Aus dem Blog von Henning Noske, Braunschweig

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Warum der große Fritz Bauer in unserer Stadt immer noch keinen Platz hat 
In dieser Woche ist es 50 Jahre her, dass in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann begann - der Organisator und Protokollführer des Holocaust war vom israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien entführt und nach Israel gebracht worden.
Der Eichmann-Prozess sei der "Beginn des Redens über den Holocaust" gewesen, sagt Ulrich Baumann, Kurator einer eben eröffneten Eichmann-Ausstellung im Berliner Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors". Das stimmt, aber auch nicht ganz. Der Eichmann-Prozess, das Reden über den  Holocaust, hat eine Vorgeschichte in Braunschweig.
Es ist die Geschichte des Braunschweiger Generalstaatsanwalts Fritz Bauer. Der Jude und Sozialist war vor den Nationalsozialisten geflohen, kehrte als Weggefährte Kurt Schumachers und Willy Brandts 1949 aus dem skandinavischen Exil zurück, zog in die Heinrich-Jasper-Allee, wurde Landgerichtsdirektor in Braunschweig und von 1950 bis 1956 Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Braunschweig.
In dieser Zeit betrieb Bauer in Braunschweig einen der bedeutendsten Prozesse der Nachkriegszeit - im sogenannten Rehmer-Prozess wurden erstmals die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 rehabilitiert. Das war Bauers Programm: Wenn man ein anderes, ein besseres Deutschland aufbauen will, muss es ein Recht geben, das mit dem Recht der Verbrecher bricht.
Zeitzeugin Rose-Marie Ausmeier, die Witwe eines früheren Kollegen bei der Braunschweiger Zeitung und der Braunschweiger Presse, Peter Ausmeier, sagte mir in einem Interview: "Fritz Bauer hat in Braunschweig Ärger gehabt, viel Ärger. Er ist nie heimisch geworden."  Und er hatte noch viel vor. Er wollte Auschwitz-Arzt Mengele jagen  - und Adolf Eichmann.
Der Lackmus-Test der neuen deutschen Demokratie ist die Anklage der Völkermörder in Deutschland und ihre Verurteilung in Deutschland. Dieses Programm Fritz Bauers entstand in Braunschweig. Im Falle der Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 1960er-Jahren, die Fritz Bauer als hessischer Generalstaatsanwalt vorantrieb (seit 1956), ging es auf.
Im Falle Adolf Eichmanns scheiterte das Programm jedoch. Fritz Bauer hatte ebenso wie der Bundesnachrichtendienst Informationen aus Argentinien, man kannte Eichmanns Aufenthaltsort. Doch der deutsche Generalstaatsanwalt informierte Israel - und gestand damit auch sein eigenes Scheitern ein.  Es heißt, er misstraute den eigenen Leuten. Dafür sprich einiges. Man kann es auch so sehen: Wer Eichmann wirklich haben will, kalkuliert kühl die besten Chancen. 
So fand der Eichmann-Prozess in Jerusalem statt - mit Wurzeln in Braunschweig.
Doch unsere Stadt tut sich mit dem Bauer-Erbe schwer. Es wäre längst angemessen, diesem großen Mann der Nachkriegsgeschichte, der 1968 starb, einen Ort in Braunschweig zu geben. Doch keine Straße ist nach ihm benannt, keine Schule, kein Platz, kein Gebäude. Das einzige Denkmal hat Fritz Bauer in seiner Braunschweiger Zeit selbst veranlasst: Er hat das Gerichtsgebäude am Domplatz mit einer Plastik verzieren lassen, die die Justitia mit zwei Menschen in den Waagschalen zeigt.
Das zeigt mein Foto für diesen Beitrag.
Auf der anderen Seite des Gebäudes ließ Fritz Bauer Artikel 1 des Grundgesetzes einmeißeln: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." 
Der Braunschweiger Udo Dittmann hat auf  www.unser-braunschweig.de schon vor längerer Zeit an Fritz Bauer erinnert und eine Initiative gestartet: Eine Straße, ein Platz oder eine Schule sollen hier nach ihm benannt werden. 50 Jahre nach dem Beginn des Eichmann-Prozesses in Jerusalem gibt es immer noch und immer wieder reichlich Anlass, dies aufzugreifen.   
Henning Noske
Wissenschaftsredakteur der Braunschweiger Zeitung
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