Forum Bioethik Ein sehr kritischer Kommentar in der FAZ zum Nationalen Ethikrat
und seiner ersten schriftlichen Stellungnahme

Selbstberatungsladen 
Wir sind so frei: Im Ethikrat bestimmen die Forscher die Preise
von ACHIM BAHNEN
(aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2001, Nr. 298 / Seite 37)
 

Der Anfang Mai von Gerhard Schröder ins Leben gerufene 
Nationale Ethikrat ist ohne parlamentarisch-demokratisches 
Eigenkapital gestartet; die personelle Besetzung verhalf ihm, der 
kollektiven Unausgewogenheit zum Trotz, wegen des individuellen 
Ansehens der vom Kanzler Berufenen zu einem ersten 
Überbrückungskredit; jetzt, da der Rat am Donnerstag seinem 
Auftraggeber die erste schriftliche Stellungnahme überreicht und 
zugleich publik gemacht hat, ist dieser Kredit schon aufgezehrt: 
Das vierunddreißig Seiten lange Dokument ist eine ethische 
Bankrotterklärung.

Damit soll weder die Aufrichtigkeit der einzelnen Ratsmitglieder 
noch die Diskussionswürdigkeit der Mehrheitsmeinung bestritten 
werden; auch die - im Gegensatz zu den Sitzungen der 
demokratisch einwandfrei bestallten und von den Repräsentanten 
des Souveräns vorbildlich kontrovers besetzten Enquete-
Kommission des Bundestages - hinter verschlossenen Türen 
geführten Diskussionen mögen differenziert und ernsthaft gewesen 
sein; erschrecken jedoch muß die hemdsärmlige Art, mit der ein 
verfassungsrechtlich und rechtsethisch überaus dünn besetztes 
Gremium seit Jahrzehnten diskutierte Grundfragen der Rechts- und 
Werteordnung beantworten zu können meint, und wie ungezügelt 
die zahlenmäßig gut vertretenen Naturwissenschaftler einem 
Ethikrat die Feder führen dürfen, der sich auf diese Weise selbst 
zu einem Forschungsbeirat degradiert.

Daß vierzehn Räte sich für den Import von menschlichen 
embryonalen Stammzellen ausgesprochen hatten und neun 
dagegen, war schon vor drei Wochen bekanntgegeben worden 
(F.A.Z. vom 30. November). Mit den beiden damals noch 
ausstehenden Stimmen lautet das Votum nun fünfzehn gegen 
zehn, ohne daß bekanntgegeben würde, wer sich wie entschieden 
hat. Der Tenor der ersten Presseerklärung, daß der Import nur 
unter strengen Auflagen und zunächst nur für begrenzte Zeit erlaubt 
werden solle, wird durch die schriftlich ausgearbeitete Formulierung 
und Begründung jedoch als Beschwichtigungsrhetorik enttarnt.

Dabei wird es fast zur Nebensache, daß nun öffentlich wird, von 
den fünfzehn Befürwortern des Imports von embryonalen 
Stammzellen seien neun sogar für deren Erzeugung in 
Deutschland, was eine Zerstörung, vulgo Tötung von menschlichen 
Embryonen voraussetzt. Denn die Konsequenz, die aus der 
Argumentation der Dreifünftelmehrheit gezogen werden muß, führt 
noch weiter: Des Kanzlers Ethikrat zielt auf nichts weniger als eine 
Abschaffung des Embryonenschutzgesetzes. Und dies bedeutet 
nicht bloß den frontalen Angriff auf eine - vom Gesetzgeber nach 
Belieben zu setzende oder aufzuhebende - strafrechtliche Norm, 
die vor einem Jahrzehnt noch die breite Unterstützung aller im 
Parlament vertretenen Parteien fand, sondern den forcierten 
Abschied von einem gesellschaftlichen Grundkonsens.

Die Stellungnahme gliedert sich in sechs Kapitel, von denen vier 
einführenden Charakter haben (von der allgemeinen Aufgabe des 
Ethikrats bis zu knappen Bemerkungen zum "normativen 
Bezugsrahmen" der Ausführungen), bevor das Für und Wider der 
Gewinnung von menschlichen embryonalen Stammzellen erörtert 
wird. Dies geschieht nicht in einem steten Wechsel von Rede und 
Gegenrede, wie man es sich im Hinblick auf eine transparente 
Aufbereitung der einzelnen Argumente gut vorstellen könnte, 
sondern in einem zusammenhängenden Abschnitt Pro und einem 
Abschnitt Contra, so daß der Eindruck eines geschlossenen 
Mehrheits-und eines Minderheitsvotums entsteht. Auf Belege für 
rechts-und naturwissenschaftliche Behauptungen wurde völlig 
verzichtet. Die aus der Arbeit von Enquete-Kommissionen 
bekannte Solidität wird deutlich unterboten.

Der verfassungsrechtliche Kernsatz der Befürworter lautet: "Aus 
Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG läßt sich weder ein 
Würdeschutz noch ein ,absoluter' Lebensschutz dieses frühen 
embryonalen Lebens ableiten." Das "Postulat" eines "absoluten" 
Lebensschutzes sei nur durch einen Zirkelschluß zu begründen: 
Der Lebensschutz werde auf den Würdeschutz zurückgeführt, doch 
gebe es für diesen im frühen Lebensstadium "weder aus den 
Beratungen des Parlamentarischen Rates noch aus der 
verfassungsrechtlichen Literatur ... ein eindeutiges Ergebnis". Das 
ist richtig; zumindest bis zur Nidation ist die Frage umstritten. Wie 
aus dieser Uneindeutigkeit jedoch das kategorische Urteil 
abzuleiten ist, "ein Würdeschutz", gleich welcher Art, lasse sich 
aus den zitierten Grundgesetzartikeln gar nicht ableiten, bleibt ein 
Geheimnis der Mehrheitsräte, die doch "nach allgemein 
einsichtigen Gründen bewerten" wollten.

Nicht minder rätselhaft ist auch die vom gesamten Rat bekräftigte 
"Einigkeit darüber, daß die Würde des Menschen verbietet, 
Embryonen vor der Nidation für beliebige Zwecke zu verwenden". 
Welche Würde soll denn etwas verbieten, wenn im gleichen Satz 
bezweifelt wird, "ob der Embryo im frühesten Stadium Träger der 
Menschenwürde ist" und der Würdeschutz im folgenden glattweg 
bestritten wird? Die salvatorischen Floskeln entlarven sich selbst.

Die Argumentation der Befürworter einer Gewinnung von 
Stammzellen ruht ganz auf dem Nachweis eines abgestuften 
Lebensschutzes, namentlich der Erlaubtheit von 
nidationshemmenden Verhütungsmitteln sowie der Zulässigkeit von 
Schwangerschaftsabbrüchen. Diese seien in den ersten drei 
Monaten "de facto ohne Einschränkung zulässig", da sich auch 
aus der Bewertung als "rechtswidrig, aber nicht strafbar" nach 
Beratung "nennenswerte Rechtsfolgen nicht ergeben". Und 
aufgrund dieser Einschätzung beschreitet die Argumentation genau 
den Weg, dem zu folgen man bestreitet: aus einer faktischen 
Rechtspraxis "die ethische Fundierung eines gestuften 
vorgeburtlichen Lebensschutzes" abzuleiten. Was im Uterus längst 
Usus ist, soll auch in der Petrischale Praxis werden.

Faktisch aber dürfen in der Bundesrepublik sogar Spätabtreibungen 
von behinderten Föten - bis unmittelbar vor der Geburt - ohne 
Rechtsfolgen vorgenommen werden. Dürften auch diese für 
Forschungszwecke verwendet werden? Man muß so grausam 
provozierend fragen, um das Entscheidende zu sehen: Der Ethikrat 
nennt keinen Punkt, an dem das frühe Leben für die Forschung 
sakrosankt wäre. Was der werdenden Mutter recht ist, soll ihr nur 
billig sein.

Die Diskussion darüber wurde vor einem guten Jahrzehnt durch 
einen großen gesellschaftlichen Konsens mit dem 
Embryonenschutzgesetz beantwortet. Noch heute rühmt sich 
mancher Naturwissenschaftler, damals ein Ethikschützer gewesen 
zu sein. Hat sich nun, da sich eine "vielversprechende 
medizinische Perspektive" laut Ethikrat eröffnet hat, auch die Moral 
geändert? Die Antwort ist ein klares Ja, und die von der 
Ratsmehrheit verneinte Befürchtung, "die Stabilität ethischer 
Grundnormen" gerate mit dem Einstieg in die Embryonenforschung 
in Gefahr, wird gerade durch ihr Votum nachdrücklich bestätigt. 
Hier liegt der wahre Zirkelschluß: Die Sorge vor einer 
"zunehmenden Instrumentalisierung" sei unbegründet, weil mit dem 
Embryo ja gar kein würdewertes Wesen bedroht sei. Der 
Dammbruch kann so schlicht bestritten werden, weil der Damm 
bereits zurückgezogen wird.

Indem der Ethikrat den frühen Embryo schutzlos stellen will, legt er 
das Embryonenschutzgesetz ad acta. Und schlimmer noch: Er 
stellt es gleichsam als verfassungswidrig dar. Denn über alles 
erhebt der Rat die Forschungsfreiheit, die es welchem Gremium 
auch immer untersage, "den Forschern den Gegenstand ihrer 
Untersuchungen vorzuschreiben". Genau dies aber tut das am 1. 
Januar 1991 in Kraft getretene Gesetz, mit dem Embryonen als 
Forschungrohstoff aus dem Verkehr gezogen wurden. Jetzt aber ist 
der Wille zum Embryo zu groß geworden, und der Nationale 
Ethikrat nickt eine "Notwendigkeit" dieser Embryonenforschung ab, 
die er "nur von Fachleuten" demonstriert sehen will. Die Fachleute 
haben sich im Rat ihren Freibrief für den "schnellsten und besten 
Weg" (und das wäre schon Notwendigkeit?) selbst geschrieben: 
"Es wäre verfehlt, solche Fragen der forschungspolitischen 
Bonitätsprüfung von außen beantworten zu wollen." Damit plädiert 
der Ethikrat des Kanzlers für das Ende jeder demokratischen 
Wissenschaft.
 

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