Forum Bioethik
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3. Der Würzburg/Eisinger Fall: Humangenetische
Forschungen
Im St.Josefs-Stift in Eisingen bei Würzburg wurden in den Jahren
1994/95 im Rahmen einer regelmäßigen Konsiliarsprechstunde 179
der 343 Bewohner von Humangenetikern der Universität Würzburg
auf das Vorliegen eines FraX- Syndroms als Ursache ihrer geistigen Behinderung
untersucht. 1997 wurden weiterhin alle 52 Bewohner der Einrichtung mit
Down- Syndrom auf das Vorliegen von Risikofaktoren für die Alzheimer
Krankheit untersucht.
Das Problem war, daß niemand von den Betroffenen oder Angehörigen
informiert worden war, und die Heimärztin und die Humangenetiker ihre
Untersuchungen durch den Heimvertrag abgedeckt sahen.
Angesichts eines solch sensiblen und emotional belasteten Themas wurde
angesichts der fehlenden Aufklärung ein Skandal, dessen Wogen bis
in den Bayerischen Landtag und in den Bundestag hinein schlugen und unter
dem alle Beteiligten zu leiden hatten: Es war der erste Fall illegaler
Forschung an Geistigbehinderten in Deutschland, und das Problem war die
Heimlichkeit dabei bzw. das Nichteinholen der Einverständniserklärung
der Angehörigen. Wahrscheinlich hätten die meisten der Angehörigen
zugestimmt, wenn man sie aufgeklärt hätte, stellte Klaus Dörner,
der Leiter der Untersuchungskommission, fest, die den Fall bearbeitete.(1)
Die näheren Umstände sind in dem ausführlichen und sehr
lesenswerten Bericht der Untersuchungskommission nachzulesen.(2) Der Bericht
ist auch insofern aufschlußreich, da die betroffene Einrichtung selber
daran interessiert, die Vorfälle im nachhinein aufzuklären. Der
spätere neue Geschäftsführer, Herr Spielmann, unterstützte
dann die Arbeit der Kommission, nachdem die Einrichtung doch sehr in die
Schlagzeilen geraten war. Was aber bleibt, sind die geschehenen Dinge.
Und vor allem, was die betroffenen Eltern und Angehörigen durchzumachen
hatten.
Auch das wird in dem Bericht deutlich: Immer wieder wurden sie abgewiesen,
erhielten gar keine (oder gar falsche) Informationen, wurden als Querulanten
bezeichnet, auch die Art der Prozesse der Humangenetiker gegen die Angehörigen
ist ein Thema für sich. Der Bericht versucht nun nichts zu beschöningen,
sondern äußert sich doch in einer sehr klaren Weise.
Zu den Tatsachen:
Zu den humangenetischen Sprechstunden waren Professoren und Assistenten
des Würzburger Institutes ca. 20mal von Mitte 1994 bis Anfang 1998
ins Heim gekommen. Im Unterschied zu den anderen fachärztlichen Sprechstunden
waren die Termine nie im Mitteilungsblatt des Heimes erschienen.
Unterschriebene Aufklärungs- und Einwilligungsdokumente hinsichtlich
der Untersuchungen waren in den Krankenakten nicht zu finden (3). Allerdings
wird von 32 Fällen, zu denen man Unterlagen findet, bei 24 Bewohner
die Einwilligung von Angehörigen zumindest behauptet.
„In einer offenbar aktiv geheimgehaltenen Serienuntersuchung wurden
zwischen dem 15.61994 und 13.2.1995 wohl 179 Bewohner durch Blutentnahme
auf das Vorliegen des fragilen X-Syndroms, mit seinen Varianten A und E
die häufigste genetische Ursache für geistige Behinderung, getestet...
a) Die Blutentnahme durch die Laborschwestern erfolgte gruppenweise
auf den Wohngruppen, ohne daß dabei die besondere Indikation eines
einzelnen Bewohners ins Auge gefaßt war. Für 80% erfolgte die
Abnahme
von Mehr-Blut bei einer ohnehin freiwilligen Routine- Blutabnahme, zu 20%
wurde das Blut eigens dafür entnommen. Für die ‘Aktion’, so der
interne Sprachgebrauch, mußte eigens ein neues Blutentnahmegerät
gekuft werden. Den Laborschwestern wurde mehrfach eingeschärft, von
der Zweckbestimmung Humangenetik in den Gruppen nichts zu sagen, einmal
von der Heimärztin auch verschriftlich:
‘Bitte das Wort Humangenetik nicht verwenden. Es wird mittelalterlich
ausgelegt.’“(4)
„c. In allen Fällen fehlt die Aufklärung und Einwilligung.
Zur Durchtestung hatte man sich nicht einmal die Mähe gemacht, zuvor
die Krankenakten auch nur aufzuschlagen, denn von 95 dieser Test-Personen
lag für 3 Bewohner in Wirklichkeit der FraX-Syndrom-Testbefund schon
längst vor...“(5)
Viele kleine (und große) Einzelheiten wären zu nennen. Wer
Interesse an weiteren Informationen hat, möge bitte selber in dem
Bericht nachlesen.
Ein anderes, aber sehr bemerkenswertes Phänomen am Eisinger Fall
ist, daß alles nur durch einen Zivildienstleistenden, der unbefangen
von außen kam und sich über manches wunderte, angestoßen
wurde:
„Damit kommen wir zum auslösenden Fall, der die Bombe gezündet
hat. Auch dieses Mal sind Angehörige entscheidend... Genauso wichtig
für den Zündungsvorgang ist aber jetzt auch ein Azubi, was mir
den Hinweis erlaubt - wir wollen ja für alle Heime lernen - daß
es in Institutionen wie Heimen die randständigen Personen sind, die
Betriebsgeheimnisse an die Öffentlichkeit bringen, also Personen,
die noch nicht formell auf das, was man sagt und was man verschweigt, eingeschworen
sind, denen ihre Naivität und ihr formales Rechtsgefühl noch
zur Verfügung steht, also neben den Angehörigen Azubis, Schüler,
Studenten, Praktikanten, Bürgerhelfer. Ohne deren Beiträge hätten
unsere sozialen Institutionen noch geringere Chancen der Rechtsstaatlichkeit,
ohne daß man dafür einzelnen Mitarbeitern so recht Schuld zumessen
kann.“(6)
Und weiter:
„In diesem Fall war es also ein Azubi, der der Mutter (...) Mitte 1997
1997 im Gruppenraum zwei Fotos ihrer behinderten Tochter zeigte, die vor
und nach einem Test in den Räumen der Heimärztin gemacht worden
seien. Darauf die Frage nach der Art des Testes: die Heimärztin log,
daß sich die Balken bogen, erfand u.a. zur Erklärung eine amtsärztliche
Untersuchung, und da der Azubi, plötzlich Bestandteil einer Staatsaffäre,
voller Angst seine Aussage widerrief, mußten Mutter, Vater und Bruder
(...)über ein halbes Jahr penetrant nörgeln und bohren, allen
Beschwichtigungsversuchen widerstehen und es aushalten, in den Augen der
immer hilfloser werdenden Heimleitung in die Angehörigen-Starrolle
der Querulanten hineingewachsen zu sein, bis just zu dem Tag, als der Elternreferent
der Familie die Haltlosigkeit ihrer Befürchtungen endgültig erläutern
wollte, die Familie ihn unterbrach: ihr Anruf beim Humangenetischen Institut
habe erbracht, daß man natürlich die Tochter untersucht habe,
Fotos und eine Krankenakte einsehen könne.
Zum weiteren hier nur kurz. Die Heimärztin schwor an Eidesstatt,
daß der Fall (...), hinsichtlich der versäumten Einholung der
Einwilligung zur humangenetischen Untersuchung ein Einzelfall gewesen sei,
eine Erklärung, die fast nur aus Lügen bestand, wie schon die
nächsten Tage zeigten...“(7)
Man sieht, wie schwierig, problematisch und vielschichtig der Fall in
Eisingen ist.
Das Ziel der Untersuchungskommission war nun, daß man für
die Zukunft lerne, wie Ähnliches vermieden werden könnte und
wie Problemfälle tatsächlich gelöst werden und nicht durch
Totschweigen unter den Teppich gekehrt werden. Dazu ist das Thema auch
zu heikel.
Der Bericht kann bezogen werden bei:
St.Josefs-Stift, Nikolausstr.1, 97249 Eisingen
Titel: Geistige Behinderung, Humangenetik und Ethik. Der Würzburger-
Eisinger Fall. Herausgegeben von Klaus Dörner und Ulrich Spielmann.
Eisingen, 2001.
Anmerkungen:
(1) Angehörige und Humangenetiker als „Anwälte der
Behinderten“. Von Klaus
Dörner. In: Geistige Behinderung, Humangenetik
und Ethik. Eisingen.
2001.
(2) Geistige Behinderung, Humangenetik und Ethik. Eisingen. 2001.
(3) Dörner S.27
(4) a.a.O S.28
(5) a.a.O. S.29
(6) a.a.O. S.16/17
(7) a.a.O. S.17
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