Forum Bioethik EVANGELISCHE AKADEMIE       LOCCUM
in Zusammenarbeit mit dem 
 Zentrum für Gesundheitsethik

Konzept,  Stand: 29. April 2002
Die politische Ökonomie der Biomedizin
Interdisziplinäres Kolloquium von Freitag, den 23. bis Sonntag den 25. August 2002
 

1.  Veranlassung und thematischer Hintergrund
Gegenüber einem erheblichen Teil der volksmedizinisch bedeutsamen Krankheiten wie Krebs, AIDS oder anderen gefährlichen Seuchen und Alterskrankheiten besteht kaum eine andere Aussicht, zum Erfolg zu kommen, als mit Hilfe biomedizinischer Methoden und vermöge der Innovationskraft der Pharmaindustrie.
Dennoch ziehen die großen Mengen Kapitals, die derzeit in diesen Anwendungsbe-reich der Wissenschaft fließen, den Argwohn der kritischen Öffentlichkeit auf sich: 
”Allerdings hat sich die objektive Lage der wissenschaftlichen Institutionen in kürzester Zeit grundlegend verändert. Der Abstand zwischen der Forschung und ihrer ökonomi-schen Auswertung hat sich derart verkürzt, dass von der Unabhängigkeit, der die Wis-senschaft sich rühmt, nicht mehr viel übrig ist. Die riesigen Investitionen in den For-schungsbetrieb müssen so rasch wie möglich Renditen abwerfen; aus selbstbestimm-ten Gelehrten werden so Teilhaber und Unternehmer des rasant wachsenden Wissen-schaftlich-industriellen Komplexes, die Patentanwälte, Emissionsbanken, Börsengurus und Public-Relations-Agenturen beschäftigen. Die Geldströme, ob Aktienkapital oder Subventionen, verschärfen den Konkurrenzkampf und den Mediendruck. / ... / Späte-stens dann wird die Katze aus dem Sack gelassen, wenn zu solchen Begründungen die Sorge um die heiligen Arbeitsplätze und die Konkurrenzfähigkeit des ‘Standorts’ tritt – ein Begriff der nicht umsonst aus der militärischen Sprache stammt.” (Hans Magnus Enzensberger, Der Spiegel, Juni 2001). 
Wollte man dieser Einschätzung folgen, stünde zu befürchten, dass ethische Erwä-gungen gegenüber bloßen Gewinnmaximierungsinteressen finanzstarker Investoren ins Hintertreffen geraten. Entsprechende Ängste werden speziell auf dem Feld der sogenannten Biomedizin genährt, in welchem auf molekular-biologischen Erkenntnis-sen beruhende technische Möglichkeiten in medizinische Anwendungen umgesetzt werden:  beispielsweise dort, wo von den involvierten Akteuren eine fast zum Selbst-zweck stilisierte Jagd nach Patenten inszeniert wird – wie im Falle der DNS-Sequenzen, deren Bedeutung noch gar niemand kennen kann. 
Zudem wird befürchtet, dass die Verwertungsinteressen des in die Gen- und Zellfor-schung investierten privaten Kapitals die auf deren Resultate aufbauende medizini-sche Forschung zu sehr in Anwendungsbereiche drängen, die vornehmlich der Ober- und Mittelschicht der entwickelten Industrieländer zu Gute kommen – und zwar zur mehr oder weniger luxuriösen Behandlung typischer Wohlstandsleiden, gegen die ge-zielte Präven-tionsmaßnahmen (mehr Bewegung, bewusstere Ernährung) eigentlich weit billiger kämen.  Währenddessen werde – mangels zu erwartender zahlungskräfti-ger Nachfrage oder der Erschwinglichkeit entsprechender Patente – z.B. die Entwick-lung von Impfstoffen gegen bedeutende Seuchen in armen Ländern vernachlässigt.
In Anbetracht derartiger Schieflagen in der öffentlichen Meinungsbildung liegt umso mehr die Transparenz der “politischen Ökonomie” im Bereich der Biomedizin im allge-meinen gesellschaftlichen Interesse. Hierbei geht es um die durch Geldströme, Kapital-interessen, und Arbeitsplatzbilanzen beeinflussten Strukturen der strategischen Entschei-dungsfindung – bis hin zu den Kommunikationsformen, in denen echter oder vermeintlicher politischer Handlungsdruck erzeugt wird. 

2.  Zielsetzung
Das Kolloquium zielt auf eine kritische Untersuchung der Verteilung der materiellen, personellen und ideellen Ressourcen ab, die gegenwärtig in diejenigen Anwendungen der Biomedizin fließen, denen für die Zukunft die größte volksmedizinische und ge-sundheitsökonomische Bedeutung beigemessen wird. Neben den Bestrebungen der pharmazeutischen Industrie werden auch die der mit ihr kooperierenden staatlichen Institutionen in den Blick zu nehmen sein, ebenso wie die mit diesen korrespondieren-den Forschungs- und Entwicklungskapazitäten der Computerindustrie. 
Sofern im Abgleich der Resultate dieser Untersuchung mit den generellen drängenden Aufgaben für die medizinische Forschung und deren Bedarf an Mitteln Diskrepanzen zu Tage treten, sollen diese – nach Möglichkeit – in die Formulierung konkreter Hand-lungsanforderungen an die involvierten politischen Akteure münden. 

3.  Thematische Schwerpunkte
Für exemplarisch zu behandelnde Fallstudien bieten sich u.a. die Erforschung und Behandlung von Erbkrankheiten und Krebs, die Reproduktionsmedizin incl. Stammzellen-forschung und genetischer Diagnostik, die Herstellung und Verwendung künstlicher Gewebe und Organe sowie die Verfügbarmachung von Medikamenten und neuen Impfstoffen (besonders auch für ärmere Länder oder Bevölkerungsgruppen) an. Soweit sinnvoll und möglich, sollen anhand solcher konkreter Fallbeispiele die folgen-den Fragekomplexe behandelt werden:
1) Biomedizin als Industriezweig:
gegenwärtige Bedeutung und Entwicklungspotentiale der Branche 
4.1) Welche aktuellen und potentiellen Anwendungsfelder der Biomedizin sind von besonderer volksmedizinischer und gesundheitsökonomischer Bedeu-tung?
4.2) Welche Bedeutung hat die Biomedizin für den Wirtschaftsstandort?
4.3) Wie steht es um die Innovationskraft der pharmazeutischen Forschung?
2) Antriebskräfte des biomedizinischen Fortschritts:
medizinische Bedürfnisse, technische Möglichkeiten, wirtschaftliche Interes-sen
4.1) Wie übersetzen sich vorhandene medizinische Bedürfnisse in Nachfrage am Markt und wie weit spiegelt diese den generellen medizinischen Bedarf wi-der?
4.2)  Wie bedeutsam ist das Wecken neuer Bedürfnisse durch neue Angebote im medizinischen Bereich – mit welchen sozial-ökonomischen Auswirkungen? 
Welche Rollen spielen dabei durch Visionen von Wissenschaftlern beflügelte 
Börsenphantasien?
4.3) Wie wichtig sind Forschungskapazitäten, Wissenstransfer, Kooperation in Netzwerken und unternehmerischer Wettbewerb im globalen und im regio-nalen Maßstab?
4.4) Gibt es bedeutsame fragwürdige Interessen oder systematisch vernachläs-sigte 
Bedürfnisse, die nach politischer Korrektur verlangen?
3) Wissenschaftliche Komplexität und sozial-ökonomischer Kontext der Biomedizin:
Determinanten der strategischen Entscheidungsfindung
4.1) Wie tragfähig sind die Schlüsselkonzepte der molekularen Medizin?
4.2) In welchem Maße werden Unwägbarkeiten und Risiken zum Kostenfaktor?
4.3) Welche Bedeutung hat die Ausgestaltung des Patentrechts für das Funktio-nieren des Forschungsbetriebs?
4.4) Wie werden bei knappen verfügbaren Mitteln objektive Kosten-Nutzen-Vergleiche zwischen alternativen medizinischen Optionen gewährleistet?
4) Bedarf an gezielter Förderung und Regulation für die Wachstumsbranche Biomedi-zin:
Welche Möglichkeiten bieten und an welchen Kriterien orientieren sich:
4.1) die Forschungsförderung der öffentlichen Hand?
4.2) die Aktivitäten von Stiftungen und privaten Investoren?
4.3) die Arbeit von Ethik-Kommissionen?
4.4) die Mittelvergabe durch die Krankenkassen?
4.5) das Patentrecht und das Haftungsrecht?

4.  Aufbau des Tagungsprogramms 
Die Festlegung des genauen Aufbaus des Tagungsprogramms erfolgt in Abstimmung mit den zu gewinnenden Referentinnen und Referenten. Im Wesentlichen sollen in einer Abfolge von Diskussionsrunden jeweils ein oder zwei Thesenvorträge erörtert werden. Entsprechende Thesenpapiere sollen vorab an alle Teilnehmenden verschickt werden.

5.  Teilnehmende
Forschende, Lehrende und Studierende aus den Bereichen Medizin, Biowissenschaf-ten, Rechtswissenschaften Ökonomie (insbesondere Wissenschaftsökonomie) und Theologie; Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen sowie aus dem Bereich der forschenden Pharma-Unternehmen und des Investments (insbeson-dere Analysten);  Mitglieder von Patientenverbänden, Selbsthilfegruppen und Vereini-gungen kritischer Aktionäre; interessierte Bürgerinnen und Bürger; Journalistinnen und Journalisten;

6.  Organisation
Die Tagung soll mit insgesamt rund 70 Teilnehmenden in den Räumen der Evangeli-schen Akademie Loccum stattfinden. Der Kostenbeitrag für die Teilnahme incl. Unter-kunft und Mahlzeiten liegt bei Euro 110,-, (u.b.U. ermäßigt auf Euro 55,-). 
Als Ansprechpartner stehen Ihnen zur Verfügung: 

Dr. Andreas Dally
Evangelische Akademie Loccum
Postfach  21 58
31545  Rehburg-Loccum

Christa Wewetzer
ZfG - Zentrum für Gesundheitsethik
an der Evangelischen Akademie Loccum
Knochenhauerstraße 33
30159  Hannover

  Tel: 05766 / 81-108
  05766 / 81-116  (Fr. Schwarz)
 Fax: 05766 / 81-128
 E-mail: Andreas.Dally@evlka.de
 Internet: http://www.loccum.de

 Tel: 0511-1241-445
  0511-1241-496  (Fr. Wendt)
 Fax: 0511-1241-497
 E-mail: Christa.Wewetzer@evlka.de
 Internet: http://www.zfg-hannover.de

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