfolgreich abgewehrt worden. Auch im Fall von WikiLeaks sprachen amerikanische Gerichte die Internetplattform vom Vorwurf des Landesverrates frei, wenn auch andere Versuche erfolgten, Wikileaks in ihrer Tätigkeit zu behindern (Sperrung der Domain, Deaktivierung von Spendenmöglichkeiten durch MasterCard, Visa usw.).

Amnesty international hatte durch das Symposium im November 1962 spontan auf das Problem reagiert, als es die Presse- und Meinungsfreiheit gefährdet sah, und durch die Diskussion mit renommierten Fachleuten einen wichtigen Beitrag geleistet. Auch im Fall von WikiLeaks hat amnesty im Jahr 2010 schnell reagiert und Stellung bezogen. Dabei wurde  WikiLeaks u.a. aufgefordert, "jede erdenkliche Anstrengung zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass einzelne Personen keinem höheren Risiko für Gewalt oder andere Menschenrechtsverstöße ausgesetzt sind, weil sie beispielsweise aus den Dokumenten als Informationsquelle hervorgehen." (26)

Die Stellungnahme von Fritz Bauer in Bezug auf die Spiegel-Affäre ist jedoch wegweisend. Für die Bundesrepublik fordert er eine Überprüfung der bisherigen Rechtsprechung:
"Die Bestimmung über die sog. landesverräterische Fälschung, in Wahrheit die Bekanntmachung unwahrer, aber im Falle ihrer Wahrheit staatsgefährdender Nachrichten   (§ 100a Strafgesetzbuch), bedarf dringend einer Überprüfung. Sie wurde anläßlich des Reichstagsbrandes gegen 'Greuelpropaganda' geschaffen und wird ganz im Stile der Nazis in dem Entwurf zu einem Strafgesetzbuch 1962 unter Hinweis auf 'die Zeit vor 1933' verteidigt, womit Männer wie Ossietzky noch im Jahre 1962 einen posthumen Fußtritt des Bundesjustizministeriums und der Bundesregierung erhalten. M.W. fehlt eine solche Bestimmung im Auslandsrecht...

Kritik erfordert die herrschende Interpretation der Worte 'Gefährdung des Wohles der Bundesrepublik'. In völliger Verkennung einer Demokratie, die Mehrheit und Minderheit, Regierung und Opposition, Staatsgewalt und Volk umfaßt, wird das 'Wohl der Bundesrepublik" ohne jede Einschränkung mit der Politik der Bundesregierung identifiziert. Es wird - m.E. grundgesetzwidrig - damit verboten, die Kreise und Politik der Bundesregierung zu stören; die Opposition, die Presse usw. werden ausdrücklich auf die jeweils nächste Bundestagswahl vertröstet, die ihnen - ohne daß zuvor eine durch Fakten fundierte Diskussion gestattet worden wäre - die Möglichkeit einräume, neue Mehrheitsverhältnisse, eine neue Bundesregierung und damit eine neue Außen- und Verteidigungspolitik herbeizuführen.
Diese Auslegung des Gesetzes ist m.E. falsch. Sie wird dem Vorsatz einer Regierungsopposition, einer oppositionellen Presse nicht gerecht, der nicht  - wie es durch die schematische Gleichsetzung von Politik der Bundesregierung und öffentlichem Wohl geschieht - schlechthin abgesprochen werden kann, ihrerseits das 'Wohl der Bundesrepublik' im Auge zu haben. Hier wird in einer fast typischen Weise der pluralistische Charakter unseres Staates verkannt und Nichtkonformismus mit Zuchthaus als Folge diffamiert. Die herrschende, aber m.E. unrichtige Auffassung wird z.B. auch der Beurteilung der Widerstandskämpfer im Ditten Reich nicht gerecht; Oster, Bonhoeffer usw. gelten auch deswegen nicht als 'Landesverräter', weil sie - wenn auch im Widerspruch mit der Politik der damaligen Regierung - keinesfalls das Bewusstsein hatten, das Wohl des Reiches zu gefährden, im Gegenteil, es fördern wollten."(27)

Er beendet die Stellungnahme mit den Worten:
" Zu den Begleitumständen der Spiegel-Aktion soll hier nicht Stellung genommen werden, obwohl auch hier legislatorische Fragen aufgeworfen werden... Das seitherige Recht und die seitherige Praxis können zu einer Abschreckung von Informanten und damit zu einer gefährlichen Lähmung der Pressefreiheit führen, ohne die eine freiheitliche Demokratie nun nicht einmal denkbar ist. (28)

Wie sagte er noch anfänglich in der Stellungnahme: "... der Sinn dieser strafrechtlichen Bestimmungen würde ins Gegenteil verkehrt oder verfälscht werden, wenn wir aus Angst vor einem totalitären Tod begännen, demokratischen Selbstmord zu begehen." Diesen drastischen Worten von Fritz Bauer ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

 

Anmerkungen:
1. www.wikipedia.org/wiki/WikiLeaks S.1
2. a.a.O S.2
3. a.a.O. S.3
4. a.a.O. S.6
5. Fritz Bauer: Das Recht auf Widerstand und General Oster, in: Joachim Perels/ Irmtrud Wojak: Die Humanität der Rechtsordnung Ausgewählte Schriften. Frankfurt.1998. S.216
6. Fritz Bauer: Eine Grenze hat Tyrannenmacht. Plädoyer im Remer-Prozess (1952), in: Perels/ Wojak a.a.O,  S.170
7. a.a.O. S.170
8. a.a.O. S.171
9. www.wikipedia.org/wiki/Spiegel-Affaere S.1
10. a.a.O. S.1
11. a.a.O. S.2
12. Fritz Bauer: Schriftliche Stellungnahme von Generalstaatsanwalt Dr.Fritz Bauer. in: Gerd Ruge (Hrsg): Landesverrat und Pressefreiheit. Ein Protokoll. Köln. 1963. S.135- 140
13. Fritz Bauer beginnt die Stellungnahme mit den Worten: "Amnesty international ist mir durchaus geläufig..." In: Fritz Bauer, a.a.O. S.135
14. Volkmar Deile (Hrsg): 50 Jahre amnesty international. Eine Chronik. Berlin.2012. S.4
15. a.a.O. S.5
16. a.a.O. S.7
17. www.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Ossietzky S.4
18. a.a.O. S.4
19. a.a.O. S.6
20. a.a.O. S.8
21. www.wikipedia.org/wiki/Spiegel-Affaere S.3
22. Gerd Ruge (Hrsg): Landesverrat und Pressefreiheit. Ein Protokoll. Köln. 1963.
23. Fritz Bauer: Schriftliche Stellungnahme von Generalstaatsanwalt Dr.Fritz Bauer. in: Gerd Ruge: a.a.O. S.135
24. a.a.O  S.140
25. www.wikipedia.org/wiki/Spiegel-Affaere S.2
26. www.amnesty.de/2010/12/10/wikileaks-und-das-recht-auf-freie-meinungsaeusserung S.2
27. Fritz Bauer: Schriftliche Stellungnahme... S.138f
28. a.a.O. S.140

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