Fritz Bauer Freundeskreis

"Fritz Bauer - Tod auf Raten"
Filmbeschreibung aus dem Filmfestival "UeberMut" (www.uebermut.de )

„Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden“. Dieses Zitat spiegelt am besten wider, was den Juristen Fritz Bauer in den 1950er und 1960er Jahren bei der juristischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland antreibt. Für ihn spielte die Justiz eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau der Demokratie. Als Generalstaatsanwalt rehabilitierte er die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 und initiierte den Frankfurter Auschwitzprozess. In der Bundesrepublik löste Bauer damit erstmals eine breite öffentliche Diskussion über den Holocaust aus. Die Dokumentation führt in eine Zeit, in der vor allem die ältere Generation in Deutschland die NS-Vergangenheit verdrängte. 1968 starb Fritz Bauer. Sein überraschender Tod ist bis heute ungeklärt.

 

Filmbeschreibung aus der Webseite des Filmes www.fritz-bauer-film.de
"Fritz Bauer - Tod auf Raten"
Ein Film von Ilona Ziok
Deutschland 2010, 97 Minuten, Format Digital Beta, Farbe & s/w
 
Ein deutscher Staatsanwalt, der bei seinen Ermittlungen über NS-Verbrechen in die Netzwerke von Alt-Nazis gerät.
Das Psychogramm eines Aufrechten in den 60er Jahren und einer Nation, die von ihrer Vergangenheit nichts wissen wollte.
Deutsche Geschichte ganz nahe am Abgrund?
 
Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Daß Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. [...] Dann kamen die anderen, die sagten: „Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil!“ Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut, wie die Kanalisation es verlangte. [...] Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? [...] Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen?
Fritz Bauer
1903-1968

Aus: Gerhard Zwerenz: Gespräche mit Fritz Bauer. In: Streit-Zeit-Schrift VI,2,
Frankfurt a.M., September 1968, S. 89-93, hier S. 92f.
Fritz Bauer war wohl der profilierteste Staatsanwalt, den die Bundesrepublik je hatte! Er sah sich in der Tradition Gustav Radbruchs als „Jurist aus Freiheitssinn“, glaubte, dass „Unruhe die erste Bürgerpflicht“ sei und war davon überzeugt, dass der Bürger ein Widerstandsrecht gegen Willkürakte des Staates habe. Hierfür stritt er als als Generalstaatsanwalt von Niedersachsen in einem Aufsehen erregenden Prozess in Braunschweig (1952/53), in dem es um die rechtliche Legitimität des 20. Juli 1944 ging und in dessen Verlauf Bauer die Rehabilitierung der hingerichteten Verschwörer erreichte. Damit war er ein Pionier modernen „zivilgesellschaftlichen“ Denkens, aus dem das Rechtswesen nicht ausgenommen war.
Mit derselben Zielgerichtetheit mit der Fritz Bauer die Angehörigen des 20. Juli-Putsches rehabilitierte, hat er wie kein anderer Jurist die Aufhellung und Ahndung der NS-Verbrechen in Gang gesetzt. Als hessischer Generalstaatsanwalt (1956-1968) war er der maßgebliche Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse
Eine wichtige Rolle spielte Bauer auch bei der Ergreifung Adolf Eichmanns. Da er berechtigte Zweifel hegte, dass die deutsche Justiz nachdrücklich genug Eichmanns Auslieferung fordern und ihn konsequent wegen Mordes in vielen tausend Fällen anklagen würde, verriet er den Aufenthaltsort des berüchtigten „Buchhalters der Endlösung“ an den israelischen Mossad, damit Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte.
Während seiner Amtszeit in Frankfurt a.M. hat Bauer in Hessen als erstem Bundesland außerdem auch die Reform des Strafvollzugs vorangetrieben. Dessen Humanisierung gehörte für ihn zu einer humanen Gesellschaft.
Durch sein vielfach provozierendes Auftreten – so redete er einmal Strafgefangene mit „Meine Kameraden“ an – und durch seine Härte gegenüber NS-Verbrechern wurde Bauer im restaurativen Klima der Adenauer-Ära zur „Provokation für den Zeitgeist“, nicht nur der rechten und rechtsradikalen Kritik. Aufsätze und Reden mit Titeln wie „Mörder unter uns“ und „Am Ende waren die Gaskammern“ erregten auch beim bürgerlichen Publikum der 50er und 60er Jahre Anstoß. Antisemitische und politische Anfeindungen begleiteten das Leben des jüdischen Schwaben. So wie Kleinbürger und Bourgeoisie vor der Machtübergabe an Hitler die Gefahr nicht erkannt haben, die in ihrer Haltung lag (bzw. das, was sich abzeichnete, nicht als Gefahr betrachteten), so waren sie auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches nicht fähig, diese – nun in anderer Form wiederkehrenden – Zusammenhänge zu erkennen bzw. falls erkannt, als Gefahr zu begreifen. Der status quo ante bestimmte – mutatis mutandis – die Situation der jungen BRD. Indem sich Bauer dagegen wandte, dass sich die Gesellschaft in einer moralischen (und damit auch rechtlichen) Intransigenz einrichte, in der man die Vergangenheit auf sich beruhen lassen konnte, weil er darin keinen wirklichen Neuanfang sah, erntete er durchweg Ablehnung und Verweigerung gegenüber seinen Forderungen; von Seiten der Unverbesserlichen bis hin zu den strukturell Konservativen, Opportunisten und Beschwichtigern. Die Verbindung dieser Tendenzen definiert die Wissenschaft heute als das „Nachkriegssyndrom“. Dieses zu überwinden gelang Bauer nicht. Intrige, Sabotage und Rufmord begleiteten stets und von allen Seiten seine Arbeit. Erst im erheblich späteren Stadium der BRD-Geschichte stellte sich eine langsame Entmischung dieser verbundenen Tendenzen ein. Bauer war seiner Zeit zu weit voraus, seine rechts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen, auch die des internationalen Gerichtshofs stießen kaum auf Resonanz, das Klima war hierfür noch nicht reif. Die Unentschiedenheit der Gesellschaft im Hinblick auf ihre Vergangenheit, die Portionierung der bitteren Einsichten und ihre Streckung über Jahrzehnte, die darin liegende Selbstschonung vor dem Schock, den der Blick in den eigenen Abgrund hätte auslösen müssen, zeigen noch lange nach Bauers Tod wie sich die Gesellschaft selbst betrog.
Bauer zog sich immer mehr auf die Arbeit an seinen politischen Prozessen zurück. Seine Position in der Justiz beschrieb er als „Exil“ (vielleicht auch wegen des wieder mit Altnazis durchsetzten Apparats, aber auch mit vielen traditionell denkenden Juristen, die für die o.g. Kompromisse, fürs Lavieren und Intransigenz waren) und seine Umgebung immer mehr als „feindliches Ausland“.
Ein schwerer Schlag waren für Bauer schließlich die Notstandsgesetze, die die Frontstellung gegenüber extremistisch-terroristischer Gefahr markierten, wobei man damals nur an links dachte. Bauer sah die Notstandsgesetze als eine irreparable Wende zum autoritären Staat an, in dem sich die junge Demokratie unter dem Vorwand aufgab, sich selbst zu retten, wahrscheinlich konnte sie auch nicht anders, weil sie noch zu wenig Substanz hatte. Als im Mai 1968 schließlich die Dreher-Gesetze vom Bundestag verabschiedet wurden, bedeutete dies den Dolchstoß für Bauer.
Am 30. Juni 1968 wurde er tot in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Die Räume waren ‚aufgeräumt’, das heißt, es lagen nicht – wie sonst – überall angefangene Skripte und Materialien herum: Alles war weg. Die Umstände seines Todes geben bis heute Rätsel auf
Mit Akribie hat die Regisseurin Archive durchforscht und wegweisende Statements des hessischen Generalstaatsanwalts ausgegraben. Um sie herum montiert sie in Form eines filmischen Mosaiks Archivmaterial mit ausgesuchten Werken klassischer und zeitgenössischer Komponisten und die Aussagen von Bauers Zeitzeugen: Freunde, Verwandte und Mitstreiter. Dabei entsteht nicht nur die spannende Handlung eines beeindruckenden Lebens, sondern auch das eindrucksvolle Porträt eines der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts.
© 2010 CV Films

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