Gegen das Vergeltungsstrafrecht
Anmerkungen zu Fritz Bauers Gedanken zur Strafrechtsreform

Fritz Bauer schwebte eine Reform des Strafrechts vor, in der das traditionelle Vergeltungsstrafrecht überwunden werden sollte. Das Vergeltungsstrafrecht hatte in der Vergangenheit die Strafgerichtsbarkeit bestimmt und fand nicht zuletzt in dem Bild von der Justitia mit verbundenen Augen und der Waage in der Hand seinen bildhaften Ausdruck. "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Dieses Denken zieht sich durch die Kulturen hindurch und "letztlich wusste (auch) Kant über den Vergeltungsgedanken hinaus keine rechte Antwort auf die Frage, was Recht ist oder nicht". (1)

In seinem Buch "Auf der Suche nach dem Recht" (2) und in zahlreichen anderen Aufsätzen untersucht Fritz Bauer diese Fragestellung. Angesichts der Tatsache, dass er es in seinen Prozessen mit NS-Tätern mit schweren und schwersten Menschenrechtsverletzungen zu tun hatte, kommt er zu erstaunlichen Ergebnissen: nicht um Vergeltung geht es ihm, sondern um individuelle Strafe.

Um eine Vorstellung von dem zu erhalten, worum es Fritz Bauer dabei geht, möchte ich zwei Beispiele anführen, die er zwar selber an keiner Stelle erwähnt, die aber zu seinen Gedanken hinführen und diese etwas verständlicher machen können.

Mozart und die "Zauberflöte"
Bauer war eher Theaterliebhaber. In seinen Aufsätzen und Plädoyers kommen häufig Dichter und Dramatiker zu Wort, weniger Musiker. Und doch gibt es gerade bei Mozart eine Passage, die als Quintessenz des Bauerschen Rechtsempfinden gelten könnte. In der "Zauberflöte" von Mozart gibt es eine Stelle, in der der weise Priester Sarastro die Worte ausspricht:
    
          In diesen heil'gen Hallen
          kennt man der Rache nicht,
          und ist ein Mensch gefallen,
          führt Liebe ihn zur Pflicht.

In diesen Worten kommt der Gedanke der Liebe zum Ausdruck, der die Rache überwindet. Der Täter, der gegen Gesetze verstoßen hat, soll wieder auf die rechte Bahn geführt werden. Vielleicht könnte man so die Ideen von Bauer zum Strafrecht bzw. zur Strafrechtsreform als den Versuch ansehen, die Kerngedanken Mozarts in praktisches Recht umzusetzen.

Luther: Der "strafende" und der "gnädige" Gott
In ganz anderer - und nicht direkt vergleichbarer - Weise taucht bei Luther der Begriff der "Gnade" auf. Hier ist der Bezug zu Bauer nicht so direkt wie bei Mozart, aber der Begriff der Gnade bedeutet, dass es etwas Größeres gibt, als nur gerecht zu sein.

Luther ist als junger Mensch erfüllt von der Angst vor dem "strafenden" Gott. Am 2.Juli 1505 hat er während eines Gewitters ein einschneidendes Erlebnis. Er hat solche Angst und Todesfurcht, dass er beschließt, Mönch zu werden.

Hier zeigt sich bei  Luther noch das christliche Verständnis des mittelalterlichen Menschen, das bestimmt ist von der Angst vor Hölle und Fegefeuer. "Luther hat furchtbare Angst vor dem jüngsten Gericht, vor dem strafenden Gott, der nach dem Tod über den Menschen Gericht hält... Kein Mensch auf Erden, denkt er, sei er auch noch so bemüht und rechtschaffen, werde je vor Gott bestehen können. Denn jeder Mensch sündigt, jeder Mensch hat Phasen in seinem Leben, in denen er sich gegen Gott entscheidet. Das bedeutet also, wenn Gott gerecht wäre, müsste der Mensch nach seinem Leben und seinen Taten in jedem Fall gerichtet und bestraft werden." (3)

Als er später den "gnädigen" Gott entdeckt, ist das ein wichtiges und gravierendes Erlebnis für ihn. Es bedeutet für Luther, dass Gott größer ist, als nur gerecht zu sein, indem der Mensch auch durch Gnade erlöst werden kann.

Das Vergeltungsstrafrecht - der Jurist als Buchhalter
Das geltende Strafgesetzbuch zu den Zeiten von Fritz Bauer ging  auf  ein Gesetz vom 15.Mai 1871 zurück "Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31.Mai 1870 wurde damals zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich erklärt. Grundlage war das Preußische Strafrecht von 1851, das seinerseits wieder durch den Code Pénal von 1810 beeinflusst worden war. Das Gesetz atmet die Luft der Aufklärung: die Philosophie des deutschen Idealismus hat Pate gestanden. Ziel des Strafrechts war im Anschluss an Kant die Vergeltung des Unrechts. Hegel sah im Verbrechen die Negation des Rechts und in der strafrechtlichen Reaktion des Staates die Negation der Negation." (4)

Erst am Ende des  19.Jahrhunderts wird der Vergeltungsgedanke in Frage gestellt  und als Ziel des Strafrechts und des Strafvollzuges die Verbrechensverhütung angesehen. "Die Aufgabe ist, den Straffälligen wieder zu einem möglichst nützlichen Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen." (5)

Gegen Straflosigkeit
Resozialisierung des Täters bedeutet aber keine Straflosigkeit. Der Täter soll auch nach Bauer zur Rechenschaft gezogen werden, es soll durchaus ein Prozess erfolgen. Ziel ist aber nicht Vergeltung des Unrechts, sondern Wiedereingliederung, wobei in besonders schweren Fällen auch eine Sicherheitsverwahrung möglich sein sollte, sofern die Gesellschaft vor einem Täter dauerhaft geschützt werden muss.

In Hinblick auf eine Strafrechtsreform in Deutschland schlägt Fritz Bauer 1959 z.B. einen konkreten Katalog von Maßnahmen strafender, bessernder und sichernder Art vor, wobei das Gericht das Vorleben des Täters, seine persönlichen und sozialen Verhältnisse berücksichtigen sollte. (5)

Im Grunde gilt dies auch für NS-Täter. Was Bauer aber nicht behagte, war eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne Gerichtsverfahren. Sein Handeln war ein Kampf gegen das Vergessen. Dabei ging es ihm aber nicht um Rache und Vergeltung. Sein Ansatz war viel umfassender und gestand auch jedem Täter ein Grundrecht an Menschenwürde zu, um wieder positiver Teil der Gesellschaft werden zu können. Die Ablehnung der Todesstrafe war deshalb für ihn auch selbstverständlich. (6)

 

Anmerkungen:
1. Fritz Bauer: Auf der Suche nach dem Recht. Stuttgart 1966. S.42
2. siehe Anmerkung 1.
3.Martin Luther. In: Planet Wissen, www.planet-wissen.de/kultur-medien/religion/martin_
luther/index.jsp. S.3
4.Fritz Bauer Gedanken zur Strafrechtsreform. Wie steht die SPD zum Entwurf der Großen Strafrechtskommission? (1959). In Perels/ Wojak: Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Frankfurt 1998. S. 233
5. a.a.O. S 234
6. Fritz Bauer: Gegen die Todesstrafe (1958). In Perels/ Wojak a.a.O: S. 393-397

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